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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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öffentlichen Verhältnisse brächten "ut die Nationaleinheit gefährdeten. Was würden
wir Deutsche zu einer solchen Unverschämtheit sagen und wie würden wir uns
gegen die übermüthigen Fremdlinge benehmen? -- Und doch haben manche ein-
gewanderte Deutsche, besonders solche, die durch die Stürme von 18i8 und 18i9
nach Amerika getrieben wurden, diesen falschen Weg eingesäiiagen und andere
Deutsche mit sich fortzureißen gesucht, -- eine Frucht ihrer exaltirten, unpraktischen
Ideen, ihrer vermeintlichen Wichtigkeit und ihres Ehrgeizes, der um jeden Preis
eine Rolle zu spielen suchte. Sie nannten sich das "neue Element", wurden
aber selbst von andern Deutschen, die reifere Ansichten und Ersahrungen besaßen,
kräftig bekämpft. Auch unterlagen sie im Wesentlichen und bilden nun eine Classe
von Unzufriedenen, die gern ihre Galle durch Schmähschriften gegen die Vereinigten
Staaten und durch die bitterste Kritik aller dortigen Verhältnisse und Zustände
ausläßt. Diese Leute haben nicht wenig dazu beigetragen, die unfreundliche
Stimmung der Knownothings und anderer Nativisten gegen die Einwanderung
hervorzurufen oder doch zu steigern.

Aber es gibt wirklich ein deutsches Element, welches mit dem größten Rechte
und mit entschiedenem Vortheil für beide Theile sich in Amerika geltend machen
darf und auch wirklich geltend macht. Ja es trifft sich, daß grade diejenigen
nationalen Vorzüge, die man gern als deutsche bezeichnet, nämlich heitere Ge¬
müthlichkeit, Offenheit, Wissenschaftlichst, Kunstsinn, Hang zu einer poetischen
Auffassung der Dinge, und überhaupt Streben nach dem Idealen, den Amerikanern
mehr oder minder fehlen, während umgekehrt die Deutschen an dem Mangel leiden,
was die Amerikaner besonders auszeichnet, wir meinen ihren praktischen Sinn und
Takt, ihren energischen, großartigen, unermüdlichen, kein Hinderniß scheuenden
Unternehmungsgeist, ihre Gewohnheit, alles erst ruhig zu prüfen und den
Dingen aus den Grund zu schauen, ehe sie dafür in Enthusiasmus gerathen;
sodann im Privatverkehr ihren Ernst und ihre ruhige Gemessenheit des Benehmens,
un Politischen aber ihr stets lebendiges Interesse für öffentliche Angelegenheiten,
ihre ununterbrochene Wachsamkeit und männliche Entschlossenheit in Wahrung ihrer
Rechte und ihren ungemeinen Scharfsinn in Entdeckung aller nahen oder entfernten
Gefahren, die diese Rechte bedrohen. Ein gegenseitiger Austausch, eine glückliche
Mischung dieser beiderseitigen Vorzüge würde gewiß zur Ausbildung eines höchst
ausgezeichneten Nationalcharakters führen, und in diesem Sinne ist die Belebung
des deutschen Elementes in Amerika und dessen Einwirkung auch aus das Leben
der eingebornen Amerikaner hauptsächlich wünschcnswerih. Auch steht dieser Ein¬
wirkung kein äußeres Hinderniß im Wege, und die innern Schwierigkeiten -- die,
welche aus der Gesinnung entspringen, werden mehr und mehr verschwinden, so
wie die Deutschen mehr und mehr jeden Gedanken an eine oppositionelle Stellung
aufgeben und aus eine herzliche Anschließung und Verschmelzung hinarbeiten.

Wir schließen für heute unsern Artikel mit diesen allgemeinen Betrachtungen,
behalten uns aber vor, nach und nach über die Fortschritte, welche das deutsche
Element in Amerika in dem erwähnten Sinne bereis gemacht hat, Näheres
mittheilen.


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öffentlichen Verhältnisse brächten »ut die Nationaleinheit gefährdeten. Was würden
wir Deutsche zu einer solchen Unverschämtheit sagen und wie würden wir uns
gegen die übermüthigen Fremdlinge benehmen? — Und doch haben manche ein-
gewanderte Deutsche, besonders solche, die durch die Stürme von 18i8 und 18i9
nach Amerika getrieben wurden, diesen falschen Weg eingesäiiagen und andere
Deutsche mit sich fortzureißen gesucht, — eine Frucht ihrer exaltirten, unpraktischen
Ideen, ihrer vermeintlichen Wichtigkeit und ihres Ehrgeizes, der um jeden Preis
eine Rolle zu spielen suchte. Sie nannten sich das „neue Element", wurden
aber selbst von andern Deutschen, die reifere Ansichten und Ersahrungen besaßen,
kräftig bekämpft. Auch unterlagen sie im Wesentlichen und bilden nun eine Classe
von Unzufriedenen, die gern ihre Galle durch Schmähschriften gegen die Vereinigten
Staaten und durch die bitterste Kritik aller dortigen Verhältnisse und Zustände
ausläßt. Diese Leute haben nicht wenig dazu beigetragen, die unfreundliche
Stimmung der Knownothings und anderer Nativisten gegen die Einwanderung
hervorzurufen oder doch zu steigern.

Aber es gibt wirklich ein deutsches Element, welches mit dem größten Rechte
und mit entschiedenem Vortheil für beide Theile sich in Amerika geltend machen
darf und auch wirklich geltend macht. Ja es trifft sich, daß grade diejenigen
nationalen Vorzüge, die man gern als deutsche bezeichnet, nämlich heitere Ge¬
müthlichkeit, Offenheit, Wissenschaftlichst, Kunstsinn, Hang zu einer poetischen
Auffassung der Dinge, und überhaupt Streben nach dem Idealen, den Amerikanern
mehr oder minder fehlen, während umgekehrt die Deutschen an dem Mangel leiden,
was die Amerikaner besonders auszeichnet, wir meinen ihren praktischen Sinn und
Takt, ihren energischen, großartigen, unermüdlichen, kein Hinderniß scheuenden
Unternehmungsgeist, ihre Gewohnheit, alles erst ruhig zu prüfen und den
Dingen aus den Grund zu schauen, ehe sie dafür in Enthusiasmus gerathen;
sodann im Privatverkehr ihren Ernst und ihre ruhige Gemessenheit des Benehmens,
un Politischen aber ihr stets lebendiges Interesse für öffentliche Angelegenheiten,
ihre ununterbrochene Wachsamkeit und männliche Entschlossenheit in Wahrung ihrer
Rechte und ihren ungemeinen Scharfsinn in Entdeckung aller nahen oder entfernten
Gefahren, die diese Rechte bedrohen. Ein gegenseitiger Austausch, eine glückliche
Mischung dieser beiderseitigen Vorzüge würde gewiß zur Ausbildung eines höchst
ausgezeichneten Nationalcharakters führen, und in diesem Sinne ist die Belebung
des deutschen Elementes in Amerika und dessen Einwirkung auch aus das Leben
der eingebornen Amerikaner hauptsächlich wünschcnswerih. Auch steht dieser Ein¬
wirkung kein äußeres Hinderniß im Wege, und die innern Schwierigkeiten — die,
welche aus der Gesinnung entspringen, werden mehr und mehr verschwinden, so
wie die Deutschen mehr und mehr jeden Gedanken an eine oppositionelle Stellung
aufgeben und aus eine herzliche Anschließung und Verschmelzung hinarbeiten.

Wir schließen für heute unsern Artikel mit diesen allgemeinen Betrachtungen,
behalten uns aber vor, nach und nach über die Fortschritte, welche das deutsche
Element in Amerika in dem erwähnten Sinne bereis gemacht hat, Näheres
mittheilen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/283>, abgerufen am 22.07.2024.