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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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nur durch die Bedingung höhern Alters für die Senatoren, durch ihre ge¬
ringere Anzahl und eine längere Wahlperiode. Dies war unstreitig der
größte Mangel der neuen Verfassung. Denn sie schuf damit zwei Kammern,
von denen die erste fast ein Duplicat der zweiten war, und daher nicht die
erforderliche moderirende Controle in der Gesetzgebung dieser gegenüber hoffen,
wohl aber eine Nebenbuhlerschaft in Beeinflussung der Politik des Gouverne¬
ments befürchten ließ, für die nothwendigerweise der Schwerpunkt nur in
einer, in der untern Kammes, liegen kann. Beanspruchen beide Staats¬
körper sie in gleichem Maße, so bringen sie entweder die Regierung zum
Stillstand, oder sie neutralistren gegenseitig ihre Bedeutung und verlegen die
setzte Entscheidung aus dem Parlament in die Executive. Olozagas Bemühung
und Einfluß hatte diese höchst unweise Organisation des Senats in den Cortes
durchgesetzt. Vergeblich hatte der Vorsitzende, General Infante, seinen Stuhl
verlassen, um der Beibehaltung des von der Krone aus gewissen Kategorien
ernannten Senats, wie ihn die Verfassung von 18is einführte, das Wort zu
reden. Die Grundsätze des größten Theils der Progresslsten widerstrebten
demselben ebenso, als ihnen sein aus der Moderadoreaction herrührender Ur¬
sprung verhaßt war. Die Verfassung gab, ungleich der Constitution von
1812, der Krone das absolute Veto und das Recht, die Cortes aufzulösen.
Aber sie bestimmte gleich jener, was die Constitution von 1837 nicht that, baß
die Cortes jedes Jahr an einem bestimmten Tage zusammentreten, und für
die Zeit ihrer Prorogation einen Ausschuß niedersetzen sollten, der die Re¬
gierung zu überwachen, und geeignetenfalls unabhängig von der Krone das
Recht haben solle, die Cortes einzuberufen. Jeder Beamte ward für die
Gesetzlichkeit seiner Handlungen verantwortlich gemacht, und der physische
Widerstand gegen die Erhebung nicht von den Cortes bewilligter Steuern für
erlaubt erklärt. Diese Abweichungen von der Schablone der modernen Con-
tinentalverfassungen; die zum Theil auf die mittelalterlichen Institutionen
Castiliens und Aragoniens zurückzuführen sind, scheinen in Staaten, wo die
Dynastien die Tradition des Absolutismus und mit ihr in großen militärischen
und administrativen Mitteln die Handhabe zur Bedrohung der öffentlichen
Freiheiten überkommen haben, nicht am unrechten Platze. Sie geben dem
Volke das klare Bewußtsein seiner Rechte, und lassen ein Attentat gegen die¬
selben gleich bei dem ersten Schritte auf ernste Hemmnisse stoßen. Freilich
gehn wir dabei von der Voraussetzung aus, daß überhaupt hinter der Ver¬
fassung eine Nation steht, welche die Einsicht und die Energie besitzt, sie werth
zu halten und zu schützen. Ob beide in geeignetem Maße in Spanien vor¬
handen sind, wird erst daS Endergebniß seiner langen und schweren politischen
Erschütterungen zeigen. Die in Rede stehende Verfassung gab vielleicht den
Staatseinrichtungen eine in mancher Beziehung zu breite, demokratische Grund-


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nur durch die Bedingung höhern Alters für die Senatoren, durch ihre ge¬
ringere Anzahl und eine längere Wahlperiode. Dies war unstreitig der
größte Mangel der neuen Verfassung. Denn sie schuf damit zwei Kammern,
von denen die erste fast ein Duplicat der zweiten war, und daher nicht die
erforderliche moderirende Controle in der Gesetzgebung dieser gegenüber hoffen,
wohl aber eine Nebenbuhlerschaft in Beeinflussung der Politik des Gouverne¬
ments befürchten ließ, für die nothwendigerweise der Schwerpunkt nur in
einer, in der untern Kammes, liegen kann. Beanspruchen beide Staats¬
körper sie in gleichem Maße, so bringen sie entweder die Regierung zum
Stillstand, oder sie neutralistren gegenseitig ihre Bedeutung und verlegen die
setzte Entscheidung aus dem Parlament in die Executive. Olozagas Bemühung
und Einfluß hatte diese höchst unweise Organisation des Senats in den Cortes
durchgesetzt. Vergeblich hatte der Vorsitzende, General Infante, seinen Stuhl
verlassen, um der Beibehaltung des von der Krone aus gewissen Kategorien
ernannten Senats, wie ihn die Verfassung von 18is einführte, das Wort zu
reden. Die Grundsätze des größten Theils der Progresslsten widerstrebten
demselben ebenso, als ihnen sein aus der Moderadoreaction herrührender Ur¬
sprung verhaßt war. Die Verfassung gab, ungleich der Constitution von
1812, der Krone das absolute Veto und das Recht, die Cortes aufzulösen.
Aber sie bestimmte gleich jener, was die Constitution von 1837 nicht that, baß
die Cortes jedes Jahr an einem bestimmten Tage zusammentreten, und für
die Zeit ihrer Prorogation einen Ausschuß niedersetzen sollten, der die Re¬
gierung zu überwachen, und geeignetenfalls unabhängig von der Krone das
Recht haben solle, die Cortes einzuberufen. Jeder Beamte ward für die
Gesetzlichkeit seiner Handlungen verantwortlich gemacht, und der physische
Widerstand gegen die Erhebung nicht von den Cortes bewilligter Steuern für
erlaubt erklärt. Diese Abweichungen von der Schablone der modernen Con-
tinentalverfassungen; die zum Theil auf die mittelalterlichen Institutionen
Castiliens und Aragoniens zurückzuführen sind, scheinen in Staaten, wo die
Dynastien die Tradition des Absolutismus und mit ihr in großen militärischen
und administrativen Mitteln die Handhabe zur Bedrohung der öffentlichen
Freiheiten überkommen haben, nicht am unrechten Platze. Sie geben dem
Volke das klare Bewußtsein seiner Rechte, und lassen ein Attentat gegen die¬
selben gleich bei dem ersten Schritte auf ernste Hemmnisse stoßen. Freilich
gehn wir dabei von der Voraussetzung aus, daß überhaupt hinter der Ver¬
fassung eine Nation steht, welche die Einsicht und die Energie besitzt, sie werth
zu halten und zu schützen. Ob beide in geeignetem Maße in Spanien vor¬
handen sind, wird erst daS Endergebniß seiner langen und schweren politischen
Erschütterungen zeigen. Die in Rede stehende Verfassung gab vielleicht den
Staatseinrichtungen eine in mancher Beziehung zu breite, demokratische Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/507>, abgerufen am 23.07.2024.