Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

naree führen 140 Stufen, welche Conolly hinanstieg und dann von der Höhe
herab einen herrlichen Anblick der reizenden Landschaft ringsumher genoß. Die
100,000 Einwohner, welche Herat nach ältern Angaben umfassen sollte, fand
Conolly auf 43,000 herabgesunken. In dem Innern der Stadt herrscht überall
ein unbeschreiblicher Schmuz, und in dieser Beziehung übertrifft Herat noch
die andern dnrch ihre große Unreinlichkeit berüchtigten großen Städte des Mor¬
genlandes, Konstantinopel und Kairo nicht ausgenommen. In den Straßen
dieser "Perle der Welt" trifft man überall Mistpfützen, stehende Sümpfe,
faulende Aeser und drgl. als unerquickliche Zugaben zu den Trümmern alter
architektonischer Pracht und Herrlichkeit.

Herat steht in politischer Wechselbeziehung zu Khorassan, das nie bestimmte
Politische Grenzen gehabt hat, und als dessen eigentliche Hauptstadt Herat gilt,
obgleich es.um der östlichen Vorderstufe dieses hohen Tafellandes liegt. Die
persischen Geographen wollen unter Khorassan das ganze nördliche Persien
verstanden wissen und ziehen nicht blos das paradiesische Grenzland am Heri-
rub in den Umkreis von Khorassan, das Karl Ritter die "Nordburg von Iran"
nennt, sondern schieben die östliche Grenze bis zum Indus vor, so daß fast
ganz Afghanistan unter diesen geographischen Begriff fällt, während für uns
Khorassan östlich an den Grenzen von Afghanistan im weitern Sinne, also
"n den Westgrenzen des Fürstenthums Herat, und nördlich an den Wüsten
der Turkomanen endigt. Wie in frühern Zeiten die mongolischen Weltver-
wüster von Herat gegen Khorassan anstüniuen, welches die Timuriden die
"Brust von Iran" nannten, so haben in der neuern Zeit die Perser über
Khorassan, das sich ihrer Botmäßigkeit entzogen hatte, den Weg nach Herat
gesucht, bei welchen Operationen gewöhnlich Mescheb das Hauptquartier der
Perser war. Zwei Straßen führen von Herat durch Khorassan nach Teheran,
der Residenz des iranischen Schahinschah (d. i. König der Könige). Die kürzeste
dieser beiden Straßen läuft am Nordrande der großen iranischen Wüste hin,
von welcher ein großer Theil nebst beinahe dem ganzen Gebirgslande nördlich
derselben, in den Kreis der Landschaft Khorassan fällt, und berührt zwei nicht
unbedeutende Städte, Turdut (mit 20,000 Einwohnern) und Turschiö, wird
aber sehr wenig benutzt. Weit besuchter ist die zweite Straße, die sich nord¬
westlich nach Mesched und dann rein westlich über Nischapur und Sabsawar
nach Bostan und Schachrud zieht. Diese Straße von Khorassan bildet mit
ihrer östlichen Fortsetzung von Herat über Kandahar, Ghaöna und Kabul die
berühmte sogenannte Königsstraße, den alten VerbindLingsweg zwischen Iran
Und Hindostan über Afghanistan sowol für friedlich wandernde Handelskara¬
wanen, t is für erobernde Heeresmassen. Obgleich der mittelasiatische Kara¬
wanenhandel seit undenklichen Zeiten der Königsstraße im Allgemeinen treu
geblieben ist, so hat diese Straße doch in den Handelsbeziehungen ihren frühern


naree führen 140 Stufen, welche Conolly hinanstieg und dann von der Höhe
herab einen herrlichen Anblick der reizenden Landschaft ringsumher genoß. Die
100,000 Einwohner, welche Herat nach ältern Angaben umfassen sollte, fand
Conolly auf 43,000 herabgesunken. In dem Innern der Stadt herrscht überall
ein unbeschreiblicher Schmuz, und in dieser Beziehung übertrifft Herat noch
die andern dnrch ihre große Unreinlichkeit berüchtigten großen Städte des Mor¬
genlandes, Konstantinopel und Kairo nicht ausgenommen. In den Straßen
dieser „Perle der Welt" trifft man überall Mistpfützen, stehende Sümpfe,
faulende Aeser und drgl. als unerquickliche Zugaben zu den Trümmern alter
architektonischer Pracht und Herrlichkeit.

Herat steht in politischer Wechselbeziehung zu Khorassan, das nie bestimmte
Politische Grenzen gehabt hat, und als dessen eigentliche Hauptstadt Herat gilt,
obgleich es.um der östlichen Vorderstufe dieses hohen Tafellandes liegt. Die
persischen Geographen wollen unter Khorassan das ganze nördliche Persien
verstanden wissen und ziehen nicht blos das paradiesische Grenzland am Heri-
rub in den Umkreis von Khorassan, das Karl Ritter die „Nordburg von Iran"
nennt, sondern schieben die östliche Grenze bis zum Indus vor, so daß fast
ganz Afghanistan unter diesen geographischen Begriff fällt, während für uns
Khorassan östlich an den Grenzen von Afghanistan im weitern Sinne, also
«n den Westgrenzen des Fürstenthums Herat, und nördlich an den Wüsten
der Turkomanen endigt. Wie in frühern Zeiten die mongolischen Weltver-
wüster von Herat gegen Khorassan anstüniuen, welches die Timuriden die
»Brust von Iran" nannten, so haben in der neuern Zeit die Perser über
Khorassan, das sich ihrer Botmäßigkeit entzogen hatte, den Weg nach Herat
gesucht, bei welchen Operationen gewöhnlich Mescheb das Hauptquartier der
Perser war. Zwei Straßen führen von Herat durch Khorassan nach Teheran,
der Residenz des iranischen Schahinschah (d. i. König der Könige). Die kürzeste
dieser beiden Straßen läuft am Nordrande der großen iranischen Wüste hin,
von welcher ein großer Theil nebst beinahe dem ganzen Gebirgslande nördlich
derselben, in den Kreis der Landschaft Khorassan fällt, und berührt zwei nicht
unbedeutende Städte, Turdut (mit 20,000 Einwohnern) und Turschiö, wird
aber sehr wenig benutzt. Weit besuchter ist die zweite Straße, die sich nord¬
westlich nach Mesched und dann rein westlich über Nischapur und Sabsawar
nach Bostan und Schachrud zieht. Diese Straße von Khorassan bildet mit
ihrer östlichen Fortsetzung von Herat über Kandahar, Ghaöna und Kabul die
berühmte sogenannte Königsstraße, den alten VerbindLingsweg zwischen Iran
Und Hindostan über Afghanistan sowol für friedlich wandernde Handelskara¬
wanen, t is für erobernde Heeresmassen. Obgleich der mittelasiatische Kara¬
wanenhandel seit undenklichen Zeiten der Königsstraße im Allgemeinen treu
geblieben ist, so hat diese Straße doch in den Handelsbeziehungen ihren frühern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103396"/>
          <p xml:id="ID_918" prev="#ID_917"> naree führen 140 Stufen, welche Conolly hinanstieg und dann von der Höhe<lb/>
herab einen herrlichen Anblick der reizenden Landschaft ringsumher genoß. Die<lb/>
100,000 Einwohner, welche Herat nach ältern Angaben umfassen sollte, fand<lb/>
Conolly auf 43,000 herabgesunken. In dem Innern der Stadt herrscht überall<lb/>
ein unbeschreiblicher Schmuz, und in dieser Beziehung übertrifft Herat noch<lb/>
die andern dnrch ihre große Unreinlichkeit berüchtigten großen Städte des Mor¬<lb/>
genlandes, Konstantinopel und Kairo nicht ausgenommen. In den Straßen<lb/>
dieser &#x201E;Perle der Welt" trifft man überall Mistpfützen, stehende Sümpfe,<lb/>
faulende Aeser und drgl. als unerquickliche Zugaben zu den Trümmern alter<lb/>
architektonischer Pracht und Herrlichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_919" next="#ID_920"> Herat steht in politischer Wechselbeziehung zu Khorassan, das nie bestimmte<lb/>
Politische Grenzen gehabt hat, und als dessen eigentliche Hauptstadt Herat gilt,<lb/>
obgleich es.um der östlichen Vorderstufe dieses hohen Tafellandes liegt. Die<lb/>
persischen Geographen wollen unter Khorassan das ganze nördliche Persien<lb/>
verstanden wissen und ziehen nicht blos das paradiesische Grenzland am Heri-<lb/>
rub in den Umkreis von Khorassan, das Karl Ritter die &#x201E;Nordburg von Iran"<lb/>
nennt, sondern schieben die östliche Grenze bis zum Indus vor, so daß fast<lb/>
ganz Afghanistan unter diesen geographischen Begriff fällt, während für uns<lb/>
Khorassan östlich an den Grenzen von Afghanistan im weitern Sinne, also<lb/>
«n den Westgrenzen des Fürstenthums Herat, und nördlich an den Wüsten<lb/>
der Turkomanen endigt. Wie in frühern Zeiten die mongolischen Weltver-<lb/>
wüster von Herat gegen Khorassan anstüniuen, welches die Timuriden die<lb/>
»Brust von Iran" nannten, so haben in der neuern Zeit die Perser über<lb/>
Khorassan, das sich ihrer Botmäßigkeit entzogen hatte, den Weg nach Herat<lb/>
gesucht, bei welchen Operationen gewöhnlich Mescheb das Hauptquartier der<lb/>
Perser war. Zwei Straßen führen von Herat durch Khorassan nach Teheran,<lb/>
der Residenz des iranischen Schahinschah (d. i. König der Könige). Die kürzeste<lb/>
dieser beiden Straßen läuft am Nordrande der großen iranischen Wüste hin,<lb/>
von welcher ein großer Theil nebst beinahe dem ganzen Gebirgslande nördlich<lb/>
derselben, in den Kreis der Landschaft Khorassan fällt, und berührt zwei nicht<lb/>
unbedeutende Städte, Turdut (mit 20,000 Einwohnern) und Turschiö, wird<lb/>
aber sehr wenig benutzt. Weit besuchter ist die zweite Straße, die sich nord¬<lb/>
westlich nach Mesched und dann rein westlich über Nischapur und Sabsawar<lb/>
nach Bostan und Schachrud zieht. Diese Straße von Khorassan bildet mit<lb/>
ihrer östlichen Fortsetzung von Herat über Kandahar, Ghaöna und Kabul die<lb/>
berühmte sogenannte Königsstraße, den alten VerbindLingsweg zwischen Iran<lb/>
Und Hindostan über Afghanistan sowol für friedlich wandernde Handelskara¬<lb/>
wanen, t is für erobernde Heeresmassen. Obgleich der mittelasiatische Kara¬<lb/>
wanenhandel seit undenklichen Zeiten der Königsstraße im Allgemeinen treu<lb/>
geblieben ist, so hat diese Straße doch in den Handelsbeziehungen ihren frühern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] naree führen 140 Stufen, welche Conolly hinanstieg und dann von der Höhe herab einen herrlichen Anblick der reizenden Landschaft ringsumher genoß. Die 100,000 Einwohner, welche Herat nach ältern Angaben umfassen sollte, fand Conolly auf 43,000 herabgesunken. In dem Innern der Stadt herrscht überall ein unbeschreiblicher Schmuz, und in dieser Beziehung übertrifft Herat noch die andern dnrch ihre große Unreinlichkeit berüchtigten großen Städte des Mor¬ genlandes, Konstantinopel und Kairo nicht ausgenommen. In den Straßen dieser „Perle der Welt" trifft man überall Mistpfützen, stehende Sümpfe, faulende Aeser und drgl. als unerquickliche Zugaben zu den Trümmern alter architektonischer Pracht und Herrlichkeit. Herat steht in politischer Wechselbeziehung zu Khorassan, das nie bestimmte Politische Grenzen gehabt hat, und als dessen eigentliche Hauptstadt Herat gilt, obgleich es.um der östlichen Vorderstufe dieses hohen Tafellandes liegt. Die persischen Geographen wollen unter Khorassan das ganze nördliche Persien verstanden wissen und ziehen nicht blos das paradiesische Grenzland am Heri- rub in den Umkreis von Khorassan, das Karl Ritter die „Nordburg von Iran" nennt, sondern schieben die östliche Grenze bis zum Indus vor, so daß fast ganz Afghanistan unter diesen geographischen Begriff fällt, während für uns Khorassan östlich an den Grenzen von Afghanistan im weitern Sinne, also «n den Westgrenzen des Fürstenthums Herat, und nördlich an den Wüsten der Turkomanen endigt. Wie in frühern Zeiten die mongolischen Weltver- wüster von Herat gegen Khorassan anstüniuen, welches die Timuriden die »Brust von Iran" nannten, so haben in der neuern Zeit die Perser über Khorassan, das sich ihrer Botmäßigkeit entzogen hatte, den Weg nach Herat gesucht, bei welchen Operationen gewöhnlich Mescheb das Hauptquartier der Perser war. Zwei Straßen führen von Herat durch Khorassan nach Teheran, der Residenz des iranischen Schahinschah (d. i. König der Könige). Die kürzeste dieser beiden Straßen läuft am Nordrande der großen iranischen Wüste hin, von welcher ein großer Theil nebst beinahe dem ganzen Gebirgslande nördlich derselben, in den Kreis der Landschaft Khorassan fällt, und berührt zwei nicht unbedeutende Städte, Turdut (mit 20,000 Einwohnern) und Turschiö, wird aber sehr wenig benutzt. Weit besuchter ist die zweite Straße, die sich nord¬ westlich nach Mesched und dann rein westlich über Nischapur und Sabsawar nach Bostan und Schachrud zieht. Diese Straße von Khorassan bildet mit ihrer östlichen Fortsetzung von Herat über Kandahar, Ghaöna und Kabul die berühmte sogenannte Königsstraße, den alten VerbindLingsweg zwischen Iran Und Hindostan über Afghanistan sowol für friedlich wandernde Handelskara¬ wanen, t is für erobernde Heeresmassen. Obgleich der mittelasiatische Kara¬ wanenhandel seit undenklichen Zeiten der Königsstraße im Allgemeinen treu geblieben ist, so hat diese Straße doch in den Handelsbeziehungen ihren frühern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/263>, abgerufen am 23.07.2024.