Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Man dachte Berchta cholle, Frick, Nerthus) als mütterliche Göttin voll
Sorge um das Haus; sie beschaute bei ihren Fahrten die Wirthschaften und
hielt als echt deutsches Weib vornehmlich auf Vermehrung deS Linnenvorrathes;
noch nach heutigem Volksglauben werde" fleißige Spinnerinnen von ihr be¬
lohnt, faule hart bestraft. Auf die heilige Jungfrau war dieser mütterliche
Zug leicht zu übertragen. Der Besuch galt bereits mir den Kindern; Maria
erkundigte sich also nach ihrem Fleiß und Betragen in Haus und Schule,
und Knecht Ruprecht erfüllte getreu die Befehle entweder durch Geschenke aus
seiner Bürde oder durch Schillinge mit der Ruthe. Nach der Reformation
hat aber Maria vieler Orten weichen müssen, denn man nahm in protestan¬
tischen Landschaften Anstand, ihr, der Schutzfrau der katholischen Kirche, noch
Zutritt zu gestatten; und da man die liebgewordenen Umzüge nicht ausheben
wollte, mußte das Christkind an ihre Stelle. So zieht nun dieses als sein
eigner Vorläufer in den Adventen umher, von dem Engel Gabriel und dem
h. Petrus gewöhnlich begleitet; in einigen Gegenden ist Maria neben dem
Christkinde behalten worden.

Aus den stehenden Fragen an die Kinder, aus den Einreden und den
Scherzen der Begleiter entstanden kleine dramatische Stücke, die für die Ent¬
wicklungsgeschichte unsers Schauspiels große Bedeutung haben. Von den
Darstellungen der Geburt Christi sind 'sie durchaus zu scheiden, so oft sie auch
damit vermengt werden*).

Alle diese Gestalten, die sich ursprünglich also auf,das oberste Götterpaar
des germanischen Heidenthums zurückführen, gehörte" anfangs in den Spät¬
herbst; durch die kirchlichen Beziehungen dehnte sich ihr Umzug weiter in den
Winter aus und erreichte als Adventssitte das Christfest selbst. In diesem
ward die Scheidung des Heidnischen von den, Christlichen weit schärfer möglich;
die Geburtsfeier des Heilandes trieb das Wintersonnenfest zurück und nur
nebenher blieben die alten Erinnerungen bestehen. Dahin gehören die Feuer,
welche als .früher bräuchlich am Niederrhein, an der Mosel und in Westphalen
zu erweisen sind; ferner die brennenden Räder und Scheiben, die mit deutlicher
Beziehung auf das große Sonnenrad in Nordwest- und in Süvdeutschland
gerollt und geschlagen werden; ferner der Schmuck der Häuser mit Grün in
England und der Tannenbaum in Deutschland, worin die kühne Andeutung
gegeben ist, die Macht des Winters müsse von jetzt ab der aufsteigenden neuen
Sonne erliegen; der Wettgesang zwischen Winter und Sommer sodann, der
jenen Gedanken zu lebendigster Darstellung bringt, und in einigen Gegenden



*) Sammlungen von solchen Spielen, so wie von allem, was an Sitte, Lied und Spiel
in die Weihnachtszeit einschlägt, sind mit Einleitungen und Erklärungen gegeben in dem
Werke vou K. Wein hold Weihnachtöspiele nud Lieder aus Süddeutschland und Schlesien.
Graz 18üZ (Ä. Titclausgabe 1863). 4L(>. S. 8.

Man dachte Berchta cholle, Frick, Nerthus) als mütterliche Göttin voll
Sorge um das Haus; sie beschaute bei ihren Fahrten die Wirthschaften und
hielt als echt deutsches Weib vornehmlich auf Vermehrung deS Linnenvorrathes;
noch nach heutigem Volksglauben werde» fleißige Spinnerinnen von ihr be¬
lohnt, faule hart bestraft. Auf die heilige Jungfrau war dieser mütterliche
Zug leicht zu übertragen. Der Besuch galt bereits mir den Kindern; Maria
erkundigte sich also nach ihrem Fleiß und Betragen in Haus und Schule,
und Knecht Ruprecht erfüllte getreu die Befehle entweder durch Geschenke aus
seiner Bürde oder durch Schillinge mit der Ruthe. Nach der Reformation
hat aber Maria vieler Orten weichen müssen, denn man nahm in protestan¬
tischen Landschaften Anstand, ihr, der Schutzfrau der katholischen Kirche, noch
Zutritt zu gestatten; und da man die liebgewordenen Umzüge nicht ausheben
wollte, mußte das Christkind an ihre Stelle. So zieht nun dieses als sein
eigner Vorläufer in den Adventen umher, von dem Engel Gabriel und dem
h. Petrus gewöhnlich begleitet; in einigen Gegenden ist Maria neben dem
Christkinde behalten worden.

Aus den stehenden Fragen an die Kinder, aus den Einreden und den
Scherzen der Begleiter entstanden kleine dramatische Stücke, die für die Ent¬
wicklungsgeschichte unsers Schauspiels große Bedeutung haben. Von den
Darstellungen der Geburt Christi sind 'sie durchaus zu scheiden, so oft sie auch
damit vermengt werden*).

Alle diese Gestalten, die sich ursprünglich also auf,das oberste Götterpaar
des germanischen Heidenthums zurückführen, gehörte» anfangs in den Spät¬
herbst; durch die kirchlichen Beziehungen dehnte sich ihr Umzug weiter in den
Winter aus und erreichte als Adventssitte das Christfest selbst. In diesem
ward die Scheidung des Heidnischen von den, Christlichen weit schärfer möglich;
die Geburtsfeier des Heilandes trieb das Wintersonnenfest zurück und nur
nebenher blieben die alten Erinnerungen bestehen. Dahin gehören die Feuer,
welche als .früher bräuchlich am Niederrhein, an der Mosel und in Westphalen
zu erweisen sind; ferner die brennenden Räder und Scheiben, die mit deutlicher
Beziehung auf das große Sonnenrad in Nordwest- und in Süvdeutschland
gerollt und geschlagen werden; ferner der Schmuck der Häuser mit Grün in
England und der Tannenbaum in Deutschland, worin die kühne Andeutung
gegeben ist, die Macht des Winters müsse von jetzt ab der aufsteigenden neuen
Sonne erliegen; der Wettgesang zwischen Winter und Sommer sodann, der
jenen Gedanken zu lebendigster Darstellung bringt, und in einigen Gegenden



*) Sammlungen von solchen Spielen, so wie von allem, was an Sitte, Lied und Spiel
in die Weihnachtszeit einschlägt, sind mit Einleitungen und Erklärungen gegeben in dem
Werke vou K. Wein hold Weihnachtöspiele nud Lieder aus Süddeutschland und Schlesien.
Graz 18üZ (Ä. Titclausgabe 1863). 4L(>. S. 8.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103047"/>
          <p xml:id="ID_1461"> Man dachte Berchta cholle, Frick, Nerthus) als mütterliche Göttin voll<lb/>
Sorge um das Haus; sie beschaute bei ihren Fahrten die Wirthschaften und<lb/>
hielt als echt deutsches Weib vornehmlich auf Vermehrung deS Linnenvorrathes;<lb/>
noch nach heutigem Volksglauben werde» fleißige Spinnerinnen von ihr be¬<lb/>
lohnt, faule hart bestraft. Auf die heilige Jungfrau war dieser mütterliche<lb/>
Zug leicht zu übertragen. Der Besuch galt bereits mir den Kindern; Maria<lb/>
erkundigte sich also nach ihrem Fleiß und Betragen in Haus und Schule,<lb/>
und Knecht Ruprecht erfüllte getreu die Befehle entweder durch Geschenke aus<lb/>
seiner Bürde oder durch Schillinge mit der Ruthe. Nach der Reformation<lb/>
hat aber Maria vieler Orten weichen müssen, denn man nahm in protestan¬<lb/>
tischen Landschaften Anstand, ihr, der Schutzfrau der katholischen Kirche, noch<lb/>
Zutritt zu gestatten; und da man die liebgewordenen Umzüge nicht ausheben<lb/>
wollte, mußte das Christkind an ihre Stelle. So zieht nun dieses als sein<lb/>
eigner Vorläufer in den Adventen umher, von dem Engel Gabriel und dem<lb/>
h. Petrus gewöhnlich begleitet; in einigen Gegenden ist Maria neben dem<lb/>
Christkinde behalten worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1462"> Aus den stehenden Fragen an die Kinder, aus den Einreden und den<lb/>
Scherzen der Begleiter entstanden kleine dramatische Stücke, die für die Ent¬<lb/>
wicklungsgeschichte unsers Schauspiels große Bedeutung haben. Von den<lb/>
Darstellungen der Geburt Christi sind 'sie durchaus zu scheiden, so oft sie auch<lb/>
damit vermengt werden*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1463" next="#ID_1464"> Alle diese Gestalten, die sich ursprünglich also auf,das oberste Götterpaar<lb/>
des germanischen Heidenthums zurückführen, gehörte» anfangs in den Spät¬<lb/>
herbst; durch die kirchlichen Beziehungen dehnte sich ihr Umzug weiter in den<lb/>
Winter aus und erreichte als Adventssitte das Christfest selbst. In diesem<lb/>
ward die Scheidung des Heidnischen von den, Christlichen weit schärfer möglich;<lb/>
die Geburtsfeier des Heilandes trieb das Wintersonnenfest zurück und nur<lb/>
nebenher blieben die alten Erinnerungen bestehen. Dahin gehören die Feuer,<lb/>
welche als .früher bräuchlich am Niederrhein, an der Mosel und in Westphalen<lb/>
zu erweisen sind; ferner die brennenden Räder und Scheiben, die mit deutlicher<lb/>
Beziehung auf das große Sonnenrad in Nordwest- und in Süvdeutschland<lb/>
gerollt und geschlagen werden; ferner der Schmuck der Häuser mit Grün in<lb/>
England und der Tannenbaum in Deutschland, worin die kühne Andeutung<lb/>
gegeben ist, die Macht des Winters müsse von jetzt ab der aufsteigenden neuen<lb/>
Sonne erliegen; der Wettgesang zwischen Winter und Sommer sodann, der<lb/>
jenen Gedanken zu lebendigster Darstellung bringt, und in einigen Gegenden</p><lb/>
          <note xml:id="FID_47" place="foot"> *) Sammlungen von solchen Spielen, so wie von allem, was an Sitte, Lied und Spiel<lb/>
in die Weihnachtszeit einschlägt, sind mit Einleitungen und Erklärungen gegeben in dem<lb/>
Werke vou K. Wein hold Weihnachtöspiele nud Lieder aus Süddeutschland und Schlesien.<lb/>
Graz 18üZ (Ä. Titclausgabe 1863).  4L(&gt;. S. 8.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Man dachte Berchta cholle, Frick, Nerthus) als mütterliche Göttin voll Sorge um das Haus; sie beschaute bei ihren Fahrten die Wirthschaften und hielt als echt deutsches Weib vornehmlich auf Vermehrung deS Linnenvorrathes; noch nach heutigem Volksglauben werde» fleißige Spinnerinnen von ihr be¬ lohnt, faule hart bestraft. Auf die heilige Jungfrau war dieser mütterliche Zug leicht zu übertragen. Der Besuch galt bereits mir den Kindern; Maria erkundigte sich also nach ihrem Fleiß und Betragen in Haus und Schule, und Knecht Ruprecht erfüllte getreu die Befehle entweder durch Geschenke aus seiner Bürde oder durch Schillinge mit der Ruthe. Nach der Reformation hat aber Maria vieler Orten weichen müssen, denn man nahm in protestan¬ tischen Landschaften Anstand, ihr, der Schutzfrau der katholischen Kirche, noch Zutritt zu gestatten; und da man die liebgewordenen Umzüge nicht ausheben wollte, mußte das Christkind an ihre Stelle. So zieht nun dieses als sein eigner Vorläufer in den Adventen umher, von dem Engel Gabriel und dem h. Petrus gewöhnlich begleitet; in einigen Gegenden ist Maria neben dem Christkinde behalten worden. Aus den stehenden Fragen an die Kinder, aus den Einreden und den Scherzen der Begleiter entstanden kleine dramatische Stücke, die für die Ent¬ wicklungsgeschichte unsers Schauspiels große Bedeutung haben. Von den Darstellungen der Geburt Christi sind 'sie durchaus zu scheiden, so oft sie auch damit vermengt werden*). Alle diese Gestalten, die sich ursprünglich also auf,das oberste Götterpaar des germanischen Heidenthums zurückführen, gehörte» anfangs in den Spät¬ herbst; durch die kirchlichen Beziehungen dehnte sich ihr Umzug weiter in den Winter aus und erreichte als Adventssitte das Christfest selbst. In diesem ward die Scheidung des Heidnischen von den, Christlichen weit schärfer möglich; die Geburtsfeier des Heilandes trieb das Wintersonnenfest zurück und nur nebenher blieben die alten Erinnerungen bestehen. Dahin gehören die Feuer, welche als .früher bräuchlich am Niederrhein, an der Mosel und in Westphalen zu erweisen sind; ferner die brennenden Räder und Scheiben, die mit deutlicher Beziehung auf das große Sonnenrad in Nordwest- und in Süvdeutschland gerollt und geschlagen werden; ferner der Schmuck der Häuser mit Grün in England und der Tannenbaum in Deutschland, worin die kühne Andeutung gegeben ist, die Macht des Winters müsse von jetzt ab der aufsteigenden neuen Sonne erliegen; der Wettgesang zwischen Winter und Sommer sodann, der jenen Gedanken zu lebendigster Darstellung bringt, und in einigen Gegenden *) Sammlungen von solchen Spielen, so wie von allem, was an Sitte, Lied und Spiel in die Weihnachtszeit einschlägt, sind mit Einleitungen und Erklärungen gegeben in dem Werke vou K. Wein hold Weihnachtöspiele nud Lieder aus Süddeutschland und Schlesien. Graz 18üZ (Ä. Titclausgabe 1863). 4L(>. S. 8.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/452>, abgerufen am 03.07.2024.