Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.ihn auch; aber das Mittel verwandelt sich ihm in den Zweck, und man wird ihn auch; aber das Mittel verwandelt sich ihm in den Zweck, und man wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103271"/> <p xml:id="ID_447" prev="#ID_446" next="#ID_448"> ihn auch; aber das Mittel verwandelt sich ihm in den Zweck, und man wird<lb/> nicht selten verwirrt, wenn zwischen dem Bild und dem Gegenbild alle Ver¬<lb/> mittlung fehlt. Ja zuweilen, freilich nur in seltenen Fällen, geht der bloße<lb/> Klang mit ihm durch, und die folgende Phrase S. 90 würden wir uns nicht<lb/> wundern in den Unterhaltungen am häuslichen Herd anzutreffen: „Was ist<lb/> Wohlthätigkeit, die in Geldspenden besteht? Eine in die Hand gelegte Kraft,<lb/> die wiederum von ihr entäußert wird." Es ist daS einzige Beispiel dieser Art,<lb/> aber Auerbach darf sich auch nicht ein einziges zu Schulden kommen lassen.<lb/> Seine eigne Methode der Induction legt er dann auch seinen Figuren in den<lb/> Mund, und hier können wir uns bei aller Achtung vor seinem vieljährigen<lb/> Studium des Bauernlebens der Bemerkung nicht erwehren, daß er nicht selten<lb/> seine Bauern reden läßt, wie noch nie ein Bauer geredet hat, noch je ein<lb/> Bauer reden kann. So spricht z. B. S. 68. eine arme alte Tagelöhnerin:<lb/> „Wer weiß, wenn man in späteren Jahren das wieder bekäme, was einen<lb/> in der Kindheit ganz glücklich gemacht hat, ich glaube, es hätte auch nur<lb/> noch den halben Schlag wie deine Kuckuksuhr. Wenn ichs dir nur lehren<lb/> könnte, Kind! eS hat mir viel gekostet, bis ichs gelernt habe: Wünsch dir nie<lb/> was von gestern! Aber freilich, so etwas kann man nicht schenken; das kriegt<lb/> man nur für einen halben Schoppen Schweiß und einen halben Schoppen<lb/> Thränen gut durcheinandergeschüttelt. DaS kauft man in keiner Apothek."<lb/> Welch Uebermaß von Abstraktionen versteckt sich hinter diesem beiläufig ent¬<lb/> setzlich unschönen Bilde. Wenn die Meerkatzen in der faustischen Here mit<lb/> Schweiß und mit Blut eine Krone leimen wollen, so hat das einen hand¬<lb/> greiflichen Sinn; aber den Schweiß schoppenweis messen, ihn mit Thränen<lb/> durchschütteln und dann für diese Mischung in der Apotheke die Erinnerung<lb/> an die Kindheit wiederkaufen, die beiläufig nur noch den halben Schlag haben<lb/> soll, —so etwas würde keiner Bäuerin einfallen; und es ist auch dem Dichter<lb/> nicht eingefallen; sondern er hat es sich ausgeklügelt. So glauben wir auch<lb/> nicht, daß ein Tagelöhner von sich selbst sagen würde, er sei.nicht ganz Kohle<lb/> geworden, und auch nicht frisch Holz mehr. Dergleichen Dinge läßt man sich<lb/> in einer idealistischen Form, in Versen gefallen; wo aber der ganze Ton<lb/> realistisch ist, muß man den Maßstab der Naturwahrheit anlegen. Wir wollen<lb/> von den zahlreichen Beispielen derselben Art nur noch eins anführen, S. 38:<lb/> „Warum bleiben nur die Bäume stehen, daß man sie allzeit sieht? Warum<lb/> wird nicht auch ein Wort so etwas wie ein Baum, das steht sest und man<lb/> kann sich dran halten? Ja, es kommt nur darauf an, ob man will, da hat<lb/> mens so gut wie einen Baum." Das Bedenkliche bei dieser künstlich gestei¬<lb/> gerten Bildlichkeit liegt darin, daß sie nicht in der Form stehen bleibt, sondern<lb/> auch die Wahrheit der Charakteristik beeinträchtigt. Auerbach sieht seine Cha¬<lb/> raktere nicht als etwas Ganzes vor sich, sondern er setzt sie aus einzelnen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
ihn auch; aber das Mittel verwandelt sich ihm in den Zweck, und man wird
nicht selten verwirrt, wenn zwischen dem Bild und dem Gegenbild alle Ver¬
mittlung fehlt. Ja zuweilen, freilich nur in seltenen Fällen, geht der bloße
Klang mit ihm durch, und die folgende Phrase S. 90 würden wir uns nicht
wundern in den Unterhaltungen am häuslichen Herd anzutreffen: „Was ist
Wohlthätigkeit, die in Geldspenden besteht? Eine in die Hand gelegte Kraft,
die wiederum von ihr entäußert wird." Es ist daS einzige Beispiel dieser Art,
aber Auerbach darf sich auch nicht ein einziges zu Schulden kommen lassen.
Seine eigne Methode der Induction legt er dann auch seinen Figuren in den
Mund, und hier können wir uns bei aller Achtung vor seinem vieljährigen
Studium des Bauernlebens der Bemerkung nicht erwehren, daß er nicht selten
seine Bauern reden läßt, wie noch nie ein Bauer geredet hat, noch je ein
Bauer reden kann. So spricht z. B. S. 68. eine arme alte Tagelöhnerin:
„Wer weiß, wenn man in späteren Jahren das wieder bekäme, was einen
in der Kindheit ganz glücklich gemacht hat, ich glaube, es hätte auch nur
noch den halben Schlag wie deine Kuckuksuhr. Wenn ichs dir nur lehren
könnte, Kind! eS hat mir viel gekostet, bis ichs gelernt habe: Wünsch dir nie
was von gestern! Aber freilich, so etwas kann man nicht schenken; das kriegt
man nur für einen halben Schoppen Schweiß und einen halben Schoppen
Thränen gut durcheinandergeschüttelt. DaS kauft man in keiner Apothek."
Welch Uebermaß von Abstraktionen versteckt sich hinter diesem beiläufig ent¬
setzlich unschönen Bilde. Wenn die Meerkatzen in der faustischen Here mit
Schweiß und mit Blut eine Krone leimen wollen, so hat das einen hand¬
greiflichen Sinn; aber den Schweiß schoppenweis messen, ihn mit Thränen
durchschütteln und dann für diese Mischung in der Apotheke die Erinnerung
an die Kindheit wiederkaufen, die beiläufig nur noch den halben Schlag haben
soll, —so etwas würde keiner Bäuerin einfallen; und es ist auch dem Dichter
nicht eingefallen; sondern er hat es sich ausgeklügelt. So glauben wir auch
nicht, daß ein Tagelöhner von sich selbst sagen würde, er sei.nicht ganz Kohle
geworden, und auch nicht frisch Holz mehr. Dergleichen Dinge läßt man sich
in einer idealistischen Form, in Versen gefallen; wo aber der ganze Ton
realistisch ist, muß man den Maßstab der Naturwahrheit anlegen. Wir wollen
von den zahlreichen Beispielen derselben Art nur noch eins anführen, S. 38:
„Warum bleiben nur die Bäume stehen, daß man sie allzeit sieht? Warum
wird nicht auch ein Wort so etwas wie ein Baum, das steht sest und man
kann sich dran halten? Ja, es kommt nur darauf an, ob man will, da hat
mens so gut wie einen Baum." Das Bedenkliche bei dieser künstlich gestei¬
gerten Bildlichkeit liegt darin, daß sie nicht in der Form stehen bleibt, sondern
auch die Wahrheit der Charakteristik beeinträchtigt. Auerbach sieht seine Cha¬
raktere nicht als etwas Ganzes vor sich, sondern er setzt sie aus einzelnen
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