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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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nicht etwa zum Gegenstand einer Monographie macht; dagegen würde es sehr
dankenswert!) sein, aus seinen prosaischen Schriften eine Anthologie zu ver¬
anstalten, wobei man sowol den Werth des Stoffes, als der Form berücksich¬
tigen müßte. Im Großen und Ganzen betrachtet war Voltaire, was man
heute einen Journalisten nennen würde. Der Werth seiner Aufsätze ist daher
sehr ungleich, und bei seiner nervösen Natur, die ihn den wechselndsten Stim¬
mungen zugänglich machte, widerspricht er sich oft genug. Der Herausgeber
einer solchen Sammlung hätte die Aufgabe, aus den verschiedenen Phasen
seines Lebens das Charakteristische aufzusuchen, weder mit einer apologetischen,
noch mit einer polemischen Tendenz, sondern so, daß dieses eigenthümliche
Talent allseitig hervortritt. -- Wir könnten noch manche Punkte anführen,
über die wir ein anderes Urtheil fällen müßten, als der Verfasser; doch liegt
diese Abweichung immer nur in den Nuancen, und da muß man nothgedrungen
der Subjectivität des Schriftstellers einen gewissen Spielraum verstatten.

Der Verfasser gibt seine kritische Uebersicht in der Form einer Erzählung
und nimmt auf die Lebensumstände der einzelnen Schriftsteller so viel Rücksicht,
als sich mit seinem Plan, die Hauptgruppen scharf hervortreten zu lassen, ver¬
trägt. Wir sind mit dieser Form durchweg einverstanden, hätten aber eine
größere Ausführlichkeit und namentlich bestimmtere chronologische Angaben
gewünscht, die fast ganz schien, so daß der Leser nicht einmal über die Gleich¬
zeitigkeit der Schriften eine bestimmte Vorstellung gewinnt. Ferner vermissen
wir den literarischen Nachweis, der hier'um so nöthiger war, da sich das Buch
vorzugsweise auf literarhistorische Arbeiten der Franzosen stützt. Es sind na¬
mentlich in neuester Zeit höchst werthvolle monographische Arbeiten über diesen
Zweig der Wissenschaft erschienen, und für den Leser, der das vorliegende Buch
als einen Leitfaden für das Ganze betrachtet, wäre es wünschenswerth, zu
erfahren, wo über daS Einzelne nähere Auskunft zu finden ist. Wenn diese
Notizen dem Buch eine größere Ausdehnung gegeben hätten, so wäre der
Raum sehr leicht durch eine Concentration des Stils einzubringen gewesen,
denn in dem beifallswürdigcn Streben nach Deutlichkeit verliert sich der Ver¬
fasser zuweilen in eine ungebührliche Breite und läßt es auch an Wieder¬
holungen nicht fehlen. Daß er es geflissentlich vermieden hat, sogenannte geist¬
reiche Wendungen anzubringen, ist zu billigen; aber hin und wieder wünscht
man doch einen pointirter Ausdruck, der das Resultat der bisherigen Unter¬
suchungen gewissermaßen der Phantasie und dem Gedächtniß einprägt.

ES wäre noch festzustellen, wie weit der Versasser von seinen nächsten
Quellen abhängig ist. Es ist natürlich nicht zu erwarten, daß er die volu¬
minösen Werke, die er nur in ihrer allgemeinen Beziehung charakteristrcn will,
alle selbst gelesen hat, denn bei einem Leitfaden wird man immer mehr oder
minder auf frühere monographische Bearbeitungen desselben Gegenstandes re-


Greuzlwten, IV. -I8S6.

nicht etwa zum Gegenstand einer Monographie macht; dagegen würde es sehr
dankenswert!) sein, aus seinen prosaischen Schriften eine Anthologie zu ver¬
anstalten, wobei man sowol den Werth des Stoffes, als der Form berücksich¬
tigen müßte. Im Großen und Ganzen betrachtet war Voltaire, was man
heute einen Journalisten nennen würde. Der Werth seiner Aufsätze ist daher
sehr ungleich, und bei seiner nervösen Natur, die ihn den wechselndsten Stim¬
mungen zugänglich machte, widerspricht er sich oft genug. Der Herausgeber
einer solchen Sammlung hätte die Aufgabe, aus den verschiedenen Phasen
seines Lebens das Charakteristische aufzusuchen, weder mit einer apologetischen,
noch mit einer polemischen Tendenz, sondern so, daß dieses eigenthümliche
Talent allseitig hervortritt. -- Wir könnten noch manche Punkte anführen,
über die wir ein anderes Urtheil fällen müßten, als der Verfasser; doch liegt
diese Abweichung immer nur in den Nuancen, und da muß man nothgedrungen
der Subjectivität des Schriftstellers einen gewissen Spielraum verstatten.

Der Verfasser gibt seine kritische Uebersicht in der Form einer Erzählung
und nimmt auf die Lebensumstände der einzelnen Schriftsteller so viel Rücksicht,
als sich mit seinem Plan, die Hauptgruppen scharf hervortreten zu lassen, ver¬
trägt. Wir sind mit dieser Form durchweg einverstanden, hätten aber eine
größere Ausführlichkeit und namentlich bestimmtere chronologische Angaben
gewünscht, die fast ganz schien, so daß der Leser nicht einmal über die Gleich¬
zeitigkeit der Schriften eine bestimmte Vorstellung gewinnt. Ferner vermissen
wir den literarischen Nachweis, der hier'um so nöthiger war, da sich das Buch
vorzugsweise auf literarhistorische Arbeiten der Franzosen stützt. Es sind na¬
mentlich in neuester Zeit höchst werthvolle monographische Arbeiten über diesen
Zweig der Wissenschaft erschienen, und für den Leser, der das vorliegende Buch
als einen Leitfaden für das Ganze betrachtet, wäre es wünschenswerth, zu
erfahren, wo über daS Einzelne nähere Auskunft zu finden ist. Wenn diese
Notizen dem Buch eine größere Ausdehnung gegeben hätten, so wäre der
Raum sehr leicht durch eine Concentration des Stils einzubringen gewesen,
denn in dem beifallswürdigcn Streben nach Deutlichkeit verliert sich der Ver¬
fasser zuweilen in eine ungebührliche Breite und läßt es auch an Wieder¬
holungen nicht fehlen. Daß er es geflissentlich vermieden hat, sogenannte geist¬
reiche Wendungen anzubringen, ist zu billigen; aber hin und wieder wünscht
man doch einen pointirter Ausdruck, der das Resultat der bisherigen Unter¬
suchungen gewissermaßen der Phantasie und dem Gedächtniß einprägt.

ES wäre noch festzustellen, wie weit der Versasser von seinen nächsten
Quellen abhängig ist. Es ist natürlich nicht zu erwarten, daß er die volu¬
minösen Werke, die er nur in ihrer allgemeinen Beziehung charakteristrcn will,
alle selbst gelesen hat, denn bei einem Leitfaden wird man immer mehr oder
minder auf frühere monographische Bearbeitungen desselben Gegenstandes re-


Greuzlwten, IV. -I8S6.
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[0433] nicht etwa zum Gegenstand einer Monographie macht; dagegen würde es sehr dankenswert!) sein, aus seinen prosaischen Schriften eine Anthologie zu ver¬ anstalten, wobei man sowol den Werth des Stoffes, als der Form berücksich¬ tigen müßte. Im Großen und Ganzen betrachtet war Voltaire, was man heute einen Journalisten nennen würde. Der Werth seiner Aufsätze ist daher sehr ungleich, und bei seiner nervösen Natur, die ihn den wechselndsten Stim¬ mungen zugänglich machte, widerspricht er sich oft genug. Der Herausgeber einer solchen Sammlung hätte die Aufgabe, aus den verschiedenen Phasen seines Lebens das Charakteristische aufzusuchen, weder mit einer apologetischen, noch mit einer polemischen Tendenz, sondern so, daß dieses eigenthümliche Talent allseitig hervortritt. -- Wir könnten noch manche Punkte anführen, über die wir ein anderes Urtheil fällen müßten, als der Verfasser; doch liegt diese Abweichung immer nur in den Nuancen, und da muß man nothgedrungen der Subjectivität des Schriftstellers einen gewissen Spielraum verstatten. Der Verfasser gibt seine kritische Uebersicht in der Form einer Erzählung und nimmt auf die Lebensumstände der einzelnen Schriftsteller so viel Rücksicht, als sich mit seinem Plan, die Hauptgruppen scharf hervortreten zu lassen, ver¬ trägt. Wir sind mit dieser Form durchweg einverstanden, hätten aber eine größere Ausführlichkeit und namentlich bestimmtere chronologische Angaben gewünscht, die fast ganz schien, so daß der Leser nicht einmal über die Gleich¬ zeitigkeit der Schriften eine bestimmte Vorstellung gewinnt. Ferner vermissen wir den literarischen Nachweis, der hier'um so nöthiger war, da sich das Buch vorzugsweise auf literarhistorische Arbeiten der Franzosen stützt. Es sind na¬ mentlich in neuester Zeit höchst werthvolle monographische Arbeiten über diesen Zweig der Wissenschaft erschienen, und für den Leser, der das vorliegende Buch als einen Leitfaden für das Ganze betrachtet, wäre es wünschenswerth, zu erfahren, wo über daS Einzelne nähere Auskunft zu finden ist. Wenn diese Notizen dem Buch eine größere Ausdehnung gegeben hätten, so wäre der Raum sehr leicht durch eine Concentration des Stils einzubringen gewesen, denn in dem beifallswürdigcn Streben nach Deutlichkeit verliert sich der Ver¬ fasser zuweilen in eine ungebührliche Breite und läßt es auch an Wieder¬ holungen nicht fehlen. Daß er es geflissentlich vermieden hat, sogenannte geist¬ reiche Wendungen anzubringen, ist zu billigen; aber hin und wieder wünscht man doch einen pointirter Ausdruck, der das Resultat der bisherigen Unter¬ suchungen gewissermaßen der Phantasie und dem Gedächtniß einprägt. ES wäre noch festzustellen, wie weit der Versasser von seinen nächsten Quellen abhängig ist. Es ist natürlich nicht zu erwarten, daß er die volu¬ minösen Werke, die er nur in ihrer allgemeinen Beziehung charakteristrcn will, alle selbst gelesen hat, denn bei einem Leitfaden wird man immer mehr oder minder auf frühere monographische Bearbeitungen desselben Gegenstandes re- Greuzlwten, IV. -I8S6.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/433>, abgerufen am 23.07.2024.