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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Theurungsunruhen der furchtbarsten Art aus. Der Pöbel, erbittert durch
die hohen Brotpreise, welche eine schlechte Ernte und mangelnde Zufuhren
hervorgerufen, rottete sich zusammen, plünderte und verbrannte Kornspeicher
und Mehlmagazine, zerstörte in dem stets bei solchem Anlaß um sich greifenden
Wahn, die Ausläufer hätten die Theurung veranlaßt, die Mühlen, die Wohn¬
häuser der Korn- und Mehlhändler, ermordete einige derselben, die sich nicht
zeitig durch die Flucht gerettet hatten, überließ sich mit einem Worte der ganzen
vandalischen Zerstörungslust, welche die losgelassenen Leidenschaften der Masse
begleitet. Diese Auftritte, wenn nicht angestiftet, so doch offenbar angeschürt
von unbekannten Agenten, verbreiteten sich mit unheimlicher Schnelligkeit durch
die verschiedensten Theile des Königreichs. Nicht zufrieden damit, Getreide
und Mehl in den Speichern in Brand zu stecken, zündeten verbrecherische
Hände die Kornfelder, bald auch die Wälder an. Eine nahrhaft selbstmör¬
derische Wuth schien sich der untern Classen des Volkes bemächtigt zu haben,
eine Wuth, die mit dem Besitz des Reichen zugleich die nothwendigsten Nah¬
rungsmittel des Armen vernichtete. Die Plünderungsscenen aus Altcastilien
erregten in Madrid eine stumpfe Bestürzung. Man sah neue und ungeahnte
Feinde gegen das liberale System sich erheben. Viele wollten die Hand der
hohen Geistlichkeit in diesen Vorgängen wittern. In den Cortes ertönte ein
Schrei der Entrüstung. Selbst die Chefs der Demokratie, Orense, Ribero,
Figueras wiesen mit Abscheu die entfernteste Solidarität mit den Mordbrennern
zurück, und boten vereint mit der ganzen Versammlung dem Ministerium ihre
Unterstützung an. Escosura erklärte, gegen derartige Menschen sei die Flinte
der Nationalmiliz das beste Mittel. O'Dommel sprach die Anklage gegen die
Julirevolution aus, daß in ihrem Gefolge socialistische, früher in Spanien
gänzlich unbekannte Doctrinen sich verbreitet hätten, und gab ihnen die Schuld
jener blutigen und unheilvollen Tumulte. Aber selbst in dieser drohenden
Lage kamen die Cortes nicht von ihrem Entschluß, am -I. Juli sich zu vertagen,
zurück. Es ist unbegreiflich, daß sie nicht wenigstens die Vertagung hinaus¬
schoben. Denn wenn auch nach einigen Tagen die altcastilischen Behörden
die vorläufige Unterdrückung der Unruhen meldeten, so langten doch bereits
aus andern Provinzen die Hiobspvsten über ähnliche Auftritte an. War es
beispiellose Verblendung, war es kaum glaubliche Erschlaffung, die ihre Be¬
quemlichkeit über die höchsten Pflichten stellte, die Versammlung blieb bei dem
einmal gefaßten Vorsatz. Der Antrag, die Session zu verlängern, wurde aller¬
dings vorgebracht, fiel aber zu Boden. O'Dommel erklärte dabei hochfahrenv/
die Cortes könnten nach ihrem Gutdünken beschließen, aber auch ohne ihre
Mitwirkung hätte die Negierung die Mittel, die Aufstände niederzuwerfen.
Eöcosura wurde, wie früher Zabala nach Valencia, mit außerordentlichen
Vollmachten nach Valladolid geschickt, und ohne seine Rückkehr, ohne seinen


Theurungsunruhen der furchtbarsten Art aus. Der Pöbel, erbittert durch
die hohen Brotpreise, welche eine schlechte Ernte und mangelnde Zufuhren
hervorgerufen, rottete sich zusammen, plünderte und verbrannte Kornspeicher
und Mehlmagazine, zerstörte in dem stets bei solchem Anlaß um sich greifenden
Wahn, die Ausläufer hätten die Theurung veranlaßt, die Mühlen, die Wohn¬
häuser der Korn- und Mehlhändler, ermordete einige derselben, die sich nicht
zeitig durch die Flucht gerettet hatten, überließ sich mit einem Worte der ganzen
vandalischen Zerstörungslust, welche die losgelassenen Leidenschaften der Masse
begleitet. Diese Auftritte, wenn nicht angestiftet, so doch offenbar angeschürt
von unbekannten Agenten, verbreiteten sich mit unheimlicher Schnelligkeit durch
die verschiedensten Theile des Königreichs. Nicht zufrieden damit, Getreide
und Mehl in den Speichern in Brand zu stecken, zündeten verbrecherische
Hände die Kornfelder, bald auch die Wälder an. Eine nahrhaft selbstmör¬
derische Wuth schien sich der untern Classen des Volkes bemächtigt zu haben,
eine Wuth, die mit dem Besitz des Reichen zugleich die nothwendigsten Nah¬
rungsmittel des Armen vernichtete. Die Plünderungsscenen aus Altcastilien
erregten in Madrid eine stumpfe Bestürzung. Man sah neue und ungeahnte
Feinde gegen das liberale System sich erheben. Viele wollten die Hand der
hohen Geistlichkeit in diesen Vorgängen wittern. In den Cortes ertönte ein
Schrei der Entrüstung. Selbst die Chefs der Demokratie, Orense, Ribero,
Figueras wiesen mit Abscheu die entfernteste Solidarität mit den Mordbrennern
zurück, und boten vereint mit der ganzen Versammlung dem Ministerium ihre
Unterstützung an. Escosura erklärte, gegen derartige Menschen sei die Flinte
der Nationalmiliz das beste Mittel. O'Dommel sprach die Anklage gegen die
Julirevolution aus, daß in ihrem Gefolge socialistische, früher in Spanien
gänzlich unbekannte Doctrinen sich verbreitet hätten, und gab ihnen die Schuld
jener blutigen und unheilvollen Tumulte. Aber selbst in dieser drohenden
Lage kamen die Cortes nicht von ihrem Entschluß, am -I. Juli sich zu vertagen,
zurück. Es ist unbegreiflich, daß sie nicht wenigstens die Vertagung hinaus¬
schoben. Denn wenn auch nach einigen Tagen die altcastilischen Behörden
die vorläufige Unterdrückung der Unruhen meldeten, so langten doch bereits
aus andern Provinzen die Hiobspvsten über ähnliche Auftritte an. War es
beispiellose Verblendung, war es kaum glaubliche Erschlaffung, die ihre Be¬
quemlichkeit über die höchsten Pflichten stellte, die Versammlung blieb bei dem
einmal gefaßten Vorsatz. Der Antrag, die Session zu verlängern, wurde aller¬
dings vorgebracht, fiel aber zu Boden. O'Dommel erklärte dabei hochfahrenv/
die Cortes könnten nach ihrem Gutdünken beschließen, aber auch ohne ihre
Mitwirkung hätte die Negierung die Mittel, die Aufstände niederzuwerfen.
Eöcosura wurde, wie früher Zabala nach Valencia, mit außerordentlichen
Vollmachten nach Valladolid geschickt, und ohne seine Rückkehr, ohne seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/516>, abgerufen am 23.07.2024.