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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Receptionssalon, setzte Sich dann auf das CanapL und wies schweigend auf die
Stelle nebeNzSich, um sie dem fürstlichen Oheim anzubieten. Dieser setzte Sich
und sah mit scheuen Blicken die unglückliche Fürstin an, invem Er einige kaum
vernehmbare Worte sprach, die sich auf die Tagesereignisse bezogen. So viel
ich mich erinnere, erwiederte die Königin hierauf nichts, um dem Herzog keine
Veranlassung zu geben, Ihre Rede nachtheilig zu deuten. Auf diese Weise
endete die Audienz nach kurzer Dauer. Der Herzog hatte nachdem Seiner
Gemahlin gesagt: "Es sei Ihm kränkend gewesen, baß die Königin einen Schleier
getragen habe, und so Ihm den Anblick Ihres Gesichts entzogen." Diesen
Vorwurf machte Höchstderselben die Herzogin bei dem nächsten Besuche. Die
Königin erwiederte, daß der Herzog wahrscheinlich durch Ihren Anblick so
verwirrt gewesen sei, daß sich ein Schleier über Seine Augen gelegt habe,
da Sie, die Königin, gar nichts auf dem Kopf gehabt habe, nicht einmal
eine Haube.

Die unglückliche Königsfamilie ward streng in Haga bewacht. Schild¬
wachen mit scharfgeladenen Gewehr umringten den Pavillon, in welchem die
Königin'wohnte. Die Königlichen Kinder bewohnten einen Pavillon in der
Nähe und konnten frei umhergehen. Niemand ward zugelassen, mit Ausnahme
des Herzoglichen Paares, und derjenigen Personen, die der Regent Geschäfte
halber zur Königin sandte. Jedoch durfte Sie dieselben nur in Gegenwart
des HofdiensteS sehen, und dies Personal war sämmtlich im Solde des Her¬
zogs. Dennoch hatte die Königspartei Mittel gefunden, die Königin wissen
zu lassen, Sie möge mit dem Kronprinzen plötzlich in Stockholm erscheinen,
wo eine bedeutende Partei zu Ihren Gunsten eine Gegenrevolution bewirken
werde. Die Königin erwiederte, daß Sie gerne dazu erbötig wäre, man möge
Ihr nur die Mittel angeben, um aus Ihrer Haft bis in die Residenz zu ge¬
langen, Sie scheue keine Mühe, auch nicht Gefahr, doch könne Sie ohne
Schutz ein solches Unternehmen nicht beginnen. Dabei blieb es, die Partei
war entweder nicht mächtig genug, oder zu zaghaft; genug, niemand hatte
Muth, die Königin nach der Hauptstadt zu führen. Sie hat mir oft von
dem Schmerz gesprochen, der Sie erfüllte, wenn Sie Sich verlassen und ver¬
rathen, allein mit Ihren Kindern, in der Hand Ihrer Feinde sah, von der
Angst, die sich Ihrer bemächtigte, wenn Sie an den König dachte, an die
Gefahren, die Ihn umschwebten und denen Er weder Muth, noch Willen
entgegenstellen konnte, und an die Möglichkeit, daß man Seinem Leben ein
Ende mache, daß Er vielleicht schon nicht mehr lebe, ohne daß Sie es erfah¬
ren, und noch weniger hindern könne. Der Gedanke an die Zukunft Ihrer
Kinder, besonders Ihres Sohnes, gab ihr eine namenlose Traurigkeit, nir¬
gend zeigte sich Ihr ein Ausweg, keine vertraute Seele, der Sie die Ihrige
hätte erschließen können, nirgend ein Trost, als bei Gott, aber diesem über-


Receptionssalon, setzte Sich dann auf das CanapL und wies schweigend auf die
Stelle nebeNzSich, um sie dem fürstlichen Oheim anzubieten. Dieser setzte Sich
und sah mit scheuen Blicken die unglückliche Fürstin an, invem Er einige kaum
vernehmbare Worte sprach, die sich auf die Tagesereignisse bezogen. So viel
ich mich erinnere, erwiederte die Königin hierauf nichts, um dem Herzog keine
Veranlassung zu geben, Ihre Rede nachtheilig zu deuten. Auf diese Weise
endete die Audienz nach kurzer Dauer. Der Herzog hatte nachdem Seiner
Gemahlin gesagt: „Es sei Ihm kränkend gewesen, baß die Königin einen Schleier
getragen habe, und so Ihm den Anblick Ihres Gesichts entzogen." Diesen
Vorwurf machte Höchstderselben die Herzogin bei dem nächsten Besuche. Die
Königin erwiederte, daß der Herzog wahrscheinlich durch Ihren Anblick so
verwirrt gewesen sei, daß sich ein Schleier über Seine Augen gelegt habe,
da Sie, die Königin, gar nichts auf dem Kopf gehabt habe, nicht einmal
eine Haube.

Die unglückliche Königsfamilie ward streng in Haga bewacht. Schild¬
wachen mit scharfgeladenen Gewehr umringten den Pavillon, in welchem die
Königin'wohnte. Die Königlichen Kinder bewohnten einen Pavillon in der
Nähe und konnten frei umhergehen. Niemand ward zugelassen, mit Ausnahme
des Herzoglichen Paares, und derjenigen Personen, die der Regent Geschäfte
halber zur Königin sandte. Jedoch durfte Sie dieselben nur in Gegenwart
des HofdiensteS sehen, und dies Personal war sämmtlich im Solde des Her¬
zogs. Dennoch hatte die Königspartei Mittel gefunden, die Königin wissen
zu lassen, Sie möge mit dem Kronprinzen plötzlich in Stockholm erscheinen,
wo eine bedeutende Partei zu Ihren Gunsten eine Gegenrevolution bewirken
werde. Die Königin erwiederte, daß Sie gerne dazu erbötig wäre, man möge
Ihr nur die Mittel angeben, um aus Ihrer Haft bis in die Residenz zu ge¬
langen, Sie scheue keine Mühe, auch nicht Gefahr, doch könne Sie ohne
Schutz ein solches Unternehmen nicht beginnen. Dabei blieb es, die Partei
war entweder nicht mächtig genug, oder zu zaghaft; genug, niemand hatte
Muth, die Königin nach der Hauptstadt zu führen. Sie hat mir oft von
dem Schmerz gesprochen, der Sie erfüllte, wenn Sie Sich verlassen und ver¬
rathen, allein mit Ihren Kindern, in der Hand Ihrer Feinde sah, von der
Angst, die sich Ihrer bemächtigte, wenn Sie an den König dachte, an die
Gefahren, die Ihn umschwebten und denen Er weder Muth, noch Willen
entgegenstellen konnte, und an die Möglichkeit, daß man Seinem Leben ein
Ende mache, daß Er vielleicht schon nicht mehr lebe, ohne daß Sie es erfah¬
ren, und noch weniger hindern könne. Der Gedanke an die Zukunft Ihrer
Kinder, besonders Ihres Sohnes, gab ihr eine namenlose Traurigkeit, nir¬
gend zeigte sich Ihr ein Ausweg, keine vertraute Seele, der Sie die Ihrige
hätte erschließen können, nirgend ein Trost, als bei Gott, aber diesem über-


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[0114] Receptionssalon, setzte Sich dann auf das CanapL und wies schweigend auf die Stelle nebeNzSich, um sie dem fürstlichen Oheim anzubieten. Dieser setzte Sich und sah mit scheuen Blicken die unglückliche Fürstin an, invem Er einige kaum vernehmbare Worte sprach, die sich auf die Tagesereignisse bezogen. So viel ich mich erinnere, erwiederte die Königin hierauf nichts, um dem Herzog keine Veranlassung zu geben, Ihre Rede nachtheilig zu deuten. Auf diese Weise endete die Audienz nach kurzer Dauer. Der Herzog hatte nachdem Seiner Gemahlin gesagt: „Es sei Ihm kränkend gewesen, baß die Königin einen Schleier getragen habe, und so Ihm den Anblick Ihres Gesichts entzogen." Diesen Vorwurf machte Höchstderselben die Herzogin bei dem nächsten Besuche. Die Königin erwiederte, daß der Herzog wahrscheinlich durch Ihren Anblick so verwirrt gewesen sei, daß sich ein Schleier über Seine Augen gelegt habe, da Sie, die Königin, gar nichts auf dem Kopf gehabt habe, nicht einmal eine Haube. Die unglückliche Königsfamilie ward streng in Haga bewacht. Schild¬ wachen mit scharfgeladenen Gewehr umringten den Pavillon, in welchem die Königin'wohnte. Die Königlichen Kinder bewohnten einen Pavillon in der Nähe und konnten frei umhergehen. Niemand ward zugelassen, mit Ausnahme des Herzoglichen Paares, und derjenigen Personen, die der Regent Geschäfte halber zur Königin sandte. Jedoch durfte Sie dieselben nur in Gegenwart des HofdiensteS sehen, und dies Personal war sämmtlich im Solde des Her¬ zogs. Dennoch hatte die Königspartei Mittel gefunden, die Königin wissen zu lassen, Sie möge mit dem Kronprinzen plötzlich in Stockholm erscheinen, wo eine bedeutende Partei zu Ihren Gunsten eine Gegenrevolution bewirken werde. Die Königin erwiederte, daß Sie gerne dazu erbötig wäre, man möge Ihr nur die Mittel angeben, um aus Ihrer Haft bis in die Residenz zu ge¬ langen, Sie scheue keine Mühe, auch nicht Gefahr, doch könne Sie ohne Schutz ein solches Unternehmen nicht beginnen. Dabei blieb es, die Partei war entweder nicht mächtig genug, oder zu zaghaft; genug, niemand hatte Muth, die Königin nach der Hauptstadt zu führen. Sie hat mir oft von dem Schmerz gesprochen, der Sie erfüllte, wenn Sie Sich verlassen und ver¬ rathen, allein mit Ihren Kindern, in der Hand Ihrer Feinde sah, von der Angst, die sich Ihrer bemächtigte, wenn Sie an den König dachte, an die Gefahren, die Ihn umschwebten und denen Er weder Muth, noch Willen entgegenstellen konnte, und an die Möglichkeit, daß man Seinem Leben ein Ende mache, daß Er vielleicht schon nicht mehr lebe, ohne daß Sie es erfah¬ ren, und noch weniger hindern könne. Der Gedanke an die Zukunft Ihrer Kinder, besonders Ihres Sohnes, gab ihr eine namenlose Traurigkeit, nir¬ gend zeigte sich Ihr ein Ausweg, keine vertraute Seele, der Sie die Ihrige hätte erschließen können, nirgend ein Trost, als bei Gott, aber diesem über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/114>, abgerufen am 23.07.2024.