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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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An KirmS.

"Herr Unzelmann tritt bei mir ein mit wunderlichen Reden, wie er einen
Brief von seiner Mutter habe, die sich doch sonst um seinen Vater nicht be¬
kümmert, daß sein Vater krank sei und daß die Gegenwart des liebenswürdigen
Jünglings in Berlin erwünscht und nothwendig sein möchte. Er bittet um
einen Urlaub, da jetzt die stille Woche eintritt u. s. w. . . Wenn irgend etwas
von Bedeutung vorgefallen wäre, so würden Vater und Mutter mir wohl
selbst schreiben; aber auf einen Brief hin, den er nicht einmal producirt,
Urlaub zu geben, den wir so streng verweigern, würde nicht räthlich sein.
Wollten Ew. Wohlgeb. wohl der Sache ein wenig näher auf den Grund
sehen.


G."

W. 10. März 1807.

An Kirmö.

"Beikommenden Brief, obgleich er nicht ganz communicabel aussieht, habe
ich in der Absicht geschrieben, daß Sie ihn nach Schleswig schicken können.
Uebrigens ist der Inhalt ganz meine aufrichtige Meinung und ich will ihn
daher nicht wieverholen. Ehe die Schauspieler von Leipzig zurück und wir
wieder persönlich zusammen sind, ehe ich unser Geschäft und die gegenwärtige
Lage desselben wieder einmal recht klar übersehe, kann ich mich unmöglich zu
irgend einer Veränderung entschließen, denn es ist eine alte Erfahrung: indem
man denkt, einem Uebel zu entgehen, fällt man in ein anderes; indem man
diese ober jene Mißverhältnisse zwischen Schauspielern zu heben glaubt, ent¬
springen neue durch neue Menschen.

Für SpitzeverS Tochter ist es wirklich Schade, denn wenn sie noch ein
Jahr in diesen Verhältnissen bleibt, so ist sie wahrscheinlich verloren. Hunger
und Kummer, keine Anweisung und keine Uebung, eine solche Lage für ein
Kind, das wirklich etwas verspricht, ist traurig genug, doch ist nicht daran zu
denken, daß man sie annehme, da alles, waS sie kann und vermag, auch
ohne sie recht gut bei uns geleistet wird.

Uebrigens kann ich von meinem Befinden sagen, daß es recht leiblich ist
und wegen der Folge muß man das Beste hoffen. Auch Durchlaucht dem
Herzog bekommt die Cur recht wohl, deswegen Sie auch etwas zugegeben
haben.

Sollte wieder ein Packet an mich ankommen, so bitte ich solches ja bis
zu meiner Rückkunft zu bewahren. Das Porto kommt sehr hoch; es. waren
Komödienzettel von Wien, deren Lectüre mich so viel als zwei Bouteillen guter
Melnicker kostet.

So bevölkert wie vor dem Jahr ist daS Bad nicht, doch sind noch immer
Menschen genug angekommen. Vom Theater habe ich zu sagen vergessen, daß
Mad. Weyrauch aus demselbigen die erste Liebhaberin in Sing-, Trauer-


An KirmS.

„Herr Unzelmann tritt bei mir ein mit wunderlichen Reden, wie er einen
Brief von seiner Mutter habe, die sich doch sonst um seinen Vater nicht be¬
kümmert, daß sein Vater krank sei und daß die Gegenwart des liebenswürdigen
Jünglings in Berlin erwünscht und nothwendig sein möchte. Er bittet um
einen Urlaub, da jetzt die stille Woche eintritt u. s. w. . . Wenn irgend etwas
von Bedeutung vorgefallen wäre, so würden Vater und Mutter mir wohl
selbst schreiben; aber auf einen Brief hin, den er nicht einmal producirt,
Urlaub zu geben, den wir so streng verweigern, würde nicht räthlich sein.
Wollten Ew. Wohlgeb. wohl der Sache ein wenig näher auf den Grund
sehen.


G."

W. 10. März 1807.

An Kirmö.

„Beikommenden Brief, obgleich er nicht ganz communicabel aussieht, habe
ich in der Absicht geschrieben, daß Sie ihn nach Schleswig schicken können.
Uebrigens ist der Inhalt ganz meine aufrichtige Meinung und ich will ihn
daher nicht wieverholen. Ehe die Schauspieler von Leipzig zurück und wir
wieder persönlich zusammen sind, ehe ich unser Geschäft und die gegenwärtige
Lage desselben wieder einmal recht klar übersehe, kann ich mich unmöglich zu
irgend einer Veränderung entschließen, denn es ist eine alte Erfahrung: indem
man denkt, einem Uebel zu entgehen, fällt man in ein anderes; indem man
diese ober jene Mißverhältnisse zwischen Schauspielern zu heben glaubt, ent¬
springen neue durch neue Menschen.

Für SpitzeverS Tochter ist es wirklich Schade, denn wenn sie noch ein
Jahr in diesen Verhältnissen bleibt, so ist sie wahrscheinlich verloren. Hunger
und Kummer, keine Anweisung und keine Uebung, eine solche Lage für ein
Kind, das wirklich etwas verspricht, ist traurig genug, doch ist nicht daran zu
denken, daß man sie annehme, da alles, waS sie kann und vermag, auch
ohne sie recht gut bei uns geleistet wird.

Uebrigens kann ich von meinem Befinden sagen, daß es recht leiblich ist
und wegen der Folge muß man das Beste hoffen. Auch Durchlaucht dem
Herzog bekommt die Cur recht wohl, deswegen Sie auch etwas zugegeben
haben.

Sollte wieder ein Packet an mich ankommen, so bitte ich solches ja bis
zu meiner Rückkunft zu bewahren. Das Porto kommt sehr hoch; es. waren
Komödienzettel von Wien, deren Lectüre mich so viel als zwei Bouteillen guter
Melnicker kostet.

So bevölkert wie vor dem Jahr ist daS Bad nicht, doch sind noch immer
Menschen genug angekommen. Vom Theater habe ich zu sagen vergessen, daß
Mad. Weyrauch aus demselbigen die erste Liebhaberin in Sing-, Trauer-


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[0232] An KirmS. „Herr Unzelmann tritt bei mir ein mit wunderlichen Reden, wie er einen Brief von seiner Mutter habe, die sich doch sonst um seinen Vater nicht be¬ kümmert, daß sein Vater krank sei und daß die Gegenwart des liebenswürdigen Jünglings in Berlin erwünscht und nothwendig sein möchte. Er bittet um einen Urlaub, da jetzt die stille Woche eintritt u. s. w. . . Wenn irgend etwas von Bedeutung vorgefallen wäre, so würden Vater und Mutter mir wohl selbst schreiben; aber auf einen Brief hin, den er nicht einmal producirt, Urlaub zu geben, den wir so streng verweigern, würde nicht räthlich sein. Wollten Ew. Wohlgeb. wohl der Sache ein wenig näher auf den Grund sehen. G." W. 10. März 1807. An Kirmö. „Beikommenden Brief, obgleich er nicht ganz communicabel aussieht, habe ich in der Absicht geschrieben, daß Sie ihn nach Schleswig schicken können. Uebrigens ist der Inhalt ganz meine aufrichtige Meinung und ich will ihn daher nicht wieverholen. Ehe die Schauspieler von Leipzig zurück und wir wieder persönlich zusammen sind, ehe ich unser Geschäft und die gegenwärtige Lage desselben wieder einmal recht klar übersehe, kann ich mich unmöglich zu irgend einer Veränderung entschließen, denn es ist eine alte Erfahrung: indem man denkt, einem Uebel zu entgehen, fällt man in ein anderes; indem man diese ober jene Mißverhältnisse zwischen Schauspielern zu heben glaubt, ent¬ springen neue durch neue Menschen. Für SpitzeverS Tochter ist es wirklich Schade, denn wenn sie noch ein Jahr in diesen Verhältnissen bleibt, so ist sie wahrscheinlich verloren. Hunger und Kummer, keine Anweisung und keine Uebung, eine solche Lage für ein Kind, das wirklich etwas verspricht, ist traurig genug, doch ist nicht daran zu denken, daß man sie annehme, da alles, waS sie kann und vermag, auch ohne sie recht gut bei uns geleistet wird. Uebrigens kann ich von meinem Befinden sagen, daß es recht leiblich ist und wegen der Folge muß man das Beste hoffen. Auch Durchlaucht dem Herzog bekommt die Cur recht wohl, deswegen Sie auch etwas zugegeben haben. Sollte wieder ein Packet an mich ankommen, so bitte ich solches ja bis zu meiner Rückkunft zu bewahren. Das Porto kommt sehr hoch; es. waren Komödienzettel von Wien, deren Lectüre mich so viel als zwei Bouteillen guter Melnicker kostet. So bevölkert wie vor dem Jahr ist daS Bad nicht, doch sind noch immer Menschen genug angekommen. Vom Theater habe ich zu sagen vergessen, daß Mad. Weyrauch aus demselbigen die erste Liebhaberin in Sing-, Trauer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/232>, abgerufen am 26.06.2024.