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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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gewächs, keine Blume, und den größten und höchsten Baum bildet ein siechen¬
der Granatbaum. Große, zusammenhängende Waldungen gibt es im ganzen
Fürstenthum nicht, nur auf den nördlichen Abhängen der Berge des Herirud-
thalS zeigen sich einige lichte Wäldchen.

Was die Producte des Thierreichs betrifft, so gedeihen im südlichen
Theile des Fürstenthums, in Sedschestan, von Hausthieren nur Rindvieh,
Maulthiere und Esel, aber nicht Kameele, Pferde und selbst Schafe; einiges
Rindvieh wird nach Persien und Kandahar ausgeführt. Dagegen bilden im
nördlichen Herat dieselben Hausthiere, die man auch in Persien findet, den
Viehstand sowol der seßhaften, als der nomadisirenden Völkerschaften. DaS
Hcratschaf zeichnet sich durch feine Wolle aus, ebenso die Heratziege durch
feineres Haar, als anderwärts auf dem Plateau von Iran gewöhnlich ist.
Die Pferde dagegen sind weniger schön/ als die persischen, trotz der Nähe der
vorzüglichen turkomanischen Pferde. Die Einwohner treiben etwas Seiden-,
aber wenig Bienenzucht; ergiebiger ist die Fischerei in den Flüssen und im
Sarahsee. Das wilde Schwein richtet ans den Feldern an den stets wechseln¬
den Ufern dieses Sees große Verwüstungen an. Die Jagd auf Wildpret ist
ergiebig. DaS Mineralreich bietet in den Bergen um Herat hauptsächlich
Eisen und Blei dar; zu Obed (Oda) und Gurudsche sprudeln heiße Quellen,
die von vielen Heilungsbedürftigen besucht werden.

Die Befestigungen, mit denen alle Dörfer im nördlichen Theil des Fürsten-
thums Herat umgeben sind, erinnern daran, daß man sich hier auf einem der
Schlachtfelder der asiatischen Völker befindet.

Die Bevölkerung des Khanats besteht der Mehrzahl nach aus dem ein¬
heimischen Stamm der seßhaften, Ackerbau treibenden Tadschiks, welche die
zahlreichen Laster und die wenigen Tugenden ihrer Brüder in Persien theilen,
dann aus nomadisirenden Turkomanen, Afghanen, Hindus, in deren Händen
fast der ganze Handel sich befindet, Juden und Arabern. Die letztern stammen
entweder aus den Zeiten der Khalifen oder von denen, welche Schah Ismael,
der Stifter der Sefioynastie, hierher versetzte; sie besitzen etwa 6000 Zelte
zwischen Mesched und Herat. Die Afghanen und Araber bilden die Besitzer
oder Nutznießer des Bodens, den sie von den Tadschiks als Pächtern bestellen
lassen, und werden nicht blos durch ihre Abstammung, sondern auch durch
ihre Religion von den Persern getrennt. Sie sind nämlich Sunniten d. h-
Bekenner einer mündlichen Ueberlieferung (Sunna) im Islam, und betrachten
die Perser als Ketzer, weil diese Schiiten sind, welche keine Tradition aner¬
kennen und die ersten Khalifen als illegitim ansehen, dagegen den von den
letztern ausgeschlossenen Ali für den wahren Erben Mohammeds erklären.
In dieser sunnitischen Bevölkerung finden deshalb die Engländer natürliche,
von Fanatismus beseelte Verbündete gegen Persien.


gewächs, keine Blume, und den größten und höchsten Baum bildet ein siechen¬
der Granatbaum. Große, zusammenhängende Waldungen gibt es im ganzen
Fürstenthum nicht, nur auf den nördlichen Abhängen der Berge des Herirud-
thalS zeigen sich einige lichte Wäldchen.

Was die Producte des Thierreichs betrifft, so gedeihen im südlichen
Theile des Fürstenthums, in Sedschestan, von Hausthieren nur Rindvieh,
Maulthiere und Esel, aber nicht Kameele, Pferde und selbst Schafe; einiges
Rindvieh wird nach Persien und Kandahar ausgeführt. Dagegen bilden im
nördlichen Herat dieselben Hausthiere, die man auch in Persien findet, den
Viehstand sowol der seßhaften, als der nomadisirenden Völkerschaften. DaS
Hcratschaf zeichnet sich durch feine Wolle aus, ebenso die Heratziege durch
feineres Haar, als anderwärts auf dem Plateau von Iran gewöhnlich ist.
Die Pferde dagegen sind weniger schön/ als die persischen, trotz der Nähe der
vorzüglichen turkomanischen Pferde. Die Einwohner treiben etwas Seiden-,
aber wenig Bienenzucht; ergiebiger ist die Fischerei in den Flüssen und im
Sarahsee. Das wilde Schwein richtet ans den Feldern an den stets wechseln¬
den Ufern dieses Sees große Verwüstungen an. Die Jagd auf Wildpret ist
ergiebig. DaS Mineralreich bietet in den Bergen um Herat hauptsächlich
Eisen und Blei dar; zu Obed (Oda) und Gurudsche sprudeln heiße Quellen,
die von vielen Heilungsbedürftigen besucht werden.

Die Befestigungen, mit denen alle Dörfer im nördlichen Theil des Fürsten-
thums Herat umgeben sind, erinnern daran, daß man sich hier auf einem der
Schlachtfelder der asiatischen Völker befindet.

Die Bevölkerung des Khanats besteht der Mehrzahl nach aus dem ein¬
heimischen Stamm der seßhaften, Ackerbau treibenden Tadschiks, welche die
zahlreichen Laster und die wenigen Tugenden ihrer Brüder in Persien theilen,
dann aus nomadisirenden Turkomanen, Afghanen, Hindus, in deren Händen
fast der ganze Handel sich befindet, Juden und Arabern. Die letztern stammen
entweder aus den Zeiten der Khalifen oder von denen, welche Schah Ismael,
der Stifter der Sefioynastie, hierher versetzte; sie besitzen etwa 6000 Zelte
zwischen Mesched und Herat. Die Afghanen und Araber bilden die Besitzer
oder Nutznießer des Bodens, den sie von den Tadschiks als Pächtern bestellen
lassen, und werden nicht blos durch ihre Abstammung, sondern auch durch
ihre Religion von den Persern getrennt. Sie sind nämlich Sunniten d. h-
Bekenner einer mündlichen Ueberlieferung (Sunna) im Islam, und betrachten
die Perser als Ketzer, weil diese Schiiten sind, welche keine Tradition aner¬
kennen und die ersten Khalifen als illegitim ansehen, dagegen den von den
letztern ausgeschlossenen Ali für den wahren Erben Mohammeds erklären.
In dieser sunnitischen Bevölkerung finden deshalb die Engländer natürliche,
von Fanatismus beseelte Verbündete gegen Persien.


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[0260] gewächs, keine Blume, und den größten und höchsten Baum bildet ein siechen¬ der Granatbaum. Große, zusammenhängende Waldungen gibt es im ganzen Fürstenthum nicht, nur auf den nördlichen Abhängen der Berge des Herirud- thalS zeigen sich einige lichte Wäldchen. Was die Producte des Thierreichs betrifft, so gedeihen im südlichen Theile des Fürstenthums, in Sedschestan, von Hausthieren nur Rindvieh, Maulthiere und Esel, aber nicht Kameele, Pferde und selbst Schafe; einiges Rindvieh wird nach Persien und Kandahar ausgeführt. Dagegen bilden im nördlichen Herat dieselben Hausthiere, die man auch in Persien findet, den Viehstand sowol der seßhaften, als der nomadisirenden Völkerschaften. DaS Hcratschaf zeichnet sich durch feine Wolle aus, ebenso die Heratziege durch feineres Haar, als anderwärts auf dem Plateau von Iran gewöhnlich ist. Die Pferde dagegen sind weniger schön/ als die persischen, trotz der Nähe der vorzüglichen turkomanischen Pferde. Die Einwohner treiben etwas Seiden-, aber wenig Bienenzucht; ergiebiger ist die Fischerei in den Flüssen und im Sarahsee. Das wilde Schwein richtet ans den Feldern an den stets wechseln¬ den Ufern dieses Sees große Verwüstungen an. Die Jagd auf Wildpret ist ergiebig. DaS Mineralreich bietet in den Bergen um Herat hauptsächlich Eisen und Blei dar; zu Obed (Oda) und Gurudsche sprudeln heiße Quellen, die von vielen Heilungsbedürftigen besucht werden. Die Befestigungen, mit denen alle Dörfer im nördlichen Theil des Fürsten- thums Herat umgeben sind, erinnern daran, daß man sich hier auf einem der Schlachtfelder der asiatischen Völker befindet. Die Bevölkerung des Khanats besteht der Mehrzahl nach aus dem ein¬ heimischen Stamm der seßhaften, Ackerbau treibenden Tadschiks, welche die zahlreichen Laster und die wenigen Tugenden ihrer Brüder in Persien theilen, dann aus nomadisirenden Turkomanen, Afghanen, Hindus, in deren Händen fast der ganze Handel sich befindet, Juden und Arabern. Die letztern stammen entweder aus den Zeiten der Khalifen oder von denen, welche Schah Ismael, der Stifter der Sefioynastie, hierher versetzte; sie besitzen etwa 6000 Zelte zwischen Mesched und Herat. Die Afghanen und Araber bilden die Besitzer oder Nutznießer des Bodens, den sie von den Tadschiks als Pächtern bestellen lassen, und werden nicht blos durch ihre Abstammung, sondern auch durch ihre Religion von den Persern getrennt. Sie sind nämlich Sunniten d. h- Bekenner einer mündlichen Ueberlieferung (Sunna) im Islam, und betrachten die Perser als Ketzer, weil diese Schiiten sind, welche keine Tradition aner¬ kennen und die ersten Khalifen als illegitim ansehen, dagegen den von den letztern ausgeschlossenen Ali für den wahren Erben Mohammeds erklären. In dieser sunnitischen Bevölkerung finden deshalb die Engländer natürliche, von Fanatismus beseelte Verbündete gegen Persien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/260>, abgerufen am 25.08.2024.