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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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zahl nackter Hütten auf dem Ackerland, die Städte eine größere Anzahl ähnlicher
Hütten, die gewöhnlich in der Nahe einer Burg angebaut waren, meist
mit einem Graben und hölzernen Breterzaun umgeben. Auch in den Städten
war der größte Theil der Bewohner nach polnischem Recht unfrei, doch hausten
im Schutz der Burgen auch wol Gutsbesitzer und Vornehme der Umgegend,
unter den leibeignen Handwerkern mehre Freie, und freie Kaufleute, diese
schon ost Deutsche. In'der Burg aber regierte vielleicht der mächtige Herzog
selbst oder sein Castellan, oder ein großer Edelmann; auch zu ihr gehörte
Wald und Feld. und sie hatte eignes Recht und Gericht. Wenn ein Feind
nahte, flohen die Bauern vom Lande hinter den Graben der Stadt. In
"'higcr Zeit aber wurden dort die Märkte gehalten. Bis gegen Ende des
12- Jahrhunderts zahlte der Käufer auch zuweilen wie in Polen statt mit Gelde
mit den Schnauzen der Marder und den Köpfen der Eichhörnchen, aber schon
waren die schlesischen Bergwerke eröffnet. Silber und Gold, Kupfer und Blei
wurden gewonnen und der Bergbau, das Recht der Herzöge, wurde mit Eifer
betrieben, wahrscheinlich durch Deutsche. Auch Münzstätten waren errichtet
an allen größeren Marktorten, und wie in Polen wurde daS Geldblech dreimal
jährlich, an jedem Jahrmarkt, verändert und schnell umgeschlagen. Und schon
bezogen die Fürsten einige Einkünfte vom Marktzoll, von der Fleischbank und
der Schenke. Aber diese Marktorte und die Dörfer darum waren deutschen
Städten und Dorfgemeinden in nichts ähnlich, als etwa in äußerem Aussehn.
Denn hinter dem Graben und Pfahlwerk war nicht zu finden eine freie
Bürgerschaft, ein geordnetes Gemeinwesen, welches fest in sich selbst steht,
das Recht hat, sich zu regieren, und Besitzthümer zu erwerben, seinen Bürgern
Recht zu sprechen und gegen fremde Gewalt Recht zu schaffen', und nichts
war von dem zu finden, was sonst einer deutschen Stadtgemeinde ziemt, daß
sie ihre Bürger tüchtig, wohlhabend und stark mache, und dadurch eine Hei¬
math werde für umsichtige Thatkraft und Reichthum, für Sitte, Gelehrsamkeit
und Künste.

Ein solches Land beherrschten die Familien der Piaster damals unter
polnischer Oberhoheit, welche oft bestritten wurde, zuweilen ganz aufhörte.
Auch an ihren Häusern konnte ein Gegensatz auffallen. Die Piaster Ober¬
schlesiens schlössen sich enger an Polen, und erhielten sich und ihr Land mehr
in slawischen Wesen, so daß sich dort eine slawische Bevölkerung bis in die
Gegenwart erhalten hat. Um so lieber lehnten sich die Herren des größern
Niederschlesiens an den deutschen Westen. Schon seit lange war es ihre
Politik, deutsche Fürstentochter zu heirathen; der Einfluß der Frauen brachte
deutsche Sitte an den Hof. Eifrig erhielt man die Verbindung mit den deut¬
schen Verwandten, die Fürstenkinder reisten in deutschen Ländern, wurden oft
in Deutschland versorgt. Schon im Anfange des 13. Jahrhunderts hat daS


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zahl nackter Hütten auf dem Ackerland, die Städte eine größere Anzahl ähnlicher
Hütten, die gewöhnlich in der Nahe einer Burg angebaut waren, meist
mit einem Graben und hölzernen Breterzaun umgeben. Auch in den Städten
war der größte Theil der Bewohner nach polnischem Recht unfrei, doch hausten
im Schutz der Burgen auch wol Gutsbesitzer und Vornehme der Umgegend,
unter den leibeignen Handwerkern mehre Freie, und freie Kaufleute, diese
schon ost Deutsche. In'der Burg aber regierte vielleicht der mächtige Herzog
selbst oder sein Castellan, oder ein großer Edelmann; auch zu ihr gehörte
Wald und Feld. und sie hatte eignes Recht und Gericht. Wenn ein Feind
nahte, flohen die Bauern vom Lande hinter den Graben der Stadt. In
"'higcr Zeit aber wurden dort die Märkte gehalten. Bis gegen Ende des
12- Jahrhunderts zahlte der Käufer auch zuweilen wie in Polen statt mit Gelde
mit den Schnauzen der Marder und den Köpfen der Eichhörnchen, aber schon
waren die schlesischen Bergwerke eröffnet. Silber und Gold, Kupfer und Blei
wurden gewonnen und der Bergbau, das Recht der Herzöge, wurde mit Eifer
betrieben, wahrscheinlich durch Deutsche. Auch Münzstätten waren errichtet
an allen größeren Marktorten, und wie in Polen wurde daS Geldblech dreimal
jährlich, an jedem Jahrmarkt, verändert und schnell umgeschlagen. Und schon
bezogen die Fürsten einige Einkünfte vom Marktzoll, von der Fleischbank und
der Schenke. Aber diese Marktorte und die Dörfer darum waren deutschen
Städten und Dorfgemeinden in nichts ähnlich, als etwa in äußerem Aussehn.
Denn hinter dem Graben und Pfahlwerk war nicht zu finden eine freie
Bürgerschaft, ein geordnetes Gemeinwesen, welches fest in sich selbst steht,
das Recht hat, sich zu regieren, und Besitzthümer zu erwerben, seinen Bürgern
Recht zu sprechen und gegen fremde Gewalt Recht zu schaffen', und nichts
war von dem zu finden, was sonst einer deutschen Stadtgemeinde ziemt, daß
sie ihre Bürger tüchtig, wohlhabend und stark mache, und dadurch eine Hei¬
math werde für umsichtige Thatkraft und Reichthum, für Sitte, Gelehrsamkeit
und Künste.

Ein solches Land beherrschten die Familien der Piaster damals unter
polnischer Oberhoheit, welche oft bestritten wurde, zuweilen ganz aufhörte.
Auch an ihren Häusern konnte ein Gegensatz auffallen. Die Piaster Ober¬
schlesiens schlössen sich enger an Polen, und erhielten sich und ihr Land mehr
in slawischen Wesen, so daß sich dort eine slawische Bevölkerung bis in die
Gegenwart erhalten hat. Um so lieber lehnten sich die Herren des größern
Niederschlesiens an den deutschen Westen. Schon seit lange war es ihre
Politik, deutsche Fürstentochter zu heirathen; der Einfluß der Frauen brachte
deutsche Sitte an den Hof. Eifrig erhielt man die Verbindung mit den deut¬
schen Verwandten, die Fürstenkinder reisten in deutschen Ländern, wurden oft
in Deutschland versorgt. Schon im Anfange des 13. Jahrhunderts hat daS


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[0051] zahl nackter Hütten auf dem Ackerland, die Städte eine größere Anzahl ähnlicher Hütten, die gewöhnlich in der Nahe einer Burg angebaut waren, meist mit einem Graben und hölzernen Breterzaun umgeben. Auch in den Städten war der größte Theil der Bewohner nach polnischem Recht unfrei, doch hausten im Schutz der Burgen auch wol Gutsbesitzer und Vornehme der Umgegend, unter den leibeignen Handwerkern mehre Freie, und freie Kaufleute, diese schon ost Deutsche. In'der Burg aber regierte vielleicht der mächtige Herzog selbst oder sein Castellan, oder ein großer Edelmann; auch zu ihr gehörte Wald und Feld. und sie hatte eignes Recht und Gericht. Wenn ein Feind nahte, flohen die Bauern vom Lande hinter den Graben der Stadt. In "'higcr Zeit aber wurden dort die Märkte gehalten. Bis gegen Ende des 12- Jahrhunderts zahlte der Käufer auch zuweilen wie in Polen statt mit Gelde mit den Schnauzen der Marder und den Köpfen der Eichhörnchen, aber schon waren die schlesischen Bergwerke eröffnet. Silber und Gold, Kupfer und Blei wurden gewonnen und der Bergbau, das Recht der Herzöge, wurde mit Eifer betrieben, wahrscheinlich durch Deutsche. Auch Münzstätten waren errichtet an allen größeren Marktorten, und wie in Polen wurde daS Geldblech dreimal jährlich, an jedem Jahrmarkt, verändert und schnell umgeschlagen. Und schon bezogen die Fürsten einige Einkünfte vom Marktzoll, von der Fleischbank und der Schenke. Aber diese Marktorte und die Dörfer darum waren deutschen Städten und Dorfgemeinden in nichts ähnlich, als etwa in äußerem Aussehn. Denn hinter dem Graben und Pfahlwerk war nicht zu finden eine freie Bürgerschaft, ein geordnetes Gemeinwesen, welches fest in sich selbst steht, das Recht hat, sich zu regieren, und Besitzthümer zu erwerben, seinen Bürgern Recht zu sprechen und gegen fremde Gewalt Recht zu schaffen', und nichts war von dem zu finden, was sonst einer deutschen Stadtgemeinde ziemt, daß sie ihre Bürger tüchtig, wohlhabend und stark mache, und dadurch eine Hei¬ math werde für umsichtige Thatkraft und Reichthum, für Sitte, Gelehrsamkeit und Künste. Ein solches Land beherrschten die Familien der Piaster damals unter polnischer Oberhoheit, welche oft bestritten wurde, zuweilen ganz aufhörte. Auch an ihren Häusern konnte ein Gegensatz auffallen. Die Piaster Ober¬ schlesiens schlössen sich enger an Polen, und erhielten sich und ihr Land mehr in slawischen Wesen, so daß sich dort eine slawische Bevölkerung bis in die Gegenwart erhalten hat. Um so lieber lehnten sich die Herren des größern Niederschlesiens an den deutschen Westen. Schon seit lange war es ihre Politik, deutsche Fürstentochter zu heirathen; der Einfluß der Frauen brachte deutsche Sitte an den Hof. Eifrig erhielt man die Verbindung mit den deut¬ schen Verwandten, die Fürstenkinder reisten in deutschen Ländern, wurden oft in Deutschland versorgt. Schon im Anfange des 13. Jahrhunderts hat daS 6 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/51>, abgerufen am 23.07.2024.