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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Goethe selbst schrieb am -I I. December 97 an Rambach:

Das von Ew. Wohlgeb. vormals anhergesendete Stück ist seit einigen Ta¬
gen in meinen Händen. Ich verfehle nicht solches zu melden und erwarte wei¬
tere Anweisung, wohin ich dasselbe zu senden habe. Der Ankauf neuer Manu-
scripte wird von unserer Oberdirection meistens abgelehnt, da unser Publicum,
wie wir leider aus der Erfahrung wissen, uns in solchen Fällen sür die Aus¬
lage selten entschädiget.

Ich habe die Ehre mich Ihrem geneigten Andenken zu empfehlen und
G. wünsche recht wohl zu leben.

"r. Aloys Weißenbach, k. k. Rath und Professor in Salzburg, hatte ein
Stück eingesendet, das in Wien auf dem Hofthearer sehr gefallen, und um
Goethes Urtheil gebeten. Dieser antwortet:

So angenehm es mir ist, mich in der Gegenwart mit Künstlern über
ihre Arbeiten zu unterhalten, so unmöglich wird mir dies in die Ferne. Man
muß erst über gar manche Maximen einverstanden sein, ehe man über ein
Kunsturtheil wechselseitig klar werden kann. Verzeihen Sie daher, wenn ich
auf Ihr Trauerspiel "der Brautkranz" nur so viel erwiedere, daß für uns
der Dialog zu ausführlich ist, und fast durchaus die Handlung allzusehr rc-
tardirt. Wäre das Stück um ein Drittel kürzer, so dürste es wol auch auf
unserer Bühne versucht werden. Doch eine solche Operation, die nur dein
Autor geziemt, ir-urbe diesem selbst schwer werden, weil eben der ausführliche
gemüthliche Ton durch das ganze Stück geht und ein vorzügliches Verdienst
desselben ausmacht. Mehr sage ich nicht, als daß ich bedauere, daß die Ent¬
fernung mich hindert, Ew. Wvhlgeb. und Ihre theure Gattin persönlich kennen
zu lernen: Das Manuscript folgt hierbei mit Dank zurück.


Goethe.

Weimar, 3. März 1809.

Wie Goethe die Thcaterdisciplin unter den Mitgliedern handhabte, solle"
folgende Beispiele lehren.

Entrüstet meldet Kirms an Goethe folgenden Scandal: Madame Burgs-
dvrf soll als Zauberin auf der Redoute gewesen sein und dem Herzog einige
ans ihrer Feder geflossene französische Verse überreicht haben, dann aber als
Diana sehr wollüstig gekleidet erschienen sein, sich betrunken und von einigen
Herrn -- (attakiren) -- lassen, so daß jedermann mit Abscheu davon spricht.
Diese Vorfälle bringen die Redoute in üblen Ruf und man muß wirklich
darauf denken, daß eine Polizei dieses Unfugs wegen etablirt werde. Ich wollte
gern auch über diesen Theil der Lustbarkeiten wachen, allein ich kann keine
ganze Nacht mehr ausdauern und am andern Tage dabei meine Geschäfte be¬
treiben; außerdem habe ich auch ein zu kurzes Auge, um dergleichen Dinge
zu bemerken.

Der Herr Lieutenant M. soll öffentlich gezeigt haben, wie bekannt er mit


Is*

Goethe selbst schrieb am -I I. December 97 an Rambach:

Das von Ew. Wohlgeb. vormals anhergesendete Stück ist seit einigen Ta¬
gen in meinen Händen. Ich verfehle nicht solches zu melden und erwarte wei¬
tere Anweisung, wohin ich dasselbe zu senden habe. Der Ankauf neuer Manu-
scripte wird von unserer Oberdirection meistens abgelehnt, da unser Publicum,
wie wir leider aus der Erfahrung wissen, uns in solchen Fällen sür die Aus¬
lage selten entschädiget.

Ich habe die Ehre mich Ihrem geneigten Andenken zu empfehlen und
G. wünsche recht wohl zu leben.

»r. Aloys Weißenbach, k. k. Rath und Professor in Salzburg, hatte ein
Stück eingesendet, das in Wien auf dem Hofthearer sehr gefallen, und um
Goethes Urtheil gebeten. Dieser antwortet:

So angenehm es mir ist, mich in der Gegenwart mit Künstlern über
ihre Arbeiten zu unterhalten, so unmöglich wird mir dies in die Ferne. Man
muß erst über gar manche Maximen einverstanden sein, ehe man über ein
Kunsturtheil wechselseitig klar werden kann. Verzeihen Sie daher, wenn ich
auf Ihr Trauerspiel „der Brautkranz" nur so viel erwiedere, daß für uns
der Dialog zu ausführlich ist, und fast durchaus die Handlung allzusehr rc-
tardirt. Wäre das Stück um ein Drittel kürzer, so dürste es wol auch auf
unserer Bühne versucht werden. Doch eine solche Operation, die nur dein
Autor geziemt, ir-urbe diesem selbst schwer werden, weil eben der ausführliche
gemüthliche Ton durch das ganze Stück geht und ein vorzügliches Verdienst
desselben ausmacht. Mehr sage ich nicht, als daß ich bedauere, daß die Ent¬
fernung mich hindert, Ew. Wvhlgeb. und Ihre theure Gattin persönlich kennen
zu lernen: Das Manuscript folgt hierbei mit Dank zurück.


Goethe.

Weimar, 3. März 1809.

Wie Goethe die Thcaterdisciplin unter den Mitgliedern handhabte, solle»
folgende Beispiele lehren.

Entrüstet meldet Kirms an Goethe folgenden Scandal: Madame Burgs-
dvrf soll als Zauberin auf der Redoute gewesen sein und dem Herzog einige
ans ihrer Feder geflossene französische Verse überreicht haben, dann aber als
Diana sehr wollüstig gekleidet erschienen sein, sich betrunken und von einigen
Herrn — (attakiren) — lassen, so daß jedermann mit Abscheu davon spricht.
Diese Vorfälle bringen die Redoute in üblen Ruf und man muß wirklich
darauf denken, daß eine Polizei dieses Unfugs wegen etablirt werde. Ich wollte
gern auch über diesen Theil der Lustbarkeiten wachen, allein ich kann keine
ganze Nacht mehr ausdauern und am andern Tage dabei meine Geschäfte be¬
treiben; außerdem habe ich auch ein zu kurzes Auge, um dergleichen Dinge
zu bemerken.

Der Herr Lieutenant M. soll öffentlich gezeigt haben, wie bekannt er mit


Is*
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[0131] Goethe selbst schrieb am -I I. December 97 an Rambach: Das von Ew. Wohlgeb. vormals anhergesendete Stück ist seit einigen Ta¬ gen in meinen Händen. Ich verfehle nicht solches zu melden und erwarte wei¬ tere Anweisung, wohin ich dasselbe zu senden habe. Der Ankauf neuer Manu- scripte wird von unserer Oberdirection meistens abgelehnt, da unser Publicum, wie wir leider aus der Erfahrung wissen, uns in solchen Fällen sür die Aus¬ lage selten entschädiget. Ich habe die Ehre mich Ihrem geneigten Andenken zu empfehlen und G. wünsche recht wohl zu leben. »r. Aloys Weißenbach, k. k. Rath und Professor in Salzburg, hatte ein Stück eingesendet, das in Wien auf dem Hofthearer sehr gefallen, und um Goethes Urtheil gebeten. Dieser antwortet: So angenehm es mir ist, mich in der Gegenwart mit Künstlern über ihre Arbeiten zu unterhalten, so unmöglich wird mir dies in die Ferne. Man muß erst über gar manche Maximen einverstanden sein, ehe man über ein Kunsturtheil wechselseitig klar werden kann. Verzeihen Sie daher, wenn ich auf Ihr Trauerspiel „der Brautkranz" nur so viel erwiedere, daß für uns der Dialog zu ausführlich ist, und fast durchaus die Handlung allzusehr rc- tardirt. Wäre das Stück um ein Drittel kürzer, so dürste es wol auch auf unserer Bühne versucht werden. Doch eine solche Operation, die nur dein Autor geziemt, ir-urbe diesem selbst schwer werden, weil eben der ausführliche gemüthliche Ton durch das ganze Stück geht und ein vorzügliches Verdienst desselben ausmacht. Mehr sage ich nicht, als daß ich bedauere, daß die Ent¬ fernung mich hindert, Ew. Wvhlgeb. und Ihre theure Gattin persönlich kennen zu lernen: Das Manuscript folgt hierbei mit Dank zurück. Goethe. Weimar, 3. März 1809. Wie Goethe die Thcaterdisciplin unter den Mitgliedern handhabte, solle» folgende Beispiele lehren. Entrüstet meldet Kirms an Goethe folgenden Scandal: Madame Burgs- dvrf soll als Zauberin auf der Redoute gewesen sein und dem Herzog einige ans ihrer Feder geflossene französische Verse überreicht haben, dann aber als Diana sehr wollüstig gekleidet erschienen sein, sich betrunken und von einigen Herrn — (attakiren) — lassen, so daß jedermann mit Abscheu davon spricht. Diese Vorfälle bringen die Redoute in üblen Ruf und man muß wirklich darauf denken, daß eine Polizei dieses Unfugs wegen etablirt werde. Ich wollte gern auch über diesen Theil der Lustbarkeiten wachen, allein ich kann keine ganze Nacht mehr ausdauern und am andern Tage dabei meine Geschäfte be¬ treiben; außerdem habe ich auch ein zu kurzes Auge, um dergleichen Dinge zu bemerken. Der Herr Lieutenant M. soll öffentlich gezeigt haben, wie bekannt er mit Is*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/131>, abgerufen am 22.12.2024.