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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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rauh mit Schelten, ich säße bei meiner Braut, ließe ihn sorgen und hälfe ihm
nicht, und war über mich erzürnt, daß der Herr Ruft genug abzuwehren und
zu trösten hatte. Mir war bei diesem dritten Anstoß und Verbitterung meiner
Hochzeitfreuden so bange, weil ich noch nicht gewöhnt war, so gescholten zu
werden, und bisher in der Regel gelobt und gut gehalten worden war; ich
sah wohl, wie es fortan gehen werde, wenn ich zu Zweien auf Kosten meines
Vaters leben müßte, so daß mir alles verleidet wurde. Ich ging mit Trauer
schlafen und dachte oft wie ein Narr, ich wollte wieder von parum.ziehen,
wenn nur das Thor offen gewesen wäre.

Am Morgen des 22. October, es war Se. Cäcilientag, war ich noch ganz
unmuthig, weil ich nicht viel geschlafen hatte. So legte ich mein Bräutigam¬
hemd, daS man mir geschickt hatte, an mit einem goldenen Kragen und viel
goldenen Spangen an einem kurzen Brustlatz, wie damals im Brauch war,
und zog ein rothseidenes Atlaswamms und leibfarbene Hosen an. So kam
ich herab und fand meinen Vater nicht mehr so unrichtig, denn als er wiever
klagen wollte, während doch alles im Ueberfluß da war, hatte er einen guten
Filz von der Frau Dorothea Schenkin bekommen, die auch hals und ein
barsches Weib war. Als sich die Hochzeitsleute bei uns versammelt hatten,
gingen wir in Procession vor meines Schwiegervaters Haus und mit mir
ging or. Oswaldus Berus, der trotz seinem gar hohen Alter auch roth ge¬
kleidet war, mit einem oben ausgeschnittenen seidenen Atlaswamms und einem
camelotmen Rock, wie ich einen anhatte, nebst dem sammtnen Barett, das
man mir vor der Hochzeiterin Haus aufsetzte, worauf eine Borte von Perlen
mit Blumen war. So zogen wir um neun Uhr in den Münster, darauf die
Hochzeiterin in einer leibfarbenen Schaube, die führte Herr Heinrich Petri.
Nach der Predigt gab man uns zusammen, ich schenkte ihr einen gewundenen
Ring .für acht Kronen. So zogen wir zum Jagdhof, wo man uns zu trinken
gab und ich die Hochzeiterin hineinführte, der man in der obern Stube reich¬
lich spendete.

Es waren fünfzehn Tische gedeckt, die alle wohlbesetzt waren, mit Mehr
als 130 Personen, ohne die, welche aufwarteten, von denen auch eine gute
Anzahl zum Nachtisch kam. Die Tractation geschah in folgender Weise. Man
setzte viermal auf, in folgender Ordnung: einen gehackten Lümmel, Suppe,
Fleisch, Hühner, gesottenen Hecht, Brot, Tauben. Hähne, Gänse, NeiömuS,
Lebersülze, Käse, Obst. Man hatte allerlei guten Wein, darunter Rangen¬
wein, der ihnen gar wohl schmeckte. Die Musik war Christelin der Bläser mit
seiner Viola, Cantoreö waren die Schüler, sie sangen unter anderem den
Gesang vom Löffeln.

Nach dem Essen, das nicht so lange währte, wie jetzt im Brauch ist,
dankte Herr Jacob Meyer, Rathsherr zum Bären, ab. Es führte or. My-


rauh mit Schelten, ich säße bei meiner Braut, ließe ihn sorgen und hälfe ihm
nicht, und war über mich erzürnt, daß der Herr Ruft genug abzuwehren und
zu trösten hatte. Mir war bei diesem dritten Anstoß und Verbitterung meiner
Hochzeitfreuden so bange, weil ich noch nicht gewöhnt war, so gescholten zu
werden, und bisher in der Regel gelobt und gut gehalten worden war; ich
sah wohl, wie es fortan gehen werde, wenn ich zu Zweien auf Kosten meines
Vaters leben müßte, so daß mir alles verleidet wurde. Ich ging mit Trauer
schlafen und dachte oft wie ein Narr, ich wollte wieder von parum.ziehen,
wenn nur das Thor offen gewesen wäre.

Am Morgen des 22. October, es war Se. Cäcilientag, war ich noch ganz
unmuthig, weil ich nicht viel geschlafen hatte. So legte ich mein Bräutigam¬
hemd, daS man mir geschickt hatte, an mit einem goldenen Kragen und viel
goldenen Spangen an einem kurzen Brustlatz, wie damals im Brauch war,
und zog ein rothseidenes Atlaswamms und leibfarbene Hosen an. So kam
ich herab und fand meinen Vater nicht mehr so unrichtig, denn als er wiever
klagen wollte, während doch alles im Ueberfluß da war, hatte er einen guten
Filz von der Frau Dorothea Schenkin bekommen, die auch hals und ein
barsches Weib war. Als sich die Hochzeitsleute bei uns versammelt hatten,
gingen wir in Procession vor meines Schwiegervaters Haus und mit mir
ging or. Oswaldus Berus, der trotz seinem gar hohen Alter auch roth ge¬
kleidet war, mit einem oben ausgeschnittenen seidenen Atlaswamms und einem
camelotmen Rock, wie ich einen anhatte, nebst dem sammtnen Barett, das
man mir vor der Hochzeiterin Haus aufsetzte, worauf eine Borte von Perlen
mit Blumen war. So zogen wir um neun Uhr in den Münster, darauf die
Hochzeiterin in einer leibfarbenen Schaube, die führte Herr Heinrich Petri.
Nach der Predigt gab man uns zusammen, ich schenkte ihr einen gewundenen
Ring .für acht Kronen. So zogen wir zum Jagdhof, wo man uns zu trinken
gab und ich die Hochzeiterin hineinführte, der man in der obern Stube reich¬
lich spendete.

Es waren fünfzehn Tische gedeckt, die alle wohlbesetzt waren, mit Mehr
als 130 Personen, ohne die, welche aufwarteten, von denen auch eine gute
Anzahl zum Nachtisch kam. Die Tractation geschah in folgender Weise. Man
setzte viermal auf, in folgender Ordnung: einen gehackten Lümmel, Suppe,
Fleisch, Hühner, gesottenen Hecht, Brot, Tauben. Hähne, Gänse, NeiömuS,
Lebersülze, Käse, Obst. Man hatte allerlei guten Wein, darunter Rangen¬
wein, der ihnen gar wohl schmeckte. Die Musik war Christelin der Bläser mit
seiner Viola, Cantoreö waren die Schüler, sie sangen unter anderem den
Gesang vom Löffeln.

Nach dem Essen, das nicht so lange währte, wie jetzt im Brauch ist,
dankte Herr Jacob Meyer, Rathsherr zum Bären, ab. Es führte or. My-


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[0244] rauh mit Schelten, ich säße bei meiner Braut, ließe ihn sorgen und hälfe ihm nicht, und war über mich erzürnt, daß der Herr Ruft genug abzuwehren und zu trösten hatte. Mir war bei diesem dritten Anstoß und Verbitterung meiner Hochzeitfreuden so bange, weil ich noch nicht gewöhnt war, so gescholten zu werden, und bisher in der Regel gelobt und gut gehalten worden war; ich sah wohl, wie es fortan gehen werde, wenn ich zu Zweien auf Kosten meines Vaters leben müßte, so daß mir alles verleidet wurde. Ich ging mit Trauer schlafen und dachte oft wie ein Narr, ich wollte wieder von parum.ziehen, wenn nur das Thor offen gewesen wäre. Am Morgen des 22. October, es war Se. Cäcilientag, war ich noch ganz unmuthig, weil ich nicht viel geschlafen hatte. So legte ich mein Bräutigam¬ hemd, daS man mir geschickt hatte, an mit einem goldenen Kragen und viel goldenen Spangen an einem kurzen Brustlatz, wie damals im Brauch war, und zog ein rothseidenes Atlaswamms und leibfarbene Hosen an. So kam ich herab und fand meinen Vater nicht mehr so unrichtig, denn als er wiever klagen wollte, während doch alles im Ueberfluß da war, hatte er einen guten Filz von der Frau Dorothea Schenkin bekommen, die auch hals und ein barsches Weib war. Als sich die Hochzeitsleute bei uns versammelt hatten, gingen wir in Procession vor meines Schwiegervaters Haus und mit mir ging or. Oswaldus Berus, der trotz seinem gar hohen Alter auch roth ge¬ kleidet war, mit einem oben ausgeschnittenen seidenen Atlaswamms und einem camelotmen Rock, wie ich einen anhatte, nebst dem sammtnen Barett, das man mir vor der Hochzeiterin Haus aufsetzte, worauf eine Borte von Perlen mit Blumen war. So zogen wir um neun Uhr in den Münster, darauf die Hochzeiterin in einer leibfarbenen Schaube, die führte Herr Heinrich Petri. Nach der Predigt gab man uns zusammen, ich schenkte ihr einen gewundenen Ring .für acht Kronen. So zogen wir zum Jagdhof, wo man uns zu trinken gab und ich die Hochzeiterin hineinführte, der man in der obern Stube reich¬ lich spendete. Es waren fünfzehn Tische gedeckt, die alle wohlbesetzt waren, mit Mehr als 130 Personen, ohne die, welche aufwarteten, von denen auch eine gute Anzahl zum Nachtisch kam. Die Tractation geschah in folgender Weise. Man setzte viermal auf, in folgender Ordnung: einen gehackten Lümmel, Suppe, Fleisch, Hühner, gesottenen Hecht, Brot, Tauben. Hähne, Gänse, NeiömuS, Lebersülze, Käse, Obst. Man hatte allerlei guten Wein, darunter Rangen¬ wein, der ihnen gar wohl schmeckte. Die Musik war Christelin der Bläser mit seiner Viola, Cantoreö waren die Schüler, sie sangen unter anderem den Gesang vom Löffeln. Nach dem Essen, das nicht so lange währte, wie jetzt im Brauch ist, dankte Herr Jacob Meyer, Rathsherr zum Bären, ab. Es führte or. My-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/244>, abgerufen am 23.07.2024.