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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Haar häufig vergoldet zusahen; seltner finden sich farbige Augäpfel. Nirgend
hat sich die Farbe hinreichend erhalten, daß man von mehr als Spuren reden
könnte. Winckelmann erwähnt^ man habe die Vergoldung durch Eiweiß fest¬
gehalten. Das 7. Buch der Odyssee mit der Beschreibung des Palastes des
Alkinoos hat nicht minder wie das erste Buch des Herodot das Vorhanden¬
sein polychromer Architektur beweisen sollen; die Ausgrabungen im Parthenon
unterstützten diese Voraussetzungen und von einem Schlüsse zum andern ge¬
langend, hielten die Anhänger farbiger Sculpturen dafür, daß zu einer nicht
bestimmbaren Zeit das Bemalen der Statuen allgemein gewesen sei. Daß diese
Zeit eine Blütezeit in ihrer Meinung war, geht daraus hervor, daß sie sich
ihrer Nachahmung befleißigen. >

Dem sei wie ihm wolle, bemalte Marmorbilder verlieren eben dasjenige,
was sie vom Wachsbild und von der Lebensähnlichkeit geflissentlich unterschei¬
det, ohne doch jenes oder dieses zu erreichen. Man wird versucht, mit Pyg¬
malion den lebendigen Hauch herabzuflehen, wenn man vor solcher Mittel¬
gattung von Naturnachahmung steht; so wenig wohnt diesen farbigen Gespenstern
jene göttliche Ruhe inne, welche aus der klaren Marmorbildung zu uns spricht.

Ist nicht für jeden der nämliche Zauber im reinen Marmorbilde vorhan¬
den, da gibt es ohne Zweifel bessere Mittel, um bestimmte Wirkungen hervor¬
zubringen, als die täppische Nachhilfe von Pinsel und Farbentopf. Farbige
Gläser oder Vorhänge (wir erinnern an die frankfurter 'Anatme) leisten ja,
was sich nur wünschen läßt. Die vom göttlichen Lichtstrahl geblendete Se.
Theresia des Bernini wäre ohne solche äußere Beleuchtung, so unkünstlerisch
sie auch ist, von weit schwächerer Wirkung. Wer Jesuitenkirchen besuchte und
die magischen Lichter ihrer farbigen Fenster und glühenden Vorhänge auf sich
wirken ließ, weiß, was sich auf diesem "Weg leisten läßt.

Gibsons Amor mit Schmetterling ist mit schwachem Fleischtone gleichsam
angehaucht. Der Rand der Augenlider ist rothbraun, um die fehlenden
Wimpern zu ersetzen; die Augäpfel lichtblau, die Lippen sehr schwach rosa, das
Haar gelblich; der Schmetterling ist golden und blau. Von ähnlich durch¬
sichtigem Colorit ist seine berühmte Venus mit dem Apfel, eine übrigens schön
empfundene Sculptur. Sie hält den Apfel und hebt dabei das Gewand über
den halben Unterleib. Die Borde dieses Gewandes ist bunt bemalt; der Apfel
golden; der Reif im Haare blau und golden; die Wangen fast ganz farblos.
Wie wir hörten, war der Amor erst frisch gefärbt, die Venus dagegen schon
wieder abgeblieben, indem der Marmor die Farbe stark einsaugt; sie wird mit
heißem Wachse eingeflößt, ist körperlos und wirkt an einigen Stellen etwa wie
"in farbiges Daguerreotype. Die Hautfarbe ist fast allenthalben ungleich, das
Befiehl leidet am meisten, da diese Art Malerei natürlich nur den seelenlo¬
sesten Theilen annäherndl gerecht wird.


Haar häufig vergoldet zusahen; seltner finden sich farbige Augäpfel. Nirgend
hat sich die Farbe hinreichend erhalten, daß man von mehr als Spuren reden
könnte. Winckelmann erwähnt^ man habe die Vergoldung durch Eiweiß fest¬
gehalten. Das 7. Buch der Odyssee mit der Beschreibung des Palastes des
Alkinoos hat nicht minder wie das erste Buch des Herodot das Vorhanden¬
sein polychromer Architektur beweisen sollen; die Ausgrabungen im Parthenon
unterstützten diese Voraussetzungen und von einem Schlüsse zum andern ge¬
langend, hielten die Anhänger farbiger Sculpturen dafür, daß zu einer nicht
bestimmbaren Zeit das Bemalen der Statuen allgemein gewesen sei. Daß diese
Zeit eine Blütezeit in ihrer Meinung war, geht daraus hervor, daß sie sich
ihrer Nachahmung befleißigen. >

Dem sei wie ihm wolle, bemalte Marmorbilder verlieren eben dasjenige,
was sie vom Wachsbild und von der Lebensähnlichkeit geflissentlich unterschei¬
det, ohne doch jenes oder dieses zu erreichen. Man wird versucht, mit Pyg¬
malion den lebendigen Hauch herabzuflehen, wenn man vor solcher Mittel¬
gattung von Naturnachahmung steht; so wenig wohnt diesen farbigen Gespenstern
jene göttliche Ruhe inne, welche aus der klaren Marmorbildung zu uns spricht.

Ist nicht für jeden der nämliche Zauber im reinen Marmorbilde vorhan¬
den, da gibt es ohne Zweifel bessere Mittel, um bestimmte Wirkungen hervor¬
zubringen, als die täppische Nachhilfe von Pinsel und Farbentopf. Farbige
Gläser oder Vorhänge (wir erinnern an die frankfurter 'Anatme) leisten ja,
was sich nur wünschen läßt. Die vom göttlichen Lichtstrahl geblendete Se.
Theresia des Bernini wäre ohne solche äußere Beleuchtung, so unkünstlerisch
sie auch ist, von weit schwächerer Wirkung. Wer Jesuitenkirchen besuchte und
die magischen Lichter ihrer farbigen Fenster und glühenden Vorhänge auf sich
wirken ließ, weiß, was sich auf diesem "Weg leisten läßt.

Gibsons Amor mit Schmetterling ist mit schwachem Fleischtone gleichsam
angehaucht. Der Rand der Augenlider ist rothbraun, um die fehlenden
Wimpern zu ersetzen; die Augäpfel lichtblau, die Lippen sehr schwach rosa, das
Haar gelblich; der Schmetterling ist golden und blau. Von ähnlich durch¬
sichtigem Colorit ist seine berühmte Venus mit dem Apfel, eine übrigens schön
empfundene Sculptur. Sie hält den Apfel und hebt dabei das Gewand über
den halben Unterleib. Die Borde dieses Gewandes ist bunt bemalt; der Apfel
golden; der Reif im Haare blau und golden; die Wangen fast ganz farblos.
Wie wir hörten, war der Amor erst frisch gefärbt, die Venus dagegen schon
wieder abgeblieben, indem der Marmor die Farbe stark einsaugt; sie wird mit
heißem Wachse eingeflößt, ist körperlos und wirkt an einigen Stellen etwa wie
«in farbiges Daguerreotype. Die Hautfarbe ist fast allenthalben ungleich, das
Befiehl leidet am meisten, da diese Art Malerei natürlich nur den seelenlo¬
sesten Theilen annäherndl gerecht wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/75>, abgerufen am 23.07.2024.