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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Engländer, folglich Lügner und parteiisch; die Franzosen, von Montesquieu
bis auf Montalembert nur Träumer; und unsere großen neueren deutschen
Historiker, der Stolz unserer Nation, schilt man verächtlich die Gelehrten deS
Constitutionalismus, mythologische Politiker, deren Forschungen viel zu seicht
seien, um von der gelehrten Journalistik Beachtung zu verdienen.

"Erste Quellen" sind serner Stadtklatsch, der immer leichter zu hören als
zu sichten ist. Solide Leute sollten dergleichen sehr behutsam benutzen, na¬
mentlich wenn sie daraus Urtheile über Völker schnitzen. Die junge Miß
Norton ist mit dem Hauskaplan durchgegangen, -- folglich werben die armen
Constitutionellen in Deutschland eingestehen müssen, daß die englische Frömmig¬
keit und Sittsamkeit blos in ihren Köpfen spukt. Einige Herzoginnen borgen
eincmderSchmucksachen, und bezahlen einander dafür baar -10 Pfd. Se. perAbend --
folglich ist der Reichthum der englischen Aristokratie eine Erfindung mytholo¬
gischer Politiker; Lord Palmerston hat ein paar englische Meilen im Galopp
zurückgelegt -- das ist eine Erfindung des Einpeitschers; General Williams
hat Lord Clarendon nicht des Verraths an Kars bezüchtiget, was man pro¬
phezeit hatte, -- er^o ist auch er ein Schuft; Mr. Anstey hat eine Regierungs¬
anstellung in Hongkong, und Mr. B. in Jamaica und Mr. C. in Honolulu
erhalten, rein deshalb, damit Lord Palmerston ungestört für Rußland weiter
arbeiten könne u. s. w. Wie wärs denn, wenn er den ihm feindlichen Korre¬
spondenten deutscher Blätter ebenfalls ein kleines Konsulat anbote'. Bis jetzt
scheint er dies nicht gewagt zu haben; er, der doch zwei Drittheile deS Unter¬
hauses mit Gold und Stellen geködert hat, er, der selbst das Gold der Fürstin
Lieven einsteckte, wagte doch nicht, einem deutschen Journalisten englische So-
vereigns anzubieten! dahinter steckt entweder russischer Einfluß, oder -- sollte
es wol gar Gleichgiltigkeit sein? Es wäre Zeit, daß sich Urquhart über diesen
Gegenstand vernehmen ließe. Was er sagt, das sagen seine deutschen Schüler
jederzeit ordnungsgemäß nach. Doch nein--Eine seiner Tollheiten haben
sie doch nicht wiederholt: daß der Prinz Adalbert von Preußen von Peters¬
burg, über Charlottenburg die Weisung erhalten hatte, sich von den Riff-
Piraten verwunden zu lassen, damit England sich in einen Krieg mit Afrika
verwickele, wodurch eS in Streit mit Frankreich in Europa geriethe, worauf
^ Rußland in Asien freies Spiel bekäme, worüber Amerika sehr heiter ge¬
stimmt würde. Diese Philosophie war selbst den deutschen Echos zu spitz, und
sie verschwiegen des Meisters herrlichsten Gedanken. --

Wir gehören nicht zu den Bewunderern Lord Palmcrstons. England
wird er weder centralistren noch russificiren, aber Charaktere seiner Art wären
nie im Stande gewesen, es auf feinen jetzigen hohen Standpunkt zu erheben.
Und sehr imponirend mußte diese Höhe sein, um nicht infolge des Leichtsinns,
den der Lord zu wiederholten Malen entwickelte, rasch zusammenzubrechen.


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Engländer, folglich Lügner und parteiisch; die Franzosen, von Montesquieu
bis auf Montalembert nur Träumer; und unsere großen neueren deutschen
Historiker, der Stolz unserer Nation, schilt man verächtlich die Gelehrten deS
Constitutionalismus, mythologische Politiker, deren Forschungen viel zu seicht
seien, um von der gelehrten Journalistik Beachtung zu verdienen.

„Erste Quellen" sind serner Stadtklatsch, der immer leichter zu hören als
zu sichten ist. Solide Leute sollten dergleichen sehr behutsam benutzen, na¬
mentlich wenn sie daraus Urtheile über Völker schnitzen. Die junge Miß
Norton ist mit dem Hauskaplan durchgegangen, — folglich werben die armen
Constitutionellen in Deutschland eingestehen müssen, daß die englische Frömmig¬
keit und Sittsamkeit blos in ihren Köpfen spukt. Einige Herzoginnen borgen
eincmderSchmucksachen, und bezahlen einander dafür baar -10 Pfd. Se. perAbend —
folglich ist der Reichthum der englischen Aristokratie eine Erfindung mytholo¬
gischer Politiker; Lord Palmerston hat ein paar englische Meilen im Galopp
zurückgelegt — das ist eine Erfindung des Einpeitschers; General Williams
hat Lord Clarendon nicht des Verraths an Kars bezüchtiget, was man pro¬
phezeit hatte, — er^o ist auch er ein Schuft; Mr. Anstey hat eine Regierungs¬
anstellung in Hongkong, und Mr. B. in Jamaica und Mr. C. in Honolulu
erhalten, rein deshalb, damit Lord Palmerston ungestört für Rußland weiter
arbeiten könne u. s. w. Wie wärs denn, wenn er den ihm feindlichen Korre¬
spondenten deutscher Blätter ebenfalls ein kleines Konsulat anbote'. Bis jetzt
scheint er dies nicht gewagt zu haben; er, der doch zwei Drittheile deS Unter¬
hauses mit Gold und Stellen geködert hat, er, der selbst das Gold der Fürstin
Lieven einsteckte, wagte doch nicht, einem deutschen Journalisten englische So-
vereigns anzubieten! dahinter steckt entweder russischer Einfluß, oder — sollte
es wol gar Gleichgiltigkeit sein? Es wäre Zeit, daß sich Urquhart über diesen
Gegenstand vernehmen ließe. Was er sagt, das sagen seine deutschen Schüler
jederzeit ordnungsgemäß nach. Doch nein--Eine seiner Tollheiten haben
sie doch nicht wiederholt: daß der Prinz Adalbert von Preußen von Peters¬
burg, über Charlottenburg die Weisung erhalten hatte, sich von den Riff-
Piraten verwunden zu lassen, damit England sich in einen Krieg mit Afrika
verwickele, wodurch eS in Streit mit Frankreich in Europa geriethe, worauf
^ Rußland in Asien freies Spiel bekäme, worüber Amerika sehr heiter ge¬
stimmt würde. Diese Philosophie war selbst den deutschen Echos zu spitz, und
sie verschwiegen des Meisters herrlichsten Gedanken. —

Wir gehören nicht zu den Bewunderern Lord Palmcrstons. England
wird er weder centralistren noch russificiren, aber Charaktere seiner Art wären
nie im Stande gewesen, es auf feinen jetzigen hohen Standpunkt zu erheben.
Und sehr imponirend mußte diese Höhe sein, um nicht infolge des Leichtsinns,
den der Lord zu wiederholten Malen entwickelte, rasch zusammenzubrechen.


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[0027] Engländer, folglich Lügner und parteiisch; die Franzosen, von Montesquieu bis auf Montalembert nur Träumer; und unsere großen neueren deutschen Historiker, der Stolz unserer Nation, schilt man verächtlich die Gelehrten deS Constitutionalismus, mythologische Politiker, deren Forschungen viel zu seicht seien, um von der gelehrten Journalistik Beachtung zu verdienen. „Erste Quellen" sind serner Stadtklatsch, der immer leichter zu hören als zu sichten ist. Solide Leute sollten dergleichen sehr behutsam benutzen, na¬ mentlich wenn sie daraus Urtheile über Völker schnitzen. Die junge Miß Norton ist mit dem Hauskaplan durchgegangen, — folglich werben die armen Constitutionellen in Deutschland eingestehen müssen, daß die englische Frömmig¬ keit und Sittsamkeit blos in ihren Köpfen spukt. Einige Herzoginnen borgen eincmderSchmucksachen, und bezahlen einander dafür baar -10 Pfd. Se. perAbend — folglich ist der Reichthum der englischen Aristokratie eine Erfindung mytholo¬ gischer Politiker; Lord Palmerston hat ein paar englische Meilen im Galopp zurückgelegt — das ist eine Erfindung des Einpeitschers; General Williams hat Lord Clarendon nicht des Verraths an Kars bezüchtiget, was man pro¬ phezeit hatte, — er^o ist auch er ein Schuft; Mr. Anstey hat eine Regierungs¬ anstellung in Hongkong, und Mr. B. in Jamaica und Mr. C. in Honolulu erhalten, rein deshalb, damit Lord Palmerston ungestört für Rußland weiter arbeiten könne u. s. w. Wie wärs denn, wenn er den ihm feindlichen Korre¬ spondenten deutscher Blätter ebenfalls ein kleines Konsulat anbote'. Bis jetzt scheint er dies nicht gewagt zu haben; er, der doch zwei Drittheile deS Unter¬ hauses mit Gold und Stellen geködert hat, er, der selbst das Gold der Fürstin Lieven einsteckte, wagte doch nicht, einem deutschen Journalisten englische So- vereigns anzubieten! dahinter steckt entweder russischer Einfluß, oder — sollte es wol gar Gleichgiltigkeit sein? Es wäre Zeit, daß sich Urquhart über diesen Gegenstand vernehmen ließe. Was er sagt, das sagen seine deutschen Schüler jederzeit ordnungsgemäß nach. Doch nein--Eine seiner Tollheiten haben sie doch nicht wiederholt: daß der Prinz Adalbert von Preußen von Peters¬ burg, über Charlottenburg die Weisung erhalten hatte, sich von den Riff- Piraten verwunden zu lassen, damit England sich in einen Krieg mit Afrika verwickele, wodurch eS in Streit mit Frankreich in Europa geriethe, worauf ^ Rußland in Asien freies Spiel bekäme, worüber Amerika sehr heiter ge¬ stimmt würde. Diese Philosophie war selbst den deutschen Echos zu spitz, und sie verschwiegen des Meisters herrlichsten Gedanken. — Wir gehören nicht zu den Bewunderern Lord Palmcrstons. England wird er weder centralistren noch russificiren, aber Charaktere seiner Art wären nie im Stande gewesen, es auf feinen jetzigen hohen Standpunkt zu erheben. Und sehr imponirend mußte diese Höhe sein, um nicht infolge des Leichtsinns, den der Lord zu wiederholten Malen entwickelte, rasch zusammenzubrechen. 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/27>, abgerufen am 22.07.2024.