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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wie festgewurzelt dadurch das Institut der Nennen im englischen Bewußtsein
bereits jetzt ist.

Hat es in vielem Betracht die Eigenschaften, welche das Lotto verwerflich
machen, so dient eS doch auch dazu, eine Menge vornehmer Nichtsthuer in
einer Weise zu beschäftigen, die sie dem Gemeinwohl nicht gradezu schädlich
werden läßt, ein Auskunftsmittel, welches am Ende doch dem Spiel an der
pariser Fondsbörse noch immer vorzuziehen ist. Die untern und selbst die
mittleren Stände, sie mögen noch so sehr die Hälse recken, reichen nur selten bis
an den Rand des berauschenden Bechers, der hier unter der vergoldeten Jugend der
Hochgestellten kreist. Diese aber, durch ihre sorgen- und pflichtenlose Stellung
ohnehin den Gefahren der Ueppigkeit nur zu sehr Preis gegegeben, hat bei
dem Wettrennenspiel wenigstens die Vortheile des Herumtummelns in freier
Luft, und ist genöthigt, auf körperliche Fertigkeiten mehr Werth zu legen, als
dies auf dem Festlande der Fall zu sein pflegt.

Veredeln die Pferderennen die Zucht des Pferdes und führen sie der rit¬
terlichen Reitkunst jährlich neue Jünger zu, so gibt es ein andres, noch volkö-
thümlicheres Kraftmessen in England, um das wir die Vettern beneiden dürfen und
das wir auch bei uns einzuführen trachten sollten. Wir meinen das Cricket¬
spiel. Zu diesem Spiele gehört nichts weiter, als ein mäßig großer Rasen,
ein Dutzend Bälle, Schlaghölzer und zweimal drei niedrige Stöcke, welche
je drei nebeneinander in den Boden getrieben werden und das Cricketbret
tragen, dessen Herunterwcrsen der Hauptzweck der einen Partei, dessen Ver¬
theidigung der Zweck der Gegenpartei ist. Jede der Parteien hat ihren
Stand in einiger Entfernung der andern gegenüber, und sobald die Niederlage
der einen vollendet ist, geht sie zum Angriff über. Dieser Angriff gilt immer
dem erwähnten Bret, einmal dem diesseitigen, das andere Mal dem jenseitigen..
Sein Vertheidiger steht ihm so nahe, daß er im Stande ist, jeden feindlichen
Ball zu pariren, wenn anders er sein Schlagholz gewandt handhabt. Das
Zurückschnellen des BallA ist natürlich allen Zufälligkeiten ausgesetzt, und die
Entfernung, welche der zurückgeschnellte Ball durchfliegt, der Ort, wo er nieder¬
fällt, daS Wiederbringen desselben gibt den umher postirten Spielern Veran¬
lassung, ihre Schnellfüßigkeit und Gewandtheit zu entwickeln und selbstständig
in das Spiel der beiden Hauptstreiter einzugreifen. Eine Menge Einzelfälle,
welche sämmtlich vorgesehen und zu Gunsten oder Nachtheil der Angreifen¬
den ausgelegt sind, trägt dazu bei, dem Spiele Mannigfaltigkeit zu geben
und das Interesse der nicht als Hauptstreiter Beschäftigten immer rege zu
halten.

Die Kleidung der Cricketspieler ist diejenige unserer Turner; je Nach dem
höhern oder niedern Stande der Clubs nimmt sie wol edlere oder rohere
Stoffe an, doch erfüllt sie durchgängig die Bedingungen zwangloser Leichtigkeit,


Greuzbvte". I. -I8S7. 39

wie festgewurzelt dadurch das Institut der Nennen im englischen Bewußtsein
bereits jetzt ist.

Hat es in vielem Betracht die Eigenschaften, welche das Lotto verwerflich
machen, so dient eS doch auch dazu, eine Menge vornehmer Nichtsthuer in
einer Weise zu beschäftigen, die sie dem Gemeinwohl nicht gradezu schädlich
werden läßt, ein Auskunftsmittel, welches am Ende doch dem Spiel an der
pariser Fondsbörse noch immer vorzuziehen ist. Die untern und selbst die
mittleren Stände, sie mögen noch so sehr die Hälse recken, reichen nur selten bis
an den Rand des berauschenden Bechers, der hier unter der vergoldeten Jugend der
Hochgestellten kreist. Diese aber, durch ihre sorgen- und pflichtenlose Stellung
ohnehin den Gefahren der Ueppigkeit nur zu sehr Preis gegegeben, hat bei
dem Wettrennenspiel wenigstens die Vortheile des Herumtummelns in freier
Luft, und ist genöthigt, auf körperliche Fertigkeiten mehr Werth zu legen, als
dies auf dem Festlande der Fall zu sein pflegt.

Veredeln die Pferderennen die Zucht des Pferdes und führen sie der rit¬
terlichen Reitkunst jährlich neue Jünger zu, so gibt es ein andres, noch volkö-
thümlicheres Kraftmessen in England, um das wir die Vettern beneiden dürfen und
das wir auch bei uns einzuführen trachten sollten. Wir meinen das Cricket¬
spiel. Zu diesem Spiele gehört nichts weiter, als ein mäßig großer Rasen,
ein Dutzend Bälle, Schlaghölzer und zweimal drei niedrige Stöcke, welche
je drei nebeneinander in den Boden getrieben werden und das Cricketbret
tragen, dessen Herunterwcrsen der Hauptzweck der einen Partei, dessen Ver¬
theidigung der Zweck der Gegenpartei ist. Jede der Parteien hat ihren
Stand in einiger Entfernung der andern gegenüber, und sobald die Niederlage
der einen vollendet ist, geht sie zum Angriff über. Dieser Angriff gilt immer
dem erwähnten Bret, einmal dem diesseitigen, das andere Mal dem jenseitigen..
Sein Vertheidiger steht ihm so nahe, daß er im Stande ist, jeden feindlichen
Ball zu pariren, wenn anders er sein Schlagholz gewandt handhabt. Das
Zurückschnellen des BallA ist natürlich allen Zufälligkeiten ausgesetzt, und die
Entfernung, welche der zurückgeschnellte Ball durchfliegt, der Ort, wo er nieder¬
fällt, daS Wiederbringen desselben gibt den umher postirten Spielern Veran¬
lassung, ihre Schnellfüßigkeit und Gewandtheit zu entwickeln und selbstständig
in das Spiel der beiden Hauptstreiter einzugreifen. Eine Menge Einzelfälle,
welche sämmtlich vorgesehen und zu Gunsten oder Nachtheil der Angreifen¬
den ausgelegt sind, trägt dazu bei, dem Spiele Mannigfaltigkeit zu geben
und das Interesse der nicht als Hauptstreiter Beschäftigten immer rege zu
halten.

Die Kleidung der Cricketspieler ist diejenige unserer Turner; je Nach dem
höhern oder niedern Stande der Clubs nimmt sie wol edlere oder rohere
Stoffe an, doch erfüllt sie durchgängig die Bedingungen zwangloser Leichtigkeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/313>, abgerufen am 23.07.2024.