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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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manu, aus den Reihen des Bürgerstandes hervorgegangen, purste dem ent¬
thronten König der Franzosen seine Wohnung als Zuflucht anbieten; die
französischen Gewalthaber hatten mit ihrer öffentlichen Stellung auch ihren
Einfluß verloren, Peel war nach seinem Sturz geachteter als je. Zunächst
möchte man nun erwarten, in dem vorliegenden Werk bisher noch nicht be¬
kannte Thatsachen zu finden, und gewiß konnte Guizot darüber manche in¬
teressante Mittheilung machen. Er scheint indessen doch Anstand genommen
zu haben, denn die Facta , die er anführt, waren, fast durchweg aus den Zei¬
tungen schon früher bekannt. Dagegen ist die Analyse, die er von dem Cha¬
rakter des englischen Staatsmanns gibt, sehr interessant und veranlaßt uns,
diese beiden Männer nebeneinander zu stellen, "deren Stellung dein Anschein
nach etwas sehr Verwandtes hat, die aber doch in ihrem Charakter wie in
ihrem Einfluß einen scharfen Contrast bilden.

Beide waren aus dem Bürgerstande hervorgegangen, beide waren Führer
der conservativen Partei, und infolge dessen mit dem Hof und mit der Aristo¬
kratie ihres Landes in fortwährender Verbindung; beide waren den sogenannten
Ideologen und überhaupt allen Neuerungen abhold; es kommt noch dazu, daß
beide derselben Kirche angehörten und daß ihr politisches Glaubensbekenntniß
auf denselben Prämissen beruhte. Beide sind den wüthendsten Verfolgungen
ausgesetzt gewesen, es gibt keine Beschimpfung, die man nicht von Seiten der
pariser Linken gegen Guizot, von Seiten der Tories gegen Peel auszusprechen
gewagt hätte, und doch konnten ihre Feinde selbst in der heftigsten Leidenschaft
das stille Gefühl der Achtung nicht ganz verleugnen, das ein ernster und
rechtschaffener Charakter und ein unerschütterlicher Muth auch schlechten Menschen
abnöthigen. Als Robert Peel starb, erhob sich durch ganz England, man
kann wol sagen, ein Fanatismus der Verehrung, und dort ist vie öffentliche
Meinung über den Einzelnen so mächtig, daß nicht blos der Haß, sondern
auch die gerechte Kritik dagegen verstummen mußte. Guizot dürfte nicht so
glücklich sein. Theils sind seit seinem Sturz in Frankreich so ungeheure Er¬
schütterungen eingetreten, daß man ihn fast ganz vergessen hat, theils kann
man ihm gegenüber auch bei der wohlwollendsten Beurtheilung sich des Gefühls
nicht erwehren, daß er an unrechter Stelle stand. Wir glauben uns nicht zu
irren, wenn wir trotz der hohen und warmen Anerkennung, die er Peel zu
Theil werden läßt, doch einen gewissen Neid herauserkennen, einen Neid, wie
ihn auch der rechtschaffene Theoretiker dem praktischen Mann gegenüber leicht
empfindet.

Der Gegensatz ergibt sich sofort, wenn wir die Motive vergleichen, die
beide bestimmten, sich an die Spitze der konservativen Partei zu stellen. Robert
Peel wurde in der Partei geboren, Guizot hat sie sich erst durch künstliche
Doctrin, zuweilen auch wol durch Gründe politischer Opportunist zurecht ge-


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manu, aus den Reihen des Bürgerstandes hervorgegangen, purste dem ent¬
thronten König der Franzosen seine Wohnung als Zuflucht anbieten; die
französischen Gewalthaber hatten mit ihrer öffentlichen Stellung auch ihren
Einfluß verloren, Peel war nach seinem Sturz geachteter als je. Zunächst
möchte man nun erwarten, in dem vorliegenden Werk bisher noch nicht be¬
kannte Thatsachen zu finden, und gewiß konnte Guizot darüber manche in¬
teressante Mittheilung machen. Er scheint indessen doch Anstand genommen
zu haben, denn die Facta , die er anführt, waren, fast durchweg aus den Zei¬
tungen schon früher bekannt. Dagegen ist die Analyse, die er von dem Cha¬
rakter des englischen Staatsmanns gibt, sehr interessant und veranlaßt uns,
diese beiden Männer nebeneinander zu stellen, "deren Stellung dein Anschein
nach etwas sehr Verwandtes hat, die aber doch in ihrem Charakter wie in
ihrem Einfluß einen scharfen Contrast bilden.

Beide waren aus dem Bürgerstande hervorgegangen, beide waren Führer
der conservativen Partei, und infolge dessen mit dem Hof und mit der Aristo¬
kratie ihres Landes in fortwährender Verbindung; beide waren den sogenannten
Ideologen und überhaupt allen Neuerungen abhold; es kommt noch dazu, daß
beide derselben Kirche angehörten und daß ihr politisches Glaubensbekenntniß
auf denselben Prämissen beruhte. Beide sind den wüthendsten Verfolgungen
ausgesetzt gewesen, es gibt keine Beschimpfung, die man nicht von Seiten der
pariser Linken gegen Guizot, von Seiten der Tories gegen Peel auszusprechen
gewagt hätte, und doch konnten ihre Feinde selbst in der heftigsten Leidenschaft
das stille Gefühl der Achtung nicht ganz verleugnen, das ein ernster und
rechtschaffener Charakter und ein unerschütterlicher Muth auch schlechten Menschen
abnöthigen. Als Robert Peel starb, erhob sich durch ganz England, man
kann wol sagen, ein Fanatismus der Verehrung, und dort ist vie öffentliche
Meinung über den Einzelnen so mächtig, daß nicht blos der Haß, sondern
auch die gerechte Kritik dagegen verstummen mußte. Guizot dürfte nicht so
glücklich sein. Theils sind seit seinem Sturz in Frankreich so ungeheure Er¬
schütterungen eingetreten, daß man ihn fast ganz vergessen hat, theils kann
man ihm gegenüber auch bei der wohlwollendsten Beurtheilung sich des Gefühls
nicht erwehren, daß er an unrechter Stelle stand. Wir glauben uns nicht zu
irren, wenn wir trotz der hohen und warmen Anerkennung, die er Peel zu
Theil werden läßt, doch einen gewissen Neid herauserkennen, einen Neid, wie
ihn auch der rechtschaffene Theoretiker dem praktischen Mann gegenüber leicht
empfindet.

Der Gegensatz ergibt sich sofort, wenn wir die Motive vergleichen, die
beide bestimmten, sich an die Spitze der konservativen Partei zu stellen. Robert
Peel wurde in der Partei geboren, Guizot hat sie sich erst durch künstliche
Doctrin, zuweilen auch wol durch Gründe politischer Opportunist zurecht ge-


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[0435] manu, aus den Reihen des Bürgerstandes hervorgegangen, purste dem ent¬ thronten König der Franzosen seine Wohnung als Zuflucht anbieten; die französischen Gewalthaber hatten mit ihrer öffentlichen Stellung auch ihren Einfluß verloren, Peel war nach seinem Sturz geachteter als je. Zunächst möchte man nun erwarten, in dem vorliegenden Werk bisher noch nicht be¬ kannte Thatsachen zu finden, und gewiß konnte Guizot darüber manche in¬ teressante Mittheilung machen. Er scheint indessen doch Anstand genommen zu haben, denn die Facta , die er anführt, waren, fast durchweg aus den Zei¬ tungen schon früher bekannt. Dagegen ist die Analyse, die er von dem Cha¬ rakter des englischen Staatsmanns gibt, sehr interessant und veranlaßt uns, diese beiden Männer nebeneinander zu stellen, "deren Stellung dein Anschein nach etwas sehr Verwandtes hat, die aber doch in ihrem Charakter wie in ihrem Einfluß einen scharfen Contrast bilden. Beide waren aus dem Bürgerstande hervorgegangen, beide waren Führer der conservativen Partei, und infolge dessen mit dem Hof und mit der Aristo¬ kratie ihres Landes in fortwährender Verbindung; beide waren den sogenannten Ideologen und überhaupt allen Neuerungen abhold; es kommt noch dazu, daß beide derselben Kirche angehörten und daß ihr politisches Glaubensbekenntniß auf denselben Prämissen beruhte. Beide sind den wüthendsten Verfolgungen ausgesetzt gewesen, es gibt keine Beschimpfung, die man nicht von Seiten der pariser Linken gegen Guizot, von Seiten der Tories gegen Peel auszusprechen gewagt hätte, und doch konnten ihre Feinde selbst in der heftigsten Leidenschaft das stille Gefühl der Achtung nicht ganz verleugnen, das ein ernster und rechtschaffener Charakter und ein unerschütterlicher Muth auch schlechten Menschen abnöthigen. Als Robert Peel starb, erhob sich durch ganz England, man kann wol sagen, ein Fanatismus der Verehrung, und dort ist vie öffentliche Meinung über den Einzelnen so mächtig, daß nicht blos der Haß, sondern auch die gerechte Kritik dagegen verstummen mußte. Guizot dürfte nicht so glücklich sein. Theils sind seit seinem Sturz in Frankreich so ungeheure Er¬ schütterungen eingetreten, daß man ihn fast ganz vergessen hat, theils kann man ihm gegenüber auch bei der wohlwollendsten Beurtheilung sich des Gefühls nicht erwehren, daß er an unrechter Stelle stand. Wir glauben uns nicht zu irren, wenn wir trotz der hohen und warmen Anerkennung, die er Peel zu Theil werden läßt, doch einen gewissen Neid herauserkennen, einen Neid, wie ihn auch der rechtschaffene Theoretiker dem praktischen Mann gegenüber leicht empfindet. Der Gegensatz ergibt sich sofort, wenn wir die Motive vergleichen, die beide bestimmten, sich an die Spitze der konservativen Partei zu stellen. Robert Peel wurde in der Partei geboren, Guizot hat sie sich erst durch künstliche Doctrin, zuweilen auch wol durch Gründe politischer Opportunist zurecht ge- 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/435>, abgerufen am 23.07.2024.