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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Anspruch, obgleich diese nichts Anderes sei, als die Emancipation von der gott¬
ergebenen Wahrheit." Nachdem er sich dieser harten Reden entledigt, taumeln
seine Gedanken weiter, er fährt fort, wie der Kunstausdruck lautet, wider den
Materialismus Zeugniß abzulegen, bis er schließlich auch noch dazu kommt, seine
Rathschläge zu dessen Bekämpfung abzugeben. Außer einer allgemeinen literarischen
Gegenwirkung räth er, junge Theologen zu diesem Zwecke abzurichten, sie die ver¬
schiedenen Wissenschaften ergründen und dann mit deren Hülfe die "Kirche",
welche sie zu Werkzeugen auserlesen, verfechten zu lassen. Diese protestanti¬
schen Jesuitenschulen würden wir aber doch widerrathen, denn die Zöglinge
könnten, wenn sie wirklich ausreichende Kenntnisse erwürben, leicht den specifi-
schen Glauben darüber einbüßen; der eigentliche recht kernige Glaube z. B.
an den Teufel, der aus der Hölle brüllt, würde gegen die Philosophie und
Naturwissenschaft einen harten Stand haben.

. Das erste Erfordernis;, den Materialismus zu bewältigen, wäre unbe¬
dingt, daß der Pfarrer Euer aufhörte, dagegen zu reden; daß ihn seine Par¬
tei, nachdem er schon früher in Berlin eine ebenso schlechte Rede über dasselbe
Thema gehalten, nochmals vorgeführt hat, kann nur in ihrer Armuth an
denkenden Männern seinen Grund haben.

Stahl, in ven von ihm gegebenen Nesumv, hebt als erste Hauptsache
hervor, es müsse die Stellung der christlichen Kirche zum Materialismus
sein, sich nicht durch den Nimbus der Naturwissenschaften imponiren zu
lassen, vielmehr denselben zu zerstören, damit er nicht das Volk bethöre. Aller¬
dings habe die Naturwissenschaft mit Recht ein imponirendes Ansehen, aber
der Materialismus stütze sich ja nicht auf diese, sondern auf eine schwache
Spekulation. Was diese letztere verschuldet, dafür sollen also die Naturwissen¬
schaften büßen? Ihr Nimbus soll zerstört werden, weil der Materialismus sich
nicht auf sie, sondern auf eine schwache Speculation stützt? Da ist doch wol
der Haß gegen die Naturwissenschaften mit der Logik durchgegangen! Stahl
legte dann auch gleich Hand an das Nimbuszerstören, indem er ausrechnete,
was die Naturwissenschaft alles nicht könne; sie könne, sagt er, nicht einmal
darüber entscheiden, ob es Gespenster gebe, wonach es in Frage kommt, ob
Stahl an diese glaubt oder ob er einen nicht empirischen Beweis gegen sie
kennt; nachher wirft er der Naturwissenschaft auch vor, daß sie nicht wisse,
was auf den Sternen vorgehe und daß sie niemals ein Mittel, auf diese über¬
zusiedeln, erfinden werde. Mit Verleugnung der ganzen Astronomie ruft er
dann aus: "Sie ist also offenbar auf das Terrestrische, Irdische eingeschränkt
und dennoch will sie sich vermessen, über die ewigen himmlischen Dinge ein
Urtheil zu fällen?" Aber wenn das alles , zu wissen und zu können nöthig
ist, so darf Stahl sich noch weniger vermessen über das Himmlische mitzureden,
denn er weiß von jenen Dingen sicherlich noch viel weniger, als die von ihm
"''


Anspruch, obgleich diese nichts Anderes sei, als die Emancipation von der gott¬
ergebenen Wahrheit." Nachdem er sich dieser harten Reden entledigt, taumeln
seine Gedanken weiter, er fährt fort, wie der Kunstausdruck lautet, wider den
Materialismus Zeugniß abzulegen, bis er schließlich auch noch dazu kommt, seine
Rathschläge zu dessen Bekämpfung abzugeben. Außer einer allgemeinen literarischen
Gegenwirkung räth er, junge Theologen zu diesem Zwecke abzurichten, sie die ver¬
schiedenen Wissenschaften ergründen und dann mit deren Hülfe die „Kirche",
welche sie zu Werkzeugen auserlesen, verfechten zu lassen. Diese protestanti¬
schen Jesuitenschulen würden wir aber doch widerrathen, denn die Zöglinge
könnten, wenn sie wirklich ausreichende Kenntnisse erwürben, leicht den specifi-
schen Glauben darüber einbüßen; der eigentliche recht kernige Glaube z. B.
an den Teufel, der aus der Hölle brüllt, würde gegen die Philosophie und
Naturwissenschaft einen harten Stand haben.

. Das erste Erfordernis;, den Materialismus zu bewältigen, wäre unbe¬
dingt, daß der Pfarrer Euer aufhörte, dagegen zu reden; daß ihn seine Par¬
tei, nachdem er schon früher in Berlin eine ebenso schlechte Rede über dasselbe
Thema gehalten, nochmals vorgeführt hat, kann nur in ihrer Armuth an
denkenden Männern seinen Grund haben.

Stahl, in ven von ihm gegebenen Nesumv, hebt als erste Hauptsache
hervor, es müsse die Stellung der christlichen Kirche zum Materialismus
sein, sich nicht durch den Nimbus der Naturwissenschaften imponiren zu
lassen, vielmehr denselben zu zerstören, damit er nicht das Volk bethöre. Aller¬
dings habe die Naturwissenschaft mit Recht ein imponirendes Ansehen, aber
der Materialismus stütze sich ja nicht auf diese, sondern auf eine schwache
Spekulation. Was diese letztere verschuldet, dafür sollen also die Naturwissen¬
schaften büßen? Ihr Nimbus soll zerstört werden, weil der Materialismus sich
nicht auf sie, sondern auf eine schwache Speculation stützt? Da ist doch wol
der Haß gegen die Naturwissenschaften mit der Logik durchgegangen! Stahl
legte dann auch gleich Hand an das Nimbuszerstören, indem er ausrechnete,
was die Naturwissenschaft alles nicht könne; sie könne, sagt er, nicht einmal
darüber entscheiden, ob es Gespenster gebe, wonach es in Frage kommt, ob
Stahl an diese glaubt oder ob er einen nicht empirischen Beweis gegen sie
kennt; nachher wirft er der Naturwissenschaft auch vor, daß sie nicht wisse,
was auf den Sternen vorgehe und daß sie niemals ein Mittel, auf diese über¬
zusiedeln, erfinden werde. Mit Verleugnung der ganzen Astronomie ruft er
dann aus: „Sie ist also offenbar auf das Terrestrische, Irdische eingeschränkt
und dennoch will sie sich vermessen, über die ewigen himmlischen Dinge ein
Urtheil zu fällen?" Aber wenn das alles , zu wissen und zu können nöthig
ist, so darf Stahl sich noch weniger vermessen über das Himmlische mitzureden,
denn er weiß von jenen Dingen sicherlich noch viel weniger, als die von ihm
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[0395] Anspruch, obgleich diese nichts Anderes sei, als die Emancipation von der gott¬ ergebenen Wahrheit." Nachdem er sich dieser harten Reden entledigt, taumeln seine Gedanken weiter, er fährt fort, wie der Kunstausdruck lautet, wider den Materialismus Zeugniß abzulegen, bis er schließlich auch noch dazu kommt, seine Rathschläge zu dessen Bekämpfung abzugeben. Außer einer allgemeinen literarischen Gegenwirkung räth er, junge Theologen zu diesem Zwecke abzurichten, sie die ver¬ schiedenen Wissenschaften ergründen und dann mit deren Hülfe die „Kirche", welche sie zu Werkzeugen auserlesen, verfechten zu lassen. Diese protestanti¬ schen Jesuitenschulen würden wir aber doch widerrathen, denn die Zöglinge könnten, wenn sie wirklich ausreichende Kenntnisse erwürben, leicht den specifi- schen Glauben darüber einbüßen; der eigentliche recht kernige Glaube z. B. an den Teufel, der aus der Hölle brüllt, würde gegen die Philosophie und Naturwissenschaft einen harten Stand haben. . Das erste Erfordernis;, den Materialismus zu bewältigen, wäre unbe¬ dingt, daß der Pfarrer Euer aufhörte, dagegen zu reden; daß ihn seine Par¬ tei, nachdem er schon früher in Berlin eine ebenso schlechte Rede über dasselbe Thema gehalten, nochmals vorgeführt hat, kann nur in ihrer Armuth an denkenden Männern seinen Grund haben. Stahl, in ven von ihm gegebenen Nesumv, hebt als erste Hauptsache hervor, es müsse die Stellung der christlichen Kirche zum Materialismus sein, sich nicht durch den Nimbus der Naturwissenschaften imponiren zu lassen, vielmehr denselben zu zerstören, damit er nicht das Volk bethöre. Aller¬ dings habe die Naturwissenschaft mit Recht ein imponirendes Ansehen, aber der Materialismus stütze sich ja nicht auf diese, sondern auf eine schwache Spekulation. Was diese letztere verschuldet, dafür sollen also die Naturwissen¬ schaften büßen? Ihr Nimbus soll zerstört werden, weil der Materialismus sich nicht auf sie, sondern auf eine schwache Speculation stützt? Da ist doch wol der Haß gegen die Naturwissenschaften mit der Logik durchgegangen! Stahl legte dann auch gleich Hand an das Nimbuszerstören, indem er ausrechnete, was die Naturwissenschaft alles nicht könne; sie könne, sagt er, nicht einmal darüber entscheiden, ob es Gespenster gebe, wonach es in Frage kommt, ob Stahl an diese glaubt oder ob er einen nicht empirischen Beweis gegen sie kennt; nachher wirft er der Naturwissenschaft auch vor, daß sie nicht wisse, was auf den Sternen vorgehe und daß sie niemals ein Mittel, auf diese über¬ zusiedeln, erfinden werde. Mit Verleugnung der ganzen Astronomie ruft er dann aus: „Sie ist also offenbar auf das Terrestrische, Irdische eingeschränkt und dennoch will sie sich vermessen, über die ewigen himmlischen Dinge ein Urtheil zu fällen?" Aber wenn das alles , zu wissen und zu können nöthig ist, so darf Stahl sich noch weniger vermessen über das Himmlische mitzureden, denn er weiß von jenen Dingen sicherlich noch viel weniger, als die von ihm "''

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/395>, abgerufen am 23.07.2024.