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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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auf diesen Fehler hinzudeuten, da man die wahre Bedeutung eines guten historischen
Stils nicht selten verkennt. Der gute historische Stil besteht darin, daß man sich
streng an die Sache hält und die eigne Person aus dem Spiel läßt.

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Il-ioKvttt! 8c (^o. --. Was sich der berühmte Historiker bei diesem Buch, das bereits
in zweiter Auflage erscheint, eigentlich gedacht hat, ist schwer zu ermitteln. Er
gibt zwar eine ziemlich ausführliche Vorrede, aber in dieser erfährt man auch nichts
Bestimmtes: das Buch sei aus dem Schoß der Familie hervorgegangen, aus den
Tischgesprächen, den Winterlectüren, dem Geplauder im Sommer n. s. w. Es ist
allerdings viel von Vögeln darin die Rede. Der Verfasser beklagt sich, daß "diese
geflügelte Classe, die höchste, zarteste, die mit dem Menschen am meisten verwandt
ist, doch am meisten von den Menschen verfolgt wird; um ihm Schutz zu geben,
sei es nöthig, in dem Vogel die Seele zu enthüllen, nachzuweisen, daß er eine
Person ist", und Nun folgen eine Reihe von Schilderungen, zum Theil sehr poe¬
tisch, aber von jener eigenthümlichen Art Poesie, die man -bei uns in Deutschland
als toll gewordene Prosa bezeichnet, wo die Phantasie und die Empfindung völlig
mit dem Schriftsteller durchgeht und sich doch nicht so weit über die endlichen Bedin¬
gungen erhebt, daß eine poetische, aus sich selbst ruhende Gestaltung daraus hervor-
gehn könnte. Michelet ist reich an warmen Anschauungen und geistvollen Einfällen;
aber wenn es ihm schon auf seinem eignen Gebiet, der Geschichtschreibung, sehr
schwer wird, diesen Inspirationen die nothwendige Kritik entgegenzusetzen und sie
dadurch zu formen, so scheint das bei einem Stoff, dessen Wahl an sich schon eine
Caprice ist, völlig unmöglich zu sein. Wir Deutsche kommen in dem Buch sehr
gut weg; unsere Dichter werden häufig citirt, das Poetische unserer Lebens¬
anschauung wird mit Wärme hervorgehoben. Aber diese freundliche Gesinnung,
die Michelet immer gegen uns entwickelt hat, kann uns doch nicht darüber täuschen,
daß für die Existenz dieses Buchs kein innerer Grund vorhanden ist. --
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Dasselbe Werk in deutscher Uebersetzung unter dem Titel: "Aus den Lüsten",
das Leben der Vögel von I. Michelet. Berlin Sigismund Wolfs, in
vortrefflicher Ausstattung. Aber das Gezierte und Seichte des französischen Textes
wird in dem klaren Licht unserer Sprache noch peinlicher; wir lernen gegenüber der
dreisten Unwissenheit des Franzosen die bescheidenen Naturschildercr der Deutschen,
die Herren Masius, Osterwald u. s. w. wahrhaft hochachten. Denn ihre liebevollen
Darstellungen der Störche, Frösche, Haselsträucher und-anderer gemüthlicher Exi¬
stenzen gewähren wenigstens der heranwachsenden Jugend eine passende Lectüre,
während der geschmacklose Esprit des H. Michelet weder die Anschauungen, noch
das Urtheil, noch endlich den Geschmack unserer Jugend bilden wird.
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Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia" Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W, Grunow, -- Verlag von F. L. Hvrbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

auf diesen Fehler hinzudeuten, da man die wahre Bedeutung eines guten historischen
Stils nicht selten verkennt. Der gute historische Stil besteht darin, daß man sich
streng an die Sache hält und die eigne Person aus dem Spiel läßt.

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Il-ioKvttt! 8c (^o. —. Was sich der berühmte Historiker bei diesem Buch, das bereits
in zweiter Auflage erscheint, eigentlich gedacht hat, ist schwer zu ermitteln. Er
gibt zwar eine ziemlich ausführliche Vorrede, aber in dieser erfährt man auch nichts
Bestimmtes: das Buch sei aus dem Schoß der Familie hervorgegangen, aus den
Tischgesprächen, den Winterlectüren, dem Geplauder im Sommer n. s. w. Es ist
allerdings viel von Vögeln darin die Rede. Der Verfasser beklagt sich, daß „diese
geflügelte Classe, die höchste, zarteste, die mit dem Menschen am meisten verwandt
ist, doch am meisten von den Menschen verfolgt wird; um ihm Schutz zu geben,
sei es nöthig, in dem Vogel die Seele zu enthüllen, nachzuweisen, daß er eine
Person ist", und Nun folgen eine Reihe von Schilderungen, zum Theil sehr poe¬
tisch, aber von jener eigenthümlichen Art Poesie, die man -bei uns in Deutschland
als toll gewordene Prosa bezeichnet, wo die Phantasie und die Empfindung völlig
mit dem Schriftsteller durchgeht und sich doch nicht so weit über die endlichen Bedin¬
gungen erhebt, daß eine poetische, aus sich selbst ruhende Gestaltung daraus hervor-
gehn könnte. Michelet ist reich an warmen Anschauungen und geistvollen Einfällen;
aber wenn es ihm schon auf seinem eignen Gebiet, der Geschichtschreibung, sehr
schwer wird, diesen Inspirationen die nothwendige Kritik entgegenzusetzen und sie
dadurch zu formen, so scheint das bei einem Stoff, dessen Wahl an sich schon eine
Caprice ist, völlig unmöglich zu sein. Wir Deutsche kommen in dem Buch sehr
gut weg; unsere Dichter werden häufig citirt, das Poetische unserer Lebens¬
anschauung wird mit Wärme hervorgehoben. Aber diese freundliche Gesinnung,
die Michelet immer gegen uns entwickelt hat, kann uns doch nicht darüber täuschen,
daß für die Existenz dieses Buchs kein innerer Grund vorhanden ist. —
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Dasselbe Werk in deutscher Uebersetzung unter dem Titel: „Aus den Lüsten",
das Leben der Vögel von I. Michelet. Berlin Sigismund Wolfs, in
vortrefflicher Ausstattung. Aber das Gezierte und Seichte des französischen Textes
wird in dem klaren Licht unserer Sprache noch peinlicher; wir lernen gegenüber der
dreisten Unwissenheit des Franzosen die bescheidenen Naturschildercr der Deutschen,
die Herren Masius, Osterwald u. s. w. wahrhaft hochachten. Denn ihre liebevollen
Darstellungen der Störche, Frösche, Haselsträucher und-anderer gemüthlicher Exi¬
stenzen gewähren wenigstens der heranwachsenden Jugend eine passende Lectüre,
während der geschmacklose Esprit des H. Michelet weder die Anschauungen, noch
das Urtheil, noch endlich den Geschmack unserer Jugend bilden wird.
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Herausgegeben von Gustav Freytag und Julia» Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W, Grunow, — Verlag von F. L. Hvrbig
in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/288>, abgerufen am 22.12.2024.