Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Mund legt, vermindern die Absurdität durchaus nicht. Aber es ist
freilich nothwendig, daß das Pferd in die Stadt an demselben Tage gebracht
wird, an dem die Griechen sich entfernen; denn sonst würde es noch unglaub¬
licher sein, daß 1000 griechische Schiffe so nahe bei Troja verborgen bleiben
konnten."

"Die schöne und fesselnde Episode von Laokoon bedarf keines Lobes, kann
aber die Abgeschmacktheit in der Handlungsweise der Trojaner nicht vermin¬
dern; denn es wäre leicht gewesen, daS hölzerne Pferd wenige Tage an seinem
Platz im freien Felde zu lassen und sich zu versichern, daß die feindliche Flotte
wirklich davon gesegelt sei, ehe man daran ging die Mauern einzureißen, um
das hölzerne Pferd in die Stadt zu lassen."

Freilich ist die Handlungsweise der Trojaner nach strategischen Principien
nicht zu entschuldigen. Aber abgesehn davon, daß sie Nach diesen ebensowenig
beurtheilt werden darf, als die Kämpfe der Ritter von der Tafelrunde oder
der Nibelungen, bedarf es wol kaum noch einer Erinnerung, daß grade die
Bethörung der Trojaner, die sie selbst zum Werkzeuge ihrer eignen Vernichtung
macht, ein wesentliches Moment der Sage ist. Auch hier ist übrigens wieder
die Herabsetzung Virgils gegen Homer ungerecht; denn wenn in der Jliade
das hölzerne Pferd nicht vorkommt, so geschieht dies nur darum, weil vie
Eroberung Trojas in dem Gedicht nicht erzählt wird; in der Odyssee aber wird
es ganz ausdrücklich erwähnt.

Die alten Erklärer Virgils, welche die Sache von demselben Standpunkt
aus betrachteten, als Napoleon, haben verzweifelte Anstrengungen gemacht,
um das hölzerne Pferd zu retten, ohne die historische Wahrscheinlichkeit auf¬
zugeben. Einige sagen, eS sei eine Belagerungsmaschine gewesen, die den
Namen Pferd geführt habe, so wie andre Widder und Schildkröten hießen,
andre, über dem Thor, das der Verräther Antenvr den Griechen öffnete, sei
als Erkennungszeichen ein Pferd gemalt gewesen; noch andere, daß "Pferd" die
griechische Parole beim Sturm gewesen sei; endlich gab es auch die für einen
Taktiker haarsträubende Erklärung, Troja sei in einem Cavaleriegefecht einge¬
nommen worden. Aber dergleichen Lächerlichkeiten sind die unvermeidlichen
Consequenzen der Voraussetzung, daß ein historischer Kern in jeder Sage ein¬
halten sein müsse, und daß es möglich sei, ihn aus seinen Hüllen herauszulösen.




in den Mund legt, vermindern die Absurdität durchaus nicht. Aber es ist
freilich nothwendig, daß das Pferd in die Stadt an demselben Tage gebracht
wird, an dem die Griechen sich entfernen; denn sonst würde es noch unglaub¬
licher sein, daß 1000 griechische Schiffe so nahe bei Troja verborgen bleiben
konnten."

„Die schöne und fesselnde Episode von Laokoon bedarf keines Lobes, kann
aber die Abgeschmacktheit in der Handlungsweise der Trojaner nicht vermin¬
dern; denn es wäre leicht gewesen, daS hölzerne Pferd wenige Tage an seinem
Platz im freien Felde zu lassen und sich zu versichern, daß die feindliche Flotte
wirklich davon gesegelt sei, ehe man daran ging die Mauern einzureißen, um
das hölzerne Pferd in die Stadt zu lassen."

Freilich ist die Handlungsweise der Trojaner nach strategischen Principien
nicht zu entschuldigen. Aber abgesehn davon, daß sie Nach diesen ebensowenig
beurtheilt werden darf, als die Kämpfe der Ritter von der Tafelrunde oder
der Nibelungen, bedarf es wol kaum noch einer Erinnerung, daß grade die
Bethörung der Trojaner, die sie selbst zum Werkzeuge ihrer eignen Vernichtung
macht, ein wesentliches Moment der Sage ist. Auch hier ist übrigens wieder
die Herabsetzung Virgils gegen Homer ungerecht; denn wenn in der Jliade
das hölzerne Pferd nicht vorkommt, so geschieht dies nur darum, weil vie
Eroberung Trojas in dem Gedicht nicht erzählt wird; in der Odyssee aber wird
es ganz ausdrücklich erwähnt.

Die alten Erklärer Virgils, welche die Sache von demselben Standpunkt
aus betrachteten, als Napoleon, haben verzweifelte Anstrengungen gemacht,
um das hölzerne Pferd zu retten, ohne die historische Wahrscheinlichkeit auf¬
zugeben. Einige sagen, eS sei eine Belagerungsmaschine gewesen, die den
Namen Pferd geführt habe, so wie andre Widder und Schildkröten hießen,
andre, über dem Thor, das der Verräther Antenvr den Griechen öffnete, sei
als Erkennungszeichen ein Pferd gemalt gewesen; noch andere, daß „Pferd" die
griechische Parole beim Sturm gewesen sei; endlich gab es auch die für einen
Taktiker haarsträubende Erklärung, Troja sei in einem Cavaleriegefecht einge¬
nommen worden. Aber dergleichen Lächerlichkeiten sind die unvermeidlichen
Consequenzen der Voraussetzung, daß ein historischer Kern in jeder Sage ein¬
halten sein müsse, und daß es möglich sei, ihn aus seinen Hüllen herauszulösen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103314"/>
            <p xml:id="ID_591" prev="#ID_590"> in den Mund legt, vermindern die Absurdität durchaus nicht. Aber es ist<lb/>
freilich nothwendig, daß das Pferd in die Stadt an demselben Tage gebracht<lb/>
wird, an dem die Griechen sich entfernen; denn sonst würde es noch unglaub¬<lb/>
licher sein, daß 1000 griechische Schiffe so nahe bei Troja verborgen bleiben<lb/>
konnten."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_592"> &#x201E;Die schöne und fesselnde Episode von Laokoon bedarf keines Lobes, kann<lb/>
aber die Abgeschmacktheit in der Handlungsweise der Trojaner nicht vermin¬<lb/>
dern; denn es wäre leicht gewesen, daS hölzerne Pferd wenige Tage an seinem<lb/>
Platz im freien Felde zu lassen und sich zu versichern, daß die feindliche Flotte<lb/>
wirklich davon gesegelt sei, ehe man daran ging die Mauern einzureißen, um<lb/>
das hölzerne Pferd in die Stadt zu lassen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_593"> Freilich ist die Handlungsweise der Trojaner nach strategischen Principien<lb/>
nicht zu entschuldigen. Aber abgesehn davon, daß sie Nach diesen ebensowenig<lb/>
beurtheilt werden darf, als die Kämpfe der Ritter von der Tafelrunde oder<lb/>
der Nibelungen, bedarf es wol kaum noch einer Erinnerung, daß grade die<lb/>
Bethörung der Trojaner, die sie selbst zum Werkzeuge ihrer eignen Vernichtung<lb/>
macht, ein wesentliches Moment der Sage ist. Auch hier ist übrigens wieder<lb/>
die Herabsetzung Virgils gegen Homer ungerecht; denn wenn in der Jliade<lb/>
das hölzerne Pferd nicht vorkommt, so geschieht dies nur darum, weil vie<lb/>
Eroberung Trojas in dem Gedicht nicht erzählt wird; in der Odyssee aber wird<lb/>
es ganz ausdrücklich erwähnt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_594"> Die alten Erklärer Virgils, welche die Sache von demselben Standpunkt<lb/>
aus betrachteten, als Napoleon, haben verzweifelte Anstrengungen gemacht,<lb/>
um das hölzerne Pferd zu retten, ohne die historische Wahrscheinlichkeit auf¬<lb/>
zugeben. Einige sagen, eS sei eine Belagerungsmaschine gewesen, die den<lb/>
Namen Pferd geführt habe, so wie andre Widder und Schildkröten hießen,<lb/>
andre, über dem Thor, das der Verräther Antenvr den Griechen öffnete, sei<lb/>
als Erkennungszeichen ein Pferd gemalt gewesen; noch andere, daß &#x201E;Pferd" die<lb/>
griechische Parole beim Sturm gewesen sei; endlich gab es auch die für einen<lb/>
Taktiker haarsträubende Erklärung, Troja sei in einem Cavaleriegefecht einge¬<lb/>
nommen worden. Aber dergleichen Lächerlichkeiten sind die unvermeidlichen<lb/>
Consequenzen der Voraussetzung, daß ein historischer Kern in jeder Sage ein¬<lb/>
halten sein müsse, und daß es möglich sei, ihn aus seinen Hüllen herauszulösen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] in den Mund legt, vermindern die Absurdität durchaus nicht. Aber es ist freilich nothwendig, daß das Pferd in die Stadt an demselben Tage gebracht wird, an dem die Griechen sich entfernen; denn sonst würde es noch unglaub¬ licher sein, daß 1000 griechische Schiffe so nahe bei Troja verborgen bleiben konnten." „Die schöne und fesselnde Episode von Laokoon bedarf keines Lobes, kann aber die Abgeschmacktheit in der Handlungsweise der Trojaner nicht vermin¬ dern; denn es wäre leicht gewesen, daS hölzerne Pferd wenige Tage an seinem Platz im freien Felde zu lassen und sich zu versichern, daß die feindliche Flotte wirklich davon gesegelt sei, ehe man daran ging die Mauern einzureißen, um das hölzerne Pferd in die Stadt zu lassen." Freilich ist die Handlungsweise der Trojaner nach strategischen Principien nicht zu entschuldigen. Aber abgesehn davon, daß sie Nach diesen ebensowenig beurtheilt werden darf, als die Kämpfe der Ritter von der Tafelrunde oder der Nibelungen, bedarf es wol kaum noch einer Erinnerung, daß grade die Bethörung der Trojaner, die sie selbst zum Werkzeuge ihrer eignen Vernichtung macht, ein wesentliches Moment der Sage ist. Auch hier ist übrigens wieder die Herabsetzung Virgils gegen Homer ungerecht; denn wenn in der Jliade das hölzerne Pferd nicht vorkommt, so geschieht dies nur darum, weil vie Eroberung Trojas in dem Gedicht nicht erzählt wird; in der Odyssee aber wird es ganz ausdrücklich erwähnt. Die alten Erklärer Virgils, welche die Sache von demselben Standpunkt aus betrachteten, als Napoleon, haben verzweifelte Anstrengungen gemacht, um das hölzerne Pferd zu retten, ohne die historische Wahrscheinlichkeit auf¬ zugeben. Einige sagen, eS sei eine Belagerungsmaschine gewesen, die den Namen Pferd geführt habe, so wie andre Widder und Schildkröten hießen, andre, über dem Thor, das der Verräther Antenvr den Griechen öffnete, sei als Erkennungszeichen ein Pferd gemalt gewesen; noch andere, daß „Pferd" die griechische Parole beim Sturm gewesen sei; endlich gab es auch die für einen Taktiker haarsträubende Erklärung, Troja sei in einem Cavaleriegefecht einge¬ nommen worden. Aber dergleichen Lächerlichkeiten sind die unvermeidlichen Consequenzen der Voraussetzung, daß ein historischer Kern in jeder Sage ein¬ halten sein müsse, und daß es möglich sei, ihn aus seinen Hüllen herauszulösen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/181>, abgerufen am 22.12.2024.