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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Metallgeräthe die ewig wiederkehrenden Koffer und Laden in den Inventarien
schwer vereinigen, und unter allen Ordonnanzen der französischen Könige be¬
fremdet uns jene vielleicht am meisten, welche den Hofleuten verbietet, den
Parisern die Kissen und Matratzen für den Gebrauch des königlichen Gefolges
wegzunehmen. Es fehlte also ein wichtiger Theil des bürgerlichen HausratheS
selbst in der gewöhnlichen seit Menschengedenken bewohnten königlichen Residenz.
Unser Staunen verliert sich, wenn wir die Wanderlust des Mittelalters, die
Gewohnheit deS stetigen Wohnwechsels bei den französischen Großen erwägen.
Blos die nothwendigsten Einrichtungsstücke, wie die hölzernen Bettladen, die
Gestelle, auf welche das Tafel- und Küchengeschirr gereiht wurde, blieben in
den Palästen und Schlössern dauernd bewahrt, alles Uebrige zog im Gefolge
der Herrschaft bald hierhin, bald dorthin, es wurde ausgepackt, wenn diese
ihre Wohnung bezog, und eingepackt, wenn sie nach einem andern Aufenthalte
sich begab. Natürlich daß Gestalt und Form der Möbel auf den leichten
Transport und zwar auf den Transport durch Saumthiere berechnet waren,
daß man z. B. Tischplatte und Tischgestell trennte, letzteres beweglich einrich¬
tete, daß man namentlich mit zahlreichen Koffern und Laden sich versah, die
auch als Bänke und Tische benutzt werden konnten und beinahe qllen übrigen
Hausrath ersetzten.

Wir möchten den Nachrichten über daS alte pariser Haus eine größere
Vollständigkrit wünschen, aber auch in ihrer gegenwärtigen lückenhaften Form
liefern sie einzelne wichtige Züge zum richtigen Verständniß des mittelalterlichen
Lebens. Sie entfernen die Meinung: weil wir die Zahl der Holzmöbel ge¬
ring, ihre Gestalt einförmig vorfanden, so müssen wir jenem Zeitalter über¬
haupt eine idyllisch einfache Lebensweise zuschreiben.

Die Prachtliebe, der Sinn für Lurus lebten damals ebenso kräftig, als
heutzutage, nur daß sie sich in anderen Dingen äußerten und in anderer
Weise befriedigt wurden. Versetzen wir uns in ein Prunkgemach jener Zeit,
so werden im ersten Augenblicke die vielen Koffer und Laden demselben ein
armseliges Aussehen verleihen. Denken wir uns aber die letzteren geöffnet,
ihren reichen und mannigfachen Inhalt in zierlicher Ordnung ausgestellt und
dem Auge des Besuchers vorgerückt. Auf den Tischen und ärsssoirs prangen
dann die zahllosen Prachtgefäße, in deren Fertigung die mittelalterliche Gold¬
schmiedekunst ihres Gleichen sucht, die in den verschiedenartigsten Formen aus
Gold, silver, Krystall gebildeten und mit Edelsteinen besetzten oder emaillir-
ter Fontänen, Wärmpfannen, Wasserkannen, Salzgefäße, die Dreifüße, die
Waschbecken, deren Wichtigkeit und Nutzen bei Tische und der Sitte zu zweien
aus einer Schüssel und ohne Gabel zu essen, gar wol einleuchtet, die mannig¬
fachen Trinkbecher und Schalen, die unter dem Namen narmp, eoupv,


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Metallgeräthe die ewig wiederkehrenden Koffer und Laden in den Inventarien
schwer vereinigen, und unter allen Ordonnanzen der französischen Könige be¬
fremdet uns jene vielleicht am meisten, welche den Hofleuten verbietet, den
Parisern die Kissen und Matratzen für den Gebrauch des königlichen Gefolges
wegzunehmen. Es fehlte also ein wichtiger Theil des bürgerlichen HausratheS
selbst in der gewöhnlichen seit Menschengedenken bewohnten königlichen Residenz.
Unser Staunen verliert sich, wenn wir die Wanderlust des Mittelalters, die
Gewohnheit deS stetigen Wohnwechsels bei den französischen Großen erwägen.
Blos die nothwendigsten Einrichtungsstücke, wie die hölzernen Bettladen, die
Gestelle, auf welche das Tafel- und Küchengeschirr gereiht wurde, blieben in
den Palästen und Schlössern dauernd bewahrt, alles Uebrige zog im Gefolge
der Herrschaft bald hierhin, bald dorthin, es wurde ausgepackt, wenn diese
ihre Wohnung bezog, und eingepackt, wenn sie nach einem andern Aufenthalte
sich begab. Natürlich daß Gestalt und Form der Möbel auf den leichten
Transport und zwar auf den Transport durch Saumthiere berechnet waren,
daß man z. B. Tischplatte und Tischgestell trennte, letzteres beweglich einrich¬
tete, daß man namentlich mit zahlreichen Koffern und Laden sich versah, die
auch als Bänke und Tische benutzt werden konnten und beinahe qllen übrigen
Hausrath ersetzten.

Wir möchten den Nachrichten über daS alte pariser Haus eine größere
Vollständigkrit wünschen, aber auch in ihrer gegenwärtigen lückenhaften Form
liefern sie einzelne wichtige Züge zum richtigen Verständniß des mittelalterlichen
Lebens. Sie entfernen die Meinung: weil wir die Zahl der Holzmöbel ge¬
ring, ihre Gestalt einförmig vorfanden, so müssen wir jenem Zeitalter über¬
haupt eine idyllisch einfache Lebensweise zuschreiben.

Die Prachtliebe, der Sinn für Lurus lebten damals ebenso kräftig, als
heutzutage, nur daß sie sich in anderen Dingen äußerten und in anderer
Weise befriedigt wurden. Versetzen wir uns in ein Prunkgemach jener Zeit,
so werden im ersten Augenblicke die vielen Koffer und Laden demselben ein
armseliges Aussehen verleihen. Denken wir uns aber die letzteren geöffnet,
ihren reichen und mannigfachen Inhalt in zierlicher Ordnung ausgestellt und
dem Auge des Besuchers vorgerückt. Auf den Tischen und ärsssoirs prangen
dann die zahllosen Prachtgefäße, in deren Fertigung die mittelalterliche Gold¬
schmiedekunst ihres Gleichen sucht, die in den verschiedenartigsten Formen aus
Gold, silver, Krystall gebildeten und mit Edelsteinen besetzten oder emaillir-
ter Fontänen, Wärmpfannen, Wasserkannen, Salzgefäße, die Dreifüße, die
Waschbecken, deren Wichtigkeit und Nutzen bei Tische und der Sitte zu zweien
aus einer Schüssel und ohne Gabel zu essen, gar wol einleuchtet, die mannig¬
fachen Trinkbecher und Schalen, die unter dem Namen narmp, eoupv,


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[0203] Metallgeräthe die ewig wiederkehrenden Koffer und Laden in den Inventarien schwer vereinigen, und unter allen Ordonnanzen der französischen Könige be¬ fremdet uns jene vielleicht am meisten, welche den Hofleuten verbietet, den Parisern die Kissen und Matratzen für den Gebrauch des königlichen Gefolges wegzunehmen. Es fehlte also ein wichtiger Theil des bürgerlichen HausratheS selbst in der gewöhnlichen seit Menschengedenken bewohnten königlichen Residenz. Unser Staunen verliert sich, wenn wir die Wanderlust des Mittelalters, die Gewohnheit deS stetigen Wohnwechsels bei den französischen Großen erwägen. Blos die nothwendigsten Einrichtungsstücke, wie die hölzernen Bettladen, die Gestelle, auf welche das Tafel- und Küchengeschirr gereiht wurde, blieben in den Palästen und Schlössern dauernd bewahrt, alles Uebrige zog im Gefolge der Herrschaft bald hierhin, bald dorthin, es wurde ausgepackt, wenn diese ihre Wohnung bezog, und eingepackt, wenn sie nach einem andern Aufenthalte sich begab. Natürlich daß Gestalt und Form der Möbel auf den leichten Transport und zwar auf den Transport durch Saumthiere berechnet waren, daß man z. B. Tischplatte und Tischgestell trennte, letzteres beweglich einrich¬ tete, daß man namentlich mit zahlreichen Koffern und Laden sich versah, die auch als Bänke und Tische benutzt werden konnten und beinahe qllen übrigen Hausrath ersetzten. Wir möchten den Nachrichten über daS alte pariser Haus eine größere Vollständigkrit wünschen, aber auch in ihrer gegenwärtigen lückenhaften Form liefern sie einzelne wichtige Züge zum richtigen Verständniß des mittelalterlichen Lebens. Sie entfernen die Meinung: weil wir die Zahl der Holzmöbel ge¬ ring, ihre Gestalt einförmig vorfanden, so müssen wir jenem Zeitalter über¬ haupt eine idyllisch einfache Lebensweise zuschreiben. Die Prachtliebe, der Sinn für Lurus lebten damals ebenso kräftig, als heutzutage, nur daß sie sich in anderen Dingen äußerten und in anderer Weise befriedigt wurden. Versetzen wir uns in ein Prunkgemach jener Zeit, so werden im ersten Augenblicke die vielen Koffer und Laden demselben ein armseliges Aussehen verleihen. Denken wir uns aber die letzteren geöffnet, ihren reichen und mannigfachen Inhalt in zierlicher Ordnung ausgestellt und dem Auge des Besuchers vorgerückt. Auf den Tischen und ärsssoirs prangen dann die zahllosen Prachtgefäße, in deren Fertigung die mittelalterliche Gold¬ schmiedekunst ihres Gleichen sucht, die in den verschiedenartigsten Formen aus Gold, silver, Krystall gebildeten und mit Edelsteinen besetzten oder emaillir- ter Fontänen, Wärmpfannen, Wasserkannen, Salzgefäße, die Dreifüße, die Waschbecken, deren Wichtigkeit und Nutzen bei Tische und der Sitte zu zweien aus einer Schüssel und ohne Gabel zu essen, gar wol einleuchtet, die mannig¬ fachen Trinkbecher und Schalen, die unter dem Namen narmp, eoupv, 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/203>, abgerufen am 22.07.2024.