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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Uebrigens gründet er die Idee seines Dichterruhms mehr auf die Zukunft, als
auf die Vergangenheit. Er spricht von seinen frühern minniglichen Leistungen,
die ihm die Gunst der Frauen gewonnen, ziemlich geringschätzig, und verspricht
jetzt ein Lied für Männer zu singen.


Doch wer von Frauen klug und ernst mag lauschen' --
Auch diese will mein Heldensang umrauschen.

Das Stück enthält 386 enggedruckte Seiten. Darunter gehört ein guter Theil
den Nolkssceneu an, die in der herkömmlichen Form des Coriolan und Egmont
abgefaßt sind, nur daß sie fast auf jeder Seite durch ein "Donnerwetter"
(wahrscheinlich eine freie Uebersetzung von Goddam) bekräftigt werden. Die
Äntriguanten des Stücks, Cromwell, Cranmer und Anna Boleyn, sind schwarze
Bösewichter. I" Heinrich dem Achten selbst streiten gute Eigenschaften mir
den bösen; die letztern erhalten erst durch den entscheidenden Sündenfall, nämlich
durch die Lossagung von dem Papst, das Uebergewicht. Wenn nun die Farben
dieses Gemäldes auch gar zu schwarz sind, so wird doch wol kein Protestant
für die Tugend jener Männer in die Schranken treten wollen, und wenn der
Dichter aus der Gegenüberstellung dieser Personen und deS katholischen Kanzlers
Thomas Morus, den er als das höchste Ideal der Tugend, als einen voll¬
endeten Heiligen darstellt, die Folgerung zieht, der Katholicismus mache die
Menschen tugendhaft und der Protestantismus lasterhaft, so mag man einem
Tendenzdichter auch diese Verallgemeinerung nachsehn, wenn er sie freimüthig
eingesteht, da das historische Drama unmöglich die Aufgabe haben kann, die
historische Anschauung zu rectificiren. Herr von Redwitz ist Katholik, und er
sucht seine Kirche zu verherrlichen, was natürlich auf die wohlfeilste Weise
dadurch geschieht, daß er die Gegner derselben herabsetzt. Interessanter muß
es uns sein, wie er sich sein Ideal vorstellt. Zunächst fällt uns bei seinem
Heiligen ein starker Ansatz zum Servilismus auf. Die Sprache, die er ihn
gegen Heinrich den Achten führen läßt, war zwar durch die Furcht vor einem
jähzornigen Herrn, der einem widersprechenden Unterthan ohne weiteres den
Kopf abschlagen lassen konnte, motivirt; aber warum wählt Herr von Revwitz
grade einen Heiligen, der in der Lage ist, einem halb wahnsinnigen Tyrannen
fade Schmeicheleien zu sagen, sich vor einem Charakter, den er als ehrlicher
Mann verachten muß, in den Staub zu werfen? -- Er wählt ihn darum,
weil er in seinem Herzen nicht blos Ultramontan, sondern auch Absolutist ist.
Er theilt die Ansicht Heinrichs des Achten, daß niam auch einem Nero nur
passiven Widerstand entgegensetzen dürfe. Thomas Morus wird auf die Probe
gestellt. Heinrich deutet ihm seine Absicht an. England vom Papst loszureißen,
waS nach den Ansichten des Kanzlers ein furchtbares Verbrechen ist. Er fragt
ihn, was er in diesem Fall thun würde, und erhält folgende Antwort:


Uebrigens gründet er die Idee seines Dichterruhms mehr auf die Zukunft, als
auf die Vergangenheit. Er spricht von seinen frühern minniglichen Leistungen,
die ihm die Gunst der Frauen gewonnen, ziemlich geringschätzig, und verspricht
jetzt ein Lied für Männer zu singen.


Doch wer von Frauen klug und ernst mag lauschen' —
Auch diese will mein Heldensang umrauschen.

Das Stück enthält 386 enggedruckte Seiten. Darunter gehört ein guter Theil
den Nolkssceneu an, die in der herkömmlichen Form des Coriolan und Egmont
abgefaßt sind, nur daß sie fast auf jeder Seite durch ein „Donnerwetter"
(wahrscheinlich eine freie Uebersetzung von Goddam) bekräftigt werden. Die
Äntriguanten des Stücks, Cromwell, Cranmer und Anna Boleyn, sind schwarze
Bösewichter. I» Heinrich dem Achten selbst streiten gute Eigenschaften mir
den bösen; die letztern erhalten erst durch den entscheidenden Sündenfall, nämlich
durch die Lossagung von dem Papst, das Uebergewicht. Wenn nun die Farben
dieses Gemäldes auch gar zu schwarz sind, so wird doch wol kein Protestant
für die Tugend jener Männer in die Schranken treten wollen, und wenn der
Dichter aus der Gegenüberstellung dieser Personen und deS katholischen Kanzlers
Thomas Morus, den er als das höchste Ideal der Tugend, als einen voll¬
endeten Heiligen darstellt, die Folgerung zieht, der Katholicismus mache die
Menschen tugendhaft und der Protestantismus lasterhaft, so mag man einem
Tendenzdichter auch diese Verallgemeinerung nachsehn, wenn er sie freimüthig
eingesteht, da das historische Drama unmöglich die Aufgabe haben kann, die
historische Anschauung zu rectificiren. Herr von Redwitz ist Katholik, und er
sucht seine Kirche zu verherrlichen, was natürlich auf die wohlfeilste Weise
dadurch geschieht, daß er die Gegner derselben herabsetzt. Interessanter muß
es uns sein, wie er sich sein Ideal vorstellt. Zunächst fällt uns bei seinem
Heiligen ein starker Ansatz zum Servilismus auf. Die Sprache, die er ihn
gegen Heinrich den Achten führen läßt, war zwar durch die Furcht vor einem
jähzornigen Herrn, der einem widersprechenden Unterthan ohne weiteres den
Kopf abschlagen lassen konnte, motivirt; aber warum wählt Herr von Revwitz
grade einen Heiligen, der in der Lage ist, einem halb wahnsinnigen Tyrannen
fade Schmeicheleien zu sagen, sich vor einem Charakter, den er als ehrlicher
Mann verachten muß, in den Staub zu werfen? — Er wählt ihn darum,
weil er in seinem Herzen nicht blos Ultramontan, sondern auch Absolutist ist.
Er theilt die Ansicht Heinrichs des Achten, daß niam auch einem Nero nur
passiven Widerstand entgegensetzen dürfe. Thomas Morus wird auf die Probe
gestellt. Heinrich deutet ihm seine Absicht an. England vom Papst loszureißen,
waS nach den Ansichten des Kanzlers ein furchtbares Verbrechen ist. Er fragt
ihn, was er in diesem Fall thun würde, und erhält folgende Antwort:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/143>, abgerufen am 22.07.2024.