Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und schwer geworden. Und noch vermögen wir zuweilen die Gestalt des from¬
men Mönches zu erkennen, einen unternehmenden Edelmann, oder eine junge
Fürstenbraut, welche an die Bauerhütten ihrer Heimath pochten und die jungen
Feldarbeiter ihrer Heimath mit gutem Versprechen unter das polnische Volk
riefen. Aber doch ist uns Vieles von der großen Auswanderung unverständlich
geworden. Wir wissen nicht einmal, aus welcher Landschaft der Hauptstrom
der schlesischen Einwanderer auszog. Mehre Spuren weisen darauf hin, daß.
die Gegend von Magdeburg, Thüringen und vielleicht Franken die meiste
Mannschaft aussandten. Urkunden und Chroniken schweigen darüber; nur
aus dem Dialekt der Echtester und Thüringer würde man noch den Beweis
führen können, und beide Dialekte haben eine genügende wissenschaftliche Be¬
arbeitung noch nicht gesunden. Besser aber erkennen wir, wer die Deutschen
in das Oberland rief, es waren die Herren des Landes mit ihren Getreuen,
slawische Herzöge aus dem Stamm der Piaster.

Damals, am Ende des 12. Jahrhunderts, saß in Schlesien ein Fürsten¬
geschlecht von uraltem polnischen Adel in mehren Häusern auf väterlichem
Erbe, zu ihren Füßen ein zahlreicher slawischer Adel, und unter diesem ein
vielgeplagtes und mit Diensten überlastetes unfreies Volk. Das Land war
nicht stark bevölkert und war arm an Capital und Arbeitskraft. Nicht nur
die Höhen der Niesenberge, sondern auch das Flachland der Oder und ihrer
östlichen Nebenflüsse waren noch mit dichtem Wald bedeckt, dazwischen dehnten
sich meilenweit wüste Haiden, in den Waldsümpfen hatten zahlreiche Herden
von Wildschweinen ihr Lager, am Rand der Haide steckte der braune Bär
seine Schnauze in die hohlen Baumstämme und suchte den wilden Honig, und
die Kieferäste auf der Haide zerriß das Elen mit seinem unförmigen Geweih,
an den Flüssen aber baute zahlreich der Biber und um die Teiche schwebte der
Fischadler und über ihm der edle Jagdfalke. Biber und Falken waren den
Fürsten theurer als ihre Leibeignen, und mit Scheu sah der Kmete aus seiner
elenden Hütte auf die Herren des Wassers und der Luft, für deren Bau und
Nest er selbst und seine ganze Nachbarschaft stehen mußte bei unerschwinglicher
Strafe. Was die Landschaft freiwillig dem Menschen gab, mußten sie zusam¬
mentragen sür ihre gestrengen Herren, den Edelmann oder den Castellan des
Herzogs und für die Kirche; sie hatten zu zinsen um Wasser die Fische, an
der Haide viele Töpfe Honig und schwere Abgaben von ihrem Ackerland,
Garben, Körner, Geld, Fuhren und Dienst mit Händen und Füßen; sie waren
in der großen Mehrzahl leibeigne Bauern, wenig freie darunter. Und mit
ihnen zusammen saßen die Handwerker, Böttcher, Maurer, Bäcker, Brauer,
auch Weber, in jeder Abstufung von Knechtschaft, alle schon damals durch
den Druck geschwächt,, ohne Hoffnung, ohne Arbeitslust. Zwischen den sla¬
wischen Dörfern und Städten war kein großer Unterschied, die Dörfer eine An-


und schwer geworden. Und noch vermögen wir zuweilen die Gestalt des from¬
men Mönches zu erkennen, einen unternehmenden Edelmann, oder eine junge
Fürstenbraut, welche an die Bauerhütten ihrer Heimath pochten und die jungen
Feldarbeiter ihrer Heimath mit gutem Versprechen unter das polnische Volk
riefen. Aber doch ist uns Vieles von der großen Auswanderung unverständlich
geworden. Wir wissen nicht einmal, aus welcher Landschaft der Hauptstrom
der schlesischen Einwanderer auszog. Mehre Spuren weisen darauf hin, daß.
die Gegend von Magdeburg, Thüringen und vielleicht Franken die meiste
Mannschaft aussandten. Urkunden und Chroniken schweigen darüber; nur
aus dem Dialekt der Echtester und Thüringer würde man noch den Beweis
führen können, und beide Dialekte haben eine genügende wissenschaftliche Be¬
arbeitung noch nicht gesunden. Besser aber erkennen wir, wer die Deutschen
in das Oberland rief, es waren die Herren des Landes mit ihren Getreuen,
slawische Herzöge aus dem Stamm der Piaster.

Damals, am Ende des 12. Jahrhunderts, saß in Schlesien ein Fürsten¬
geschlecht von uraltem polnischen Adel in mehren Häusern auf väterlichem
Erbe, zu ihren Füßen ein zahlreicher slawischer Adel, und unter diesem ein
vielgeplagtes und mit Diensten überlastetes unfreies Volk. Das Land war
nicht stark bevölkert und war arm an Capital und Arbeitskraft. Nicht nur
die Höhen der Niesenberge, sondern auch das Flachland der Oder und ihrer
östlichen Nebenflüsse waren noch mit dichtem Wald bedeckt, dazwischen dehnten
sich meilenweit wüste Haiden, in den Waldsümpfen hatten zahlreiche Herden
von Wildschweinen ihr Lager, am Rand der Haide steckte der braune Bär
seine Schnauze in die hohlen Baumstämme und suchte den wilden Honig, und
die Kieferäste auf der Haide zerriß das Elen mit seinem unförmigen Geweih,
an den Flüssen aber baute zahlreich der Biber und um die Teiche schwebte der
Fischadler und über ihm der edle Jagdfalke. Biber und Falken waren den
Fürsten theurer als ihre Leibeignen, und mit Scheu sah der Kmete aus seiner
elenden Hütte auf die Herren des Wassers und der Luft, für deren Bau und
Nest er selbst und seine ganze Nachbarschaft stehen mußte bei unerschwinglicher
Strafe. Was die Landschaft freiwillig dem Menschen gab, mußten sie zusam¬
mentragen sür ihre gestrengen Herren, den Edelmann oder den Castellan des
Herzogs und für die Kirche; sie hatten zu zinsen um Wasser die Fische, an
der Haide viele Töpfe Honig und schwere Abgaben von ihrem Ackerland,
Garben, Körner, Geld, Fuhren und Dienst mit Händen und Füßen; sie waren
in der großen Mehrzahl leibeigne Bauern, wenig freie darunter. Und mit
ihnen zusammen saßen die Handwerker, Böttcher, Maurer, Bäcker, Brauer,
auch Weber, in jeder Abstufung von Knechtschaft, alle schon damals durch
den Druck geschwächt,, ohne Hoffnung, ohne Arbeitslust. Zwischen den sla¬
wischen Dörfern und Städten war kein großer Unterschied, die Dörfer eine An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102645"/>
              <p xml:id="ID_139" prev="#ID_138"> und schwer geworden. Und noch vermögen wir zuweilen die Gestalt des from¬<lb/>
men Mönches zu erkennen, einen unternehmenden Edelmann, oder eine junge<lb/>
Fürstenbraut, welche an die Bauerhütten ihrer Heimath pochten und die jungen<lb/>
Feldarbeiter ihrer Heimath mit gutem Versprechen unter das polnische Volk<lb/>
riefen. Aber doch ist uns Vieles von der großen Auswanderung unverständlich<lb/>
geworden. Wir wissen nicht einmal, aus welcher Landschaft der Hauptstrom<lb/>
der schlesischen Einwanderer auszog. Mehre Spuren weisen darauf hin, daß.<lb/>
die Gegend von Magdeburg, Thüringen und vielleicht Franken die meiste<lb/>
Mannschaft aussandten. Urkunden und Chroniken schweigen darüber; nur<lb/>
aus dem Dialekt der Echtester und Thüringer würde man noch den Beweis<lb/>
führen können, und beide Dialekte haben eine genügende wissenschaftliche Be¬<lb/>
arbeitung noch nicht gesunden. Besser aber erkennen wir, wer die Deutschen<lb/>
in das Oberland rief, es waren die Herren des Landes mit ihren Getreuen,<lb/>
slawische Herzöge aus dem Stamm der Piaster.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_140" next="#ID_141"> Damals, am Ende des 12. Jahrhunderts, saß in Schlesien ein Fürsten¬<lb/>
geschlecht von uraltem polnischen Adel in mehren Häusern auf väterlichem<lb/>
Erbe, zu ihren Füßen ein zahlreicher slawischer Adel, und unter diesem ein<lb/>
vielgeplagtes und mit Diensten überlastetes unfreies Volk. Das Land war<lb/>
nicht stark bevölkert und war arm an Capital und Arbeitskraft. Nicht nur<lb/>
die Höhen der Niesenberge, sondern auch das Flachland der Oder und ihrer<lb/>
östlichen Nebenflüsse waren noch mit dichtem Wald bedeckt, dazwischen dehnten<lb/>
sich meilenweit wüste Haiden, in den Waldsümpfen hatten zahlreiche Herden<lb/>
von Wildschweinen ihr Lager, am Rand der Haide steckte der braune Bär<lb/>
seine Schnauze in die hohlen Baumstämme und suchte den wilden Honig, und<lb/>
die Kieferäste auf der Haide zerriß das Elen mit seinem unförmigen Geweih,<lb/>
an den Flüssen aber baute zahlreich der Biber und um die Teiche schwebte der<lb/>
Fischadler und über ihm der edle Jagdfalke. Biber und Falken waren den<lb/>
Fürsten theurer als ihre Leibeignen, und mit Scheu sah der Kmete aus seiner<lb/>
elenden Hütte auf die Herren des Wassers und der Luft, für deren Bau und<lb/>
Nest er selbst und seine ganze Nachbarschaft stehen mußte bei unerschwinglicher<lb/>
Strafe. Was die Landschaft freiwillig dem Menschen gab, mußten sie zusam¬<lb/>
mentragen sür ihre gestrengen Herren, den Edelmann oder den Castellan des<lb/>
Herzogs und für die Kirche; sie hatten zu zinsen um Wasser die Fische, an<lb/>
der Haide viele Töpfe Honig und schwere Abgaben von ihrem Ackerland,<lb/>
Garben, Körner, Geld, Fuhren und Dienst mit Händen und Füßen; sie waren<lb/>
in der großen Mehrzahl leibeigne Bauern, wenig freie darunter. Und mit<lb/>
ihnen zusammen saßen die Handwerker, Böttcher, Maurer, Bäcker, Brauer,<lb/>
auch Weber, in jeder Abstufung von Knechtschaft, alle schon damals durch<lb/>
den Druck geschwächt,, ohne Hoffnung, ohne Arbeitslust. Zwischen den sla¬<lb/>
wischen Dörfern und Städten war kein großer Unterschied, die Dörfer eine An-</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] und schwer geworden. Und noch vermögen wir zuweilen die Gestalt des from¬ men Mönches zu erkennen, einen unternehmenden Edelmann, oder eine junge Fürstenbraut, welche an die Bauerhütten ihrer Heimath pochten und die jungen Feldarbeiter ihrer Heimath mit gutem Versprechen unter das polnische Volk riefen. Aber doch ist uns Vieles von der großen Auswanderung unverständlich geworden. Wir wissen nicht einmal, aus welcher Landschaft der Hauptstrom der schlesischen Einwanderer auszog. Mehre Spuren weisen darauf hin, daß. die Gegend von Magdeburg, Thüringen und vielleicht Franken die meiste Mannschaft aussandten. Urkunden und Chroniken schweigen darüber; nur aus dem Dialekt der Echtester und Thüringer würde man noch den Beweis führen können, und beide Dialekte haben eine genügende wissenschaftliche Be¬ arbeitung noch nicht gesunden. Besser aber erkennen wir, wer die Deutschen in das Oberland rief, es waren die Herren des Landes mit ihren Getreuen, slawische Herzöge aus dem Stamm der Piaster. Damals, am Ende des 12. Jahrhunderts, saß in Schlesien ein Fürsten¬ geschlecht von uraltem polnischen Adel in mehren Häusern auf väterlichem Erbe, zu ihren Füßen ein zahlreicher slawischer Adel, und unter diesem ein vielgeplagtes und mit Diensten überlastetes unfreies Volk. Das Land war nicht stark bevölkert und war arm an Capital und Arbeitskraft. Nicht nur die Höhen der Niesenberge, sondern auch das Flachland der Oder und ihrer östlichen Nebenflüsse waren noch mit dichtem Wald bedeckt, dazwischen dehnten sich meilenweit wüste Haiden, in den Waldsümpfen hatten zahlreiche Herden von Wildschweinen ihr Lager, am Rand der Haide steckte der braune Bär seine Schnauze in die hohlen Baumstämme und suchte den wilden Honig, und die Kieferäste auf der Haide zerriß das Elen mit seinem unförmigen Geweih, an den Flüssen aber baute zahlreich der Biber und um die Teiche schwebte der Fischadler und über ihm der edle Jagdfalke. Biber und Falken waren den Fürsten theurer als ihre Leibeignen, und mit Scheu sah der Kmete aus seiner elenden Hütte auf die Herren des Wassers und der Luft, für deren Bau und Nest er selbst und seine ganze Nachbarschaft stehen mußte bei unerschwinglicher Strafe. Was die Landschaft freiwillig dem Menschen gab, mußten sie zusam¬ mentragen sür ihre gestrengen Herren, den Edelmann oder den Castellan des Herzogs und für die Kirche; sie hatten zu zinsen um Wasser die Fische, an der Haide viele Töpfe Honig und schwere Abgaben von ihrem Ackerland, Garben, Körner, Geld, Fuhren und Dienst mit Händen und Füßen; sie waren in der großen Mehrzahl leibeigne Bauern, wenig freie darunter. Und mit ihnen zusammen saßen die Handwerker, Böttcher, Maurer, Bäcker, Brauer, auch Weber, in jeder Abstufung von Knechtschaft, alle schon damals durch den Druck geschwächt,, ohne Hoffnung, ohne Arbeitslust. Zwischen den sla¬ wischen Dörfern und Städten war kein großer Unterschied, die Dörfer eine An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/50>, abgerufen am 23.07.2024.