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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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fallor zu Weihnachten aufgeführt wird; dann die mannigfachen uralten Fest¬
gerichte; endlich die Meinungen von der besondern Weihe und Kraft der
zwölf Tage vom Christfest bis Großneujahr. Was half es aber Wuotan,
dem höchsten der Götter, die in dieser Zeit früher gefeiert worden waren, daß
er aus altem germanischen Götteradel war und in Schild- und wasserreicher
Halle die edelsten aller Helden als Leibwache ihn umscharten? Er hatte vor
dem Kinde, das kaum ein Strohbündel im ärmlichen Stalle zum ersten Lager
gefunden, von Land und Leuten weichen müssen, und konnte seinen Groll nur
in den Lüften als Herr deS wüthenden Heeres austoben. Wenige Orte hat
er nach der Sage gerettet, wo er zur alten Julzeit die Erde berührt und sein
Opferthier holt, das durch das ganze Jahr ausnehmend gedeiht. Aber es ist
nur ein Verweilen im Sturm und rasch muß er wieder hinauf in die unheim¬
lichen Lüfte.

Drunten auf der Erde strahlt unterdessen der Weihnachtsabend in der Fülle
des Kerzen- und Liebeslichtes; die hellen Kirchenfenster glänzen in die Nacht
und mit Orgelklang erschallen die heiteren warmen Lieder von der freudigen
Geburt des Welterlösers. Der erste Feiertag tritt daher mit seiner würdigen
Sammlung und hinter ihm folgt mit lustigem Antlitz der zweite.

Der Protestant kennt den Reichthum seiner Kirche an Advent- und Weih¬
nachtsliedern, mit den alten schönen Weisen. Das katholische Volk hat einen
ähnlichen Schatz, den es in Hausandachten, und nach dem eigentlichen Gottes¬
dienste, vornehmlich aber in der Christmette benutzt. Es sind das Kinder- und
Hirtenlieder zumeist; die kindlich unbefangene Auffassung des großen Wclt-
ereignisses, die heitere volkstümliche Einkleidung, als erlebten die gläubigen
Landleute die Geburt Jesu selbst, wie jene Hirten von Bethlehem, findet sich
in den meisten. Unter den ernster und höher gehaltenen, verbirgt sich manche
Blüte der süddeutschen katholischen Dichtung. Sammt und sonders zeugen sie
für die tiefe Durchdringung unsres Volkes von dem Weihnachtsfeste. Nebenbei
rufen sie zu anziehenden Nergleichungen mit den englischen Christmascarols
und den französischen Noels auf.

Man kann nicht sagen, daß die katholische Kirche diese Lieder ihrer Gläu¬
bigen besonders angeregt und gepflegt habe, während eine andere poetische
Verherrlichung des Festes von ihr ausging: die Christkind- oder Hirtenspiele.
Die gallikanische Kirche hatte die Weihnachtsfeier zuerst sorgfältig ausgebildet,
und eine lebensvolle liturgische Darstellung der verschiedenen Vorgänge bei der
Geburt Christi geschaffen; mit lebenden Bildern, Gesang und Handlung ging
dieselbe im Chor der Kirchen vor sich. Diese Weihnachtsliturgie verbreitete
sich früh nach Deutschland. Hier und in Frankreich wuchs dieselbe bald zu
einem völligen kleinen Drama an, welches, obschon lateinisch, doch allem Volke
in den Hauptzügen verständlich war, da neben der Leidensgeschichte nichts aus


fallor zu Weihnachten aufgeführt wird; dann die mannigfachen uralten Fest¬
gerichte; endlich die Meinungen von der besondern Weihe und Kraft der
zwölf Tage vom Christfest bis Großneujahr. Was half es aber Wuotan,
dem höchsten der Götter, die in dieser Zeit früher gefeiert worden waren, daß
er aus altem germanischen Götteradel war und in Schild- und wasserreicher
Halle die edelsten aller Helden als Leibwache ihn umscharten? Er hatte vor
dem Kinde, das kaum ein Strohbündel im ärmlichen Stalle zum ersten Lager
gefunden, von Land und Leuten weichen müssen, und konnte seinen Groll nur
in den Lüften als Herr deS wüthenden Heeres austoben. Wenige Orte hat
er nach der Sage gerettet, wo er zur alten Julzeit die Erde berührt und sein
Opferthier holt, das durch das ganze Jahr ausnehmend gedeiht. Aber es ist
nur ein Verweilen im Sturm und rasch muß er wieder hinauf in die unheim¬
lichen Lüfte.

Drunten auf der Erde strahlt unterdessen der Weihnachtsabend in der Fülle
des Kerzen- und Liebeslichtes; die hellen Kirchenfenster glänzen in die Nacht
und mit Orgelklang erschallen die heiteren warmen Lieder von der freudigen
Geburt des Welterlösers. Der erste Feiertag tritt daher mit seiner würdigen
Sammlung und hinter ihm folgt mit lustigem Antlitz der zweite.

Der Protestant kennt den Reichthum seiner Kirche an Advent- und Weih¬
nachtsliedern, mit den alten schönen Weisen. Das katholische Volk hat einen
ähnlichen Schatz, den es in Hausandachten, und nach dem eigentlichen Gottes¬
dienste, vornehmlich aber in der Christmette benutzt. Es sind das Kinder- und
Hirtenlieder zumeist; die kindlich unbefangene Auffassung des großen Wclt-
ereignisses, die heitere volkstümliche Einkleidung, als erlebten die gläubigen
Landleute die Geburt Jesu selbst, wie jene Hirten von Bethlehem, findet sich
in den meisten. Unter den ernster und höher gehaltenen, verbirgt sich manche
Blüte der süddeutschen katholischen Dichtung. Sammt und sonders zeugen sie
für die tiefe Durchdringung unsres Volkes von dem Weihnachtsfeste. Nebenbei
rufen sie zu anziehenden Nergleichungen mit den englischen Christmascarols
und den französischen Noels auf.

Man kann nicht sagen, daß die katholische Kirche diese Lieder ihrer Gläu¬
bigen besonders angeregt und gepflegt habe, während eine andere poetische
Verherrlichung des Festes von ihr ausging: die Christkind- oder Hirtenspiele.
Die gallikanische Kirche hatte die Weihnachtsfeier zuerst sorgfältig ausgebildet,
und eine lebensvolle liturgische Darstellung der verschiedenen Vorgänge bei der
Geburt Christi geschaffen; mit lebenden Bildern, Gesang und Handlung ging
dieselbe im Chor der Kirchen vor sich. Diese Weihnachtsliturgie verbreitete
sich früh nach Deutschland. Hier und in Frankreich wuchs dieselbe bald zu
einem völligen kleinen Drama an, welches, obschon lateinisch, doch allem Volke
in den Hauptzügen verständlich war, da neben der Leidensgeschichte nichts aus


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[0453] fallor zu Weihnachten aufgeführt wird; dann die mannigfachen uralten Fest¬ gerichte; endlich die Meinungen von der besondern Weihe und Kraft der zwölf Tage vom Christfest bis Großneujahr. Was half es aber Wuotan, dem höchsten der Götter, die in dieser Zeit früher gefeiert worden waren, daß er aus altem germanischen Götteradel war und in Schild- und wasserreicher Halle die edelsten aller Helden als Leibwache ihn umscharten? Er hatte vor dem Kinde, das kaum ein Strohbündel im ärmlichen Stalle zum ersten Lager gefunden, von Land und Leuten weichen müssen, und konnte seinen Groll nur in den Lüften als Herr deS wüthenden Heeres austoben. Wenige Orte hat er nach der Sage gerettet, wo er zur alten Julzeit die Erde berührt und sein Opferthier holt, das durch das ganze Jahr ausnehmend gedeiht. Aber es ist nur ein Verweilen im Sturm und rasch muß er wieder hinauf in die unheim¬ lichen Lüfte. Drunten auf der Erde strahlt unterdessen der Weihnachtsabend in der Fülle des Kerzen- und Liebeslichtes; die hellen Kirchenfenster glänzen in die Nacht und mit Orgelklang erschallen die heiteren warmen Lieder von der freudigen Geburt des Welterlösers. Der erste Feiertag tritt daher mit seiner würdigen Sammlung und hinter ihm folgt mit lustigem Antlitz der zweite. Der Protestant kennt den Reichthum seiner Kirche an Advent- und Weih¬ nachtsliedern, mit den alten schönen Weisen. Das katholische Volk hat einen ähnlichen Schatz, den es in Hausandachten, und nach dem eigentlichen Gottes¬ dienste, vornehmlich aber in der Christmette benutzt. Es sind das Kinder- und Hirtenlieder zumeist; die kindlich unbefangene Auffassung des großen Wclt- ereignisses, die heitere volkstümliche Einkleidung, als erlebten die gläubigen Landleute die Geburt Jesu selbst, wie jene Hirten von Bethlehem, findet sich in den meisten. Unter den ernster und höher gehaltenen, verbirgt sich manche Blüte der süddeutschen katholischen Dichtung. Sammt und sonders zeugen sie für die tiefe Durchdringung unsres Volkes von dem Weihnachtsfeste. Nebenbei rufen sie zu anziehenden Nergleichungen mit den englischen Christmascarols und den französischen Noels auf. Man kann nicht sagen, daß die katholische Kirche diese Lieder ihrer Gläu¬ bigen besonders angeregt und gepflegt habe, während eine andere poetische Verherrlichung des Festes von ihr ausging: die Christkind- oder Hirtenspiele. Die gallikanische Kirche hatte die Weihnachtsfeier zuerst sorgfältig ausgebildet, und eine lebensvolle liturgische Darstellung der verschiedenen Vorgänge bei der Geburt Christi geschaffen; mit lebenden Bildern, Gesang und Handlung ging dieselbe im Chor der Kirchen vor sich. Diese Weihnachtsliturgie verbreitete sich früh nach Deutschland. Hier und in Frankreich wuchs dieselbe bald zu einem völligen kleinen Drama an, welches, obschon lateinisch, doch allem Volke in den Hauptzügen verständlich war, da neben der Leidensgeschichte nichts aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/453>, abgerufen am 03.07.2024.