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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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muthige Controle der Regierungshandlungen hervor. Dazu kommt der immer
wachsende Wohlstand des Landes, die Sammlung der Nechtsgewohnheiten
unter Ludwig Xll., deren Abfassung durchweg die Absicht verräth, dem dritten
Stand und seinen Sitten in der neuen Gesetzgebung das Uebergewicht zu ver¬
leihen; ferner das Aufblühen der Literatur unter Franz I. Der Adel ver¬
schwendete sein Erbgut am Hof und in dem Kriege, die einträglichen Stellen
in der Verwaltung und in der Justiz fielen durchweg dem Bürgerstand
anheim.

Das große Wachsthum der Bildung innerhalb dieses Standes zeigen die
vtals Fönsraux von 1S60, in denen die religiösen Händel durchweg im Sinn
einer aufgeklärten Politik entschieden wurden. Es zeigte sich, daß trotz der
Leidenschaften und des Fanatismus in den niedern Schichten des Volks bei
den eigentlich Gebildeten mehr die politischen, als die religiösen Rücksichten
maßgebend waren. Doch hatte der Fanatismus etwas Ansteckendes, und der
katholischen Liga gelang es, durch sehr complicirte Versprechungen den Pöbel
und die Demokratie für sich zu gewinnen. In den "thes xvnLranx von 1388
herrschte ein wilder Fanatismus gegen die Protestanten, der aber zugleich gegen
das Königthum gerichtet war und von republikanische" Ideen getragen wurde.
Die Regierung Heinrichs IV. ist eine der entscheidenden Epochen, wo viele
Dinge endigten und viele Dinge beginnen. Auf die gemeinsame Grenze zweier
Jahrhunderte gestellt, pflückte er alle Früchte der socialen Arbeit uno der Er-,
fahrungen des einen, goß er in ihre Form alle Institutionen, welche, das
andere vervollkommnen sollte. Das Königthum, befreit von dem, was das
Mittelalter noch Dunkles und Verworrenes an seinem Wesen gelassen hatte,
erschien damals klar und deutlich in seiner neuen Form einer administrativen,
dem Rechte und der That nach bis zum Jahre 4789 absoluten Souveränetät,
welche heute der Nationalsouveränetät untergeordnet oder beigesellt ist. Die
municipale Freiheit des Bürgerstandes geht in dieser Zeit rasch ihrem Verfall
entgegen. Die Gesetzgebung des 1ä., Jahrhunderts halte den Städtebehörden
die Militärgewalt entrissen, die des 16. Jahrhunderts entzog ihnen die Civil-
gerichisbarkeit, beschränkte ihre Crimiualgerichlspflege und unterwarf ihre
Finanzverwaltung einer immer strengern Controle. Das Privilegium der freien
und beinahe souveränen Gemeinschaft, welche die Wiederherstellung und die
erste Entwicklung der bürgerlichen Ordnung gefördert und geschirmt hatte,
wurde wie die Feudalprivilegien behandelt und verschwand wie diese unter die
königliche Gewalt, deren Uebergreifen damals ein Schritt vorwärts zur Civi¬
lisation und nationalen Einheit war. Allein der Adel verlor, und sein Verlust
war unersetzlich; das Bürgerihum verlor, und sein Verlust war nur scheinbar.
Einer der wichtigsten Schritte, dem Bürgerstand eine neue Handhabe zu geben,
war der Verkauf und die damit verknüpfte Erblichkeit der Gerichtsstellen, da


Grenzboten. I. 18S7. 13

muthige Controle der Regierungshandlungen hervor. Dazu kommt der immer
wachsende Wohlstand des Landes, die Sammlung der Nechtsgewohnheiten
unter Ludwig Xll., deren Abfassung durchweg die Absicht verräth, dem dritten
Stand und seinen Sitten in der neuen Gesetzgebung das Uebergewicht zu ver¬
leihen; ferner das Aufblühen der Literatur unter Franz I. Der Adel ver¬
schwendete sein Erbgut am Hof und in dem Kriege, die einträglichen Stellen
in der Verwaltung und in der Justiz fielen durchweg dem Bürgerstand
anheim.

Das große Wachsthum der Bildung innerhalb dieses Standes zeigen die
vtals Fönsraux von 1S60, in denen die religiösen Händel durchweg im Sinn
einer aufgeklärten Politik entschieden wurden. Es zeigte sich, daß trotz der
Leidenschaften und des Fanatismus in den niedern Schichten des Volks bei
den eigentlich Gebildeten mehr die politischen, als die religiösen Rücksichten
maßgebend waren. Doch hatte der Fanatismus etwas Ansteckendes, und der
katholischen Liga gelang es, durch sehr complicirte Versprechungen den Pöbel
und die Demokratie für sich zu gewinnen. In den «thes xvnLranx von 1388
herrschte ein wilder Fanatismus gegen die Protestanten, der aber zugleich gegen
das Königthum gerichtet war und von republikanische» Ideen getragen wurde.
Die Regierung Heinrichs IV. ist eine der entscheidenden Epochen, wo viele
Dinge endigten und viele Dinge beginnen. Auf die gemeinsame Grenze zweier
Jahrhunderte gestellt, pflückte er alle Früchte der socialen Arbeit uno der Er-,
fahrungen des einen, goß er in ihre Form alle Institutionen, welche, das
andere vervollkommnen sollte. Das Königthum, befreit von dem, was das
Mittelalter noch Dunkles und Verworrenes an seinem Wesen gelassen hatte,
erschien damals klar und deutlich in seiner neuen Form einer administrativen,
dem Rechte und der That nach bis zum Jahre 4789 absoluten Souveränetät,
welche heute der Nationalsouveränetät untergeordnet oder beigesellt ist. Die
municipale Freiheit des Bürgerstandes geht in dieser Zeit rasch ihrem Verfall
entgegen. Die Gesetzgebung des 1ä., Jahrhunderts halte den Städtebehörden
die Militärgewalt entrissen, die des 16. Jahrhunderts entzog ihnen die Civil-
gerichisbarkeit, beschränkte ihre Crimiualgerichlspflege und unterwarf ihre
Finanzverwaltung einer immer strengern Controle. Das Privilegium der freien
und beinahe souveränen Gemeinschaft, welche die Wiederherstellung und die
erste Entwicklung der bürgerlichen Ordnung gefördert und geschirmt hatte,
wurde wie die Feudalprivilegien behandelt und verschwand wie diese unter die
königliche Gewalt, deren Uebergreifen damals ein Schritt vorwärts zur Civi¬
lisation und nationalen Einheit war. Allein der Adel verlor, und sein Verlust
war unersetzlich; das Bürgerihum verlor, und sein Verlust war nur scheinbar.
Einer der wichtigsten Schritte, dem Bürgerstand eine neue Handhabe zu geben,
war der Verkauf und die damit verknüpfte Erblichkeit der Gerichtsstellen, da


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[0105] muthige Controle der Regierungshandlungen hervor. Dazu kommt der immer wachsende Wohlstand des Landes, die Sammlung der Nechtsgewohnheiten unter Ludwig Xll., deren Abfassung durchweg die Absicht verräth, dem dritten Stand und seinen Sitten in der neuen Gesetzgebung das Uebergewicht zu ver¬ leihen; ferner das Aufblühen der Literatur unter Franz I. Der Adel ver¬ schwendete sein Erbgut am Hof und in dem Kriege, die einträglichen Stellen in der Verwaltung und in der Justiz fielen durchweg dem Bürgerstand anheim. Das große Wachsthum der Bildung innerhalb dieses Standes zeigen die vtals Fönsraux von 1S60, in denen die religiösen Händel durchweg im Sinn einer aufgeklärten Politik entschieden wurden. Es zeigte sich, daß trotz der Leidenschaften und des Fanatismus in den niedern Schichten des Volks bei den eigentlich Gebildeten mehr die politischen, als die religiösen Rücksichten maßgebend waren. Doch hatte der Fanatismus etwas Ansteckendes, und der katholischen Liga gelang es, durch sehr complicirte Versprechungen den Pöbel und die Demokratie für sich zu gewinnen. In den «thes xvnLranx von 1388 herrschte ein wilder Fanatismus gegen die Protestanten, der aber zugleich gegen das Königthum gerichtet war und von republikanische» Ideen getragen wurde. Die Regierung Heinrichs IV. ist eine der entscheidenden Epochen, wo viele Dinge endigten und viele Dinge beginnen. Auf die gemeinsame Grenze zweier Jahrhunderte gestellt, pflückte er alle Früchte der socialen Arbeit uno der Er-, fahrungen des einen, goß er in ihre Form alle Institutionen, welche, das andere vervollkommnen sollte. Das Königthum, befreit von dem, was das Mittelalter noch Dunkles und Verworrenes an seinem Wesen gelassen hatte, erschien damals klar und deutlich in seiner neuen Form einer administrativen, dem Rechte und der That nach bis zum Jahre 4789 absoluten Souveränetät, welche heute der Nationalsouveränetät untergeordnet oder beigesellt ist. Die municipale Freiheit des Bürgerstandes geht in dieser Zeit rasch ihrem Verfall entgegen. Die Gesetzgebung des 1ä., Jahrhunderts halte den Städtebehörden die Militärgewalt entrissen, die des 16. Jahrhunderts entzog ihnen die Civil- gerichisbarkeit, beschränkte ihre Crimiualgerichlspflege und unterwarf ihre Finanzverwaltung einer immer strengern Controle. Das Privilegium der freien und beinahe souveränen Gemeinschaft, welche die Wiederherstellung und die erste Entwicklung der bürgerlichen Ordnung gefördert und geschirmt hatte, wurde wie die Feudalprivilegien behandelt und verschwand wie diese unter die königliche Gewalt, deren Uebergreifen damals ein Schritt vorwärts zur Civi¬ lisation und nationalen Einheit war. Allein der Adel verlor, und sein Verlust war unersetzlich; das Bürgerihum verlor, und sein Verlust war nur scheinbar. Einer der wichtigsten Schritte, dem Bürgerstand eine neue Handhabe zu geben, war der Verkauf und die damit verknüpfte Erblichkeit der Gerichtsstellen, da Grenzboten. I. 18S7. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/105>, abgerufen am 23.07.2024.