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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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spöttisches Lächeln kein Vertrauen gewinnen konnte, der aber über alle Dinge,
Kunst, Wissenschaft, Politik mit einer Entschiedenheit redete, als hätte er nichts
Anderes studirt, als den Gegenstand, mit dem er sich grade beschäftigte. Als
er einmal grade sehr glänzend geredet hatte, ging ein Bekannter ganz erstaunt
auf ihn zu und rief aus: "Aber Sie werden Minister werden!" Der junge
Mann nahm das Compliment hin, als ob es ihm nichts Neues wäre. Er
wurde in immer höhere Cirkel eingeführt, endlich auch bei Talleyrand, der ihn
sehr begünstigte und später das Bonmot auf ihn anwandte: 11 n'est, pas
parveriu, 11 ssl arrlvö.

Der Salon der beiden Freunde war der Sammelplatz der Oppositions-
männer von allen Nuancen, die aus politischen Zwecken sich zusammendrängten
und Thiers merkwürdige Aufschlüsse gaben, die er später bei seiner Geschichte
der Revolution sehr geschickt zu verwerthen wußte. Das Blatt, an dem er
schrieb, war das Organ der wohlhabenden Bourgeoisie, die, aus die Grund¬
sätze Voltaires und Condorcets gestützt, mehr die Junker und Pfaffen, als den
Absolutismus bekämpfte; und dies ist auch bei Thiers die Grundlage seiner
politischen Gesinnung. Er ist constitutionell gesinnt, weil er es als das beste
Mittel betrachtet, den Bürgerstand und seinen Kor ssns zum Mittelpunkt deS
Staatslebens zu machen. Diese Gesinnung spricht sich am kräftigsten in der
Kritik des Werks von Montlosier aus: I.K mcmsrcüne traneiüss (1822). Der
verbitterte Edelmann hatte den Bürgerstand mit Schmähungen überhäuft, ihm
seine Niedrigkeit, seinen Ehrgeiz und seinen Eigennutz vorgeworfen. "Ja, ruft
Thiers aus., auch wir haben Ansprüche wie ihr; es ist der Stolz, der bei
uns die Gleichheit verlangt, bei euch sie verweigert. Aber welcher Stolz ist
schuldig? Ihr behauptet, daß, wenn wir zur Gleichheit gekommen sind, wir
nach der Herrschaft streben und ebenso stolz sein werden wie ihr. Es ist
möglich, daß hochgestellte Plebejer sich vergessen werden wie ihr; aber bevor
das geschehen ist, erlaubt uns, euch zu tadeln. Gute und schlechte Menschen
gibt es unter allen Parteien; es kommt aber daraus an, wer in der Sache
Recht hat." Die Wirkungen dieser und ähnlicher Artikel waren lang und
bedeutend. Einen umfassenden Einfluß gewannen die beiden Freunde aber
erst, als sie in den Jahren 1823 bis -I8SL mit ihrer Geschichte der Revolution
hervortraten. Das Werk von Mignet wurde zuerst fertig, und je weniger
man darin eine geniale Kraft entdeckt, um so wichtiger ist es, zu untersuchen,
was darin so Ungewöhnliches enthalten war, um die Masse des europäischen
Publicums mit sich fortzureißen.

Man versinnliche sich die schlimmen Jahre der Restauration, in denen
jenes Werk entstand. In Frankreich wurde der Druck am lebhaftesten gefühlt,
theils weil der Umschlag am stärksten war, theils weil man noch immer Zu¬
ckungen des alten revolutionären Bluts in sich fühlte und sich von Zeit zu


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spöttisches Lächeln kein Vertrauen gewinnen konnte, der aber über alle Dinge,
Kunst, Wissenschaft, Politik mit einer Entschiedenheit redete, als hätte er nichts
Anderes studirt, als den Gegenstand, mit dem er sich grade beschäftigte. Als
er einmal grade sehr glänzend geredet hatte, ging ein Bekannter ganz erstaunt
auf ihn zu und rief aus: „Aber Sie werden Minister werden!" Der junge
Mann nahm das Compliment hin, als ob es ihm nichts Neues wäre. Er
wurde in immer höhere Cirkel eingeführt, endlich auch bei Talleyrand, der ihn
sehr begünstigte und später das Bonmot auf ihn anwandte: 11 n'est, pas
parveriu, 11 ssl arrlvö.

Der Salon der beiden Freunde war der Sammelplatz der Oppositions-
männer von allen Nuancen, die aus politischen Zwecken sich zusammendrängten
und Thiers merkwürdige Aufschlüsse gaben, die er später bei seiner Geschichte
der Revolution sehr geschickt zu verwerthen wußte. Das Blatt, an dem er
schrieb, war das Organ der wohlhabenden Bourgeoisie, die, aus die Grund¬
sätze Voltaires und Condorcets gestützt, mehr die Junker und Pfaffen, als den
Absolutismus bekämpfte; und dies ist auch bei Thiers die Grundlage seiner
politischen Gesinnung. Er ist constitutionell gesinnt, weil er es als das beste
Mittel betrachtet, den Bürgerstand und seinen Kor ssns zum Mittelpunkt deS
Staatslebens zu machen. Diese Gesinnung spricht sich am kräftigsten in der
Kritik des Werks von Montlosier aus: I.K mcmsrcüne traneiüss (1822). Der
verbitterte Edelmann hatte den Bürgerstand mit Schmähungen überhäuft, ihm
seine Niedrigkeit, seinen Ehrgeiz und seinen Eigennutz vorgeworfen. „Ja, ruft
Thiers aus., auch wir haben Ansprüche wie ihr; es ist der Stolz, der bei
uns die Gleichheit verlangt, bei euch sie verweigert. Aber welcher Stolz ist
schuldig? Ihr behauptet, daß, wenn wir zur Gleichheit gekommen sind, wir
nach der Herrschaft streben und ebenso stolz sein werden wie ihr. Es ist
möglich, daß hochgestellte Plebejer sich vergessen werden wie ihr; aber bevor
das geschehen ist, erlaubt uns, euch zu tadeln. Gute und schlechte Menschen
gibt es unter allen Parteien; es kommt aber daraus an, wer in der Sache
Recht hat." Die Wirkungen dieser und ähnlicher Artikel waren lang und
bedeutend. Einen umfassenden Einfluß gewannen die beiden Freunde aber
erst, als sie in den Jahren 1823 bis -I8SL mit ihrer Geschichte der Revolution
hervortraten. Das Werk von Mignet wurde zuerst fertig, und je weniger
man darin eine geniale Kraft entdeckt, um so wichtiger ist es, zu untersuchen,
was darin so Ungewöhnliches enthalten war, um die Masse des europäischen
Publicums mit sich fortzureißen.

Man versinnliche sich die schlimmen Jahre der Restauration, in denen
jenes Werk entstand. In Frankreich wurde der Druck am lebhaftesten gefühlt,
theils weil der Umschlag am stärksten war, theils weil man noch immer Zu¬
ckungen des alten revolutionären Bluts in sich fühlte und sich von Zeit zu


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[0211] spöttisches Lächeln kein Vertrauen gewinnen konnte, der aber über alle Dinge, Kunst, Wissenschaft, Politik mit einer Entschiedenheit redete, als hätte er nichts Anderes studirt, als den Gegenstand, mit dem er sich grade beschäftigte. Als er einmal grade sehr glänzend geredet hatte, ging ein Bekannter ganz erstaunt auf ihn zu und rief aus: „Aber Sie werden Minister werden!" Der junge Mann nahm das Compliment hin, als ob es ihm nichts Neues wäre. Er wurde in immer höhere Cirkel eingeführt, endlich auch bei Talleyrand, der ihn sehr begünstigte und später das Bonmot auf ihn anwandte: 11 n'est, pas parveriu, 11 ssl arrlvö. Der Salon der beiden Freunde war der Sammelplatz der Oppositions- männer von allen Nuancen, die aus politischen Zwecken sich zusammendrängten und Thiers merkwürdige Aufschlüsse gaben, die er später bei seiner Geschichte der Revolution sehr geschickt zu verwerthen wußte. Das Blatt, an dem er schrieb, war das Organ der wohlhabenden Bourgeoisie, die, aus die Grund¬ sätze Voltaires und Condorcets gestützt, mehr die Junker und Pfaffen, als den Absolutismus bekämpfte; und dies ist auch bei Thiers die Grundlage seiner politischen Gesinnung. Er ist constitutionell gesinnt, weil er es als das beste Mittel betrachtet, den Bürgerstand und seinen Kor ssns zum Mittelpunkt deS Staatslebens zu machen. Diese Gesinnung spricht sich am kräftigsten in der Kritik des Werks von Montlosier aus: I.K mcmsrcüne traneiüss (1822). Der verbitterte Edelmann hatte den Bürgerstand mit Schmähungen überhäuft, ihm seine Niedrigkeit, seinen Ehrgeiz und seinen Eigennutz vorgeworfen. „Ja, ruft Thiers aus., auch wir haben Ansprüche wie ihr; es ist der Stolz, der bei uns die Gleichheit verlangt, bei euch sie verweigert. Aber welcher Stolz ist schuldig? Ihr behauptet, daß, wenn wir zur Gleichheit gekommen sind, wir nach der Herrschaft streben und ebenso stolz sein werden wie ihr. Es ist möglich, daß hochgestellte Plebejer sich vergessen werden wie ihr; aber bevor das geschehen ist, erlaubt uns, euch zu tadeln. Gute und schlechte Menschen gibt es unter allen Parteien; es kommt aber daraus an, wer in der Sache Recht hat." Die Wirkungen dieser und ähnlicher Artikel waren lang und bedeutend. Einen umfassenden Einfluß gewannen die beiden Freunde aber erst, als sie in den Jahren 1823 bis -I8SL mit ihrer Geschichte der Revolution hervortraten. Das Werk von Mignet wurde zuerst fertig, und je weniger man darin eine geniale Kraft entdeckt, um so wichtiger ist es, zu untersuchen, was darin so Ungewöhnliches enthalten war, um die Masse des europäischen Publicums mit sich fortzureißen. Man versinnliche sich die schlimmen Jahre der Restauration, in denen jenes Werk entstand. In Frankreich wurde der Druck am lebhaftesten gefühlt, theils weil der Umschlag am stärksten war, theils weil man noch immer Zu¬ ckungen des alten revolutionären Bluts in sich fühlte und sich von Zeit zu 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/211>, abgerufen am 23.07.2024.