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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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hervor -- antworteten mit Berufung an die fanatischen Gefühle der Masse.
Die Mehrheit blieb schließlich dem Antrage der Commission getreu, gegenüber
dem Zustande Spaniens auch gewiß das Aeußerste, was die liberale Partei
ohne Gefährdung ihrer höchsten Interessen wagen konnte. Der Desamortisa-
tionsentwurf siel nun mitten in diese aufgewühlten Leidenschaften und gab
natürlich den Wortführern der Rechten Gelegenheit, ihre Standreden zü wieder¬
holen. Neben der Vertheidigung der Rechte der Kirche, der Aufrechterhaltung
des Concordats, sah man -- ein ungewohntes Schauspiel -- die Moderados
sich zu Kämpfern für die Selbstständigkeit der Communen aufwerfen, denen
man ihre Güter rauben wolle. Auch diese Seite der Frage bot, besonders
mit Hinblick auf die baskischen Provinzen, deren Fueros durch Madoz' Pro¬
jekt empfindlich gekränkt wurden, manche Gefahren. Das Desamortisations-
gesetz erhielt jedoch gleichfalls mit nicht wesentlichen Veränderungen, die zum
Theil wirkliche, materielle Verbesserungen waren, gegen nur -13 Stimmen der
äußersten Rechten die Zustimmung der Cortes.

Jetzt erhob sich eine neue und nicht geringe Schwierigkeit -- die Erlan¬
gung der königlichen Sanction. Schon bei der Einbringung des Entwurfs
hatte die Königin Gewissensbedenken rücksichtlich des Concordats geltend ge¬
macht. DaS Ministerium war ihnen begegnet, indem es eine gütliche Eini¬
gung mit dem römischen Hofe in Aussicht stellte. Es war aber nunmehr
außer allem Zweifel, daß eine solche Einigung nicht zu erwarten stand. Jsa-
bella, die, sehr im Contrast gegen die erste Zeit ihrer Ehe, ihrem Gemahl einen
großen Einfluß "uf ihre Entschlüsse gestattete, deren Umgebung keineswegs
von den Anhängern des gestürzten Systems gesäubert war und die außerdem
mit ihrer in Paris verweilenden Mutter noch immer eifrige Verbindungen
unterhielt, weigerte sich entschieden, das Desamortisationsgesetz, das als ein
nicht organisches der königlichen Zustimmung bedürfte, zu sanctioniren. Der
päpstliche Nuntius bot alle seine Verbindungen bei Hose, hauptsächlich die
Einwirkung deS ganz von seinen geistlichen Beiständen geleiteten Königs auf,
um die Königin bei dieser Weigerung zu erhalten. Die Lage wurde gefahr¬
drohend. Das Gerücht der Vorgänge in Aranjuez, wo der Hos verweilte
und wohin Espartero und O'Dommel zu> verschiedenen Malen sich begaben,
verbreitete sich in der Hauptstadt. Die Gemüther geriethen in Aufregung,
die revolutionären Factionen bereiteten sich zum Handeln vor und die Abge¬
ordneten eraltirterer Färbung pflogen bereits in den Conferenzsälen des Cörtes-
palastes Berathungen, bei denen die Eventualität, "den Thron erledigt zu er¬
klären," zur Sprache kam. Nach den peinlichsten Scenen zwischen den beiden
Marschällen und dem Königspaare, bei denen hauptsächlich der Graf v. Lucera
sich durch die drastische Energie seiner Sprache auszeichnete, verstand sich Jsa-
bella unter Thränen und der Erklärung, daß man ihrem Gewissen Zwang


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hervor — antworteten mit Berufung an die fanatischen Gefühle der Masse.
Die Mehrheit blieb schließlich dem Antrage der Commission getreu, gegenüber
dem Zustande Spaniens auch gewiß das Aeußerste, was die liberale Partei
ohne Gefährdung ihrer höchsten Interessen wagen konnte. Der Desamortisa-
tionsentwurf siel nun mitten in diese aufgewühlten Leidenschaften und gab
natürlich den Wortführern der Rechten Gelegenheit, ihre Standreden zü wieder¬
holen. Neben der Vertheidigung der Rechte der Kirche, der Aufrechterhaltung
des Concordats, sah man — ein ungewohntes Schauspiel — die Moderados
sich zu Kämpfern für die Selbstständigkeit der Communen aufwerfen, denen
man ihre Güter rauben wolle. Auch diese Seite der Frage bot, besonders
mit Hinblick auf die baskischen Provinzen, deren Fueros durch Madoz' Pro¬
jekt empfindlich gekränkt wurden, manche Gefahren. Das Desamortisations-
gesetz erhielt jedoch gleichfalls mit nicht wesentlichen Veränderungen, die zum
Theil wirkliche, materielle Verbesserungen waren, gegen nur -13 Stimmen der
äußersten Rechten die Zustimmung der Cortes.

Jetzt erhob sich eine neue und nicht geringe Schwierigkeit — die Erlan¬
gung der königlichen Sanction. Schon bei der Einbringung des Entwurfs
hatte die Königin Gewissensbedenken rücksichtlich des Concordats geltend ge¬
macht. DaS Ministerium war ihnen begegnet, indem es eine gütliche Eini¬
gung mit dem römischen Hofe in Aussicht stellte. Es war aber nunmehr
außer allem Zweifel, daß eine solche Einigung nicht zu erwarten stand. Jsa-
bella, die, sehr im Contrast gegen die erste Zeit ihrer Ehe, ihrem Gemahl einen
großen Einfluß «uf ihre Entschlüsse gestattete, deren Umgebung keineswegs
von den Anhängern des gestürzten Systems gesäubert war und die außerdem
mit ihrer in Paris verweilenden Mutter noch immer eifrige Verbindungen
unterhielt, weigerte sich entschieden, das Desamortisationsgesetz, das als ein
nicht organisches der königlichen Zustimmung bedürfte, zu sanctioniren. Der
päpstliche Nuntius bot alle seine Verbindungen bei Hose, hauptsächlich die
Einwirkung deS ganz von seinen geistlichen Beiständen geleiteten Königs auf,
um die Königin bei dieser Weigerung zu erhalten. Die Lage wurde gefahr¬
drohend. Das Gerücht der Vorgänge in Aranjuez, wo der Hos verweilte
und wohin Espartero und O'Dommel zu> verschiedenen Malen sich begaben,
verbreitete sich in der Hauptstadt. Die Gemüther geriethen in Aufregung,
die revolutionären Factionen bereiteten sich zum Handeln vor und die Abge¬
ordneten eraltirterer Färbung pflogen bereits in den Conferenzsälen des Cörtes-
palastes Berathungen, bei denen die Eventualität, „den Thron erledigt zu er¬
klären," zur Sprache kam. Nach den peinlichsten Scenen zwischen den beiden
Marschällen und dem Königspaare, bei denen hauptsächlich der Graf v. Lucera
sich durch die drastische Energie seiner Sprache auszeichnete, verstand sich Jsa-
bella unter Thränen und der Erklärung, daß man ihrem Gewissen Zwang


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/467>, abgerufen am 23.07.2024.