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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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cher sich zu weitgehenden und jedes Compromiß ausschließenden Grundsätzen
bekannte, und der Graf von Lucera konnte, so lange er das Kriegsministerium
leitete, auf dem politischen Felde große Zugeständnisse machen, ohne die Mög¬
lichkeit, den Ereignissen Halt zu gebieten, gänzlich aufzugeben. Daß ihm aber
.bei Bildung des Ministeriums, welches die unmittelbare Erbschaft der Revo¬
lution antrat, dies Portefeuille nicht vorenthalten wurde, lag theils in dem
großen Verdienst, das er, der mit persönlichem Wagniß die Initiative der Er¬
hebung ergriffen, sich um diese erworben, theils in dem Respect, den die bereits
factisch von ihm besessene Macht einflößte. Denn machte er, im Fall keine
Einigung zwischen ihm und Espartero zu Stande kam, von dieser Macht Ge¬
brauch, so war die daraus für Spanien entstehende Zerrüttung unabsehbar.
Endlich sah eine ansehnliche, gemäßigtere Fraction der Progressiven selbst schon
mit Besorgniß auf den reißenden Fortschritt der Umwälzung, das Auftauchen
einer bisher in den politischen Wirren Spaniens kaum dem Namen nach be-'
kannten Partei, der Demokratie, so wie. aus den Ehrgeiz und die Schwache
Esparteros, und unterstützte O'Donnelö Ansprüche, um an ihm ein Gegen¬
gewicht gegen Gefahren zu haben, die ihr ernster erschienen, als die einer
militärischen Reaction. Außerdem hatten sogleich in den ersten Tagen ihres
Triumphs die Progressisten durch die Wiederherstellung der seit länger alö
zehn Jahren aufgelösten Nationalmiliz sich eine Waffe geschaffen, die erforder¬
lichen Falls der Armee entgegengestellt werden konnte. Die Junten, die während
deö fast halbmonatlichen Interregnums, das zwischen dem Sturz des Sartorius
und der Bildung des Ministeriums Espartero lag, in allen Provinzen sich
bildeten, bewaffneten sofort die Milizen und. dehnten meistens den Kreis der¬
selben so weit aus, daß auch höchst gefährliche Elemente der Bevölkerung unter
ihnen Platz fanden. In den großen Städten, namentlich in Madrid, Barcelona
und Valencia, pflanzte die Demokratie, und zwar eine socialistisch gefärbte Demo¬
kratie, ihr Banner auf. Ihre Redner dvminirten in den Clubs, ihre Blätter, die
sofort nach dem Siege der Revolution gegründet wurden, wandten sich an die
Leidenschaften der Massen, und arbeiteten aus die Proclamirung der Republik hin.
Bei keinem der vielen Aufstände, die Spanien in diesem Jahrhundert gesehn,
hatte sich eine compacte und organisirte demokratische Partei gezeigt, die, von
den Progressisten sich sondernd, die Republik offen aus ihre Fahne schrieb.
Zwar hatten schon früher die Progressisten einen ravicalen Schweif, in welchem
auch republikanische Sympathien sich regten, doch waren die letzteren nnr ver¬
einzelt und unklar, und die Radicalen stellten sich dem Haupttheil der Pro¬
gressisten nicht als Partei gegenüber. Die französische Revolution von -1848
hatte indeß auch nach Spanien Keime geworfen, die das Jahr 1834 auf¬
schießen ließ, und wenn auch im Vergleich zur französischen Demokratie in und
nach den Februartagen die spanische verhällnißmüßig noch schwach genannt


cher sich zu weitgehenden und jedes Compromiß ausschließenden Grundsätzen
bekannte, und der Graf von Lucera konnte, so lange er das Kriegsministerium
leitete, auf dem politischen Felde große Zugeständnisse machen, ohne die Mög¬
lichkeit, den Ereignissen Halt zu gebieten, gänzlich aufzugeben. Daß ihm aber
.bei Bildung des Ministeriums, welches die unmittelbare Erbschaft der Revo¬
lution antrat, dies Portefeuille nicht vorenthalten wurde, lag theils in dem
großen Verdienst, das er, der mit persönlichem Wagniß die Initiative der Er¬
hebung ergriffen, sich um diese erworben, theils in dem Respect, den die bereits
factisch von ihm besessene Macht einflößte. Denn machte er, im Fall keine
Einigung zwischen ihm und Espartero zu Stande kam, von dieser Macht Ge¬
brauch, so war die daraus für Spanien entstehende Zerrüttung unabsehbar.
Endlich sah eine ansehnliche, gemäßigtere Fraction der Progressiven selbst schon
mit Besorgniß auf den reißenden Fortschritt der Umwälzung, das Auftauchen
einer bisher in den politischen Wirren Spaniens kaum dem Namen nach be-'
kannten Partei, der Demokratie, so wie. aus den Ehrgeiz und die Schwache
Esparteros, und unterstützte O'Donnelö Ansprüche, um an ihm ein Gegen¬
gewicht gegen Gefahren zu haben, die ihr ernster erschienen, als die einer
militärischen Reaction. Außerdem hatten sogleich in den ersten Tagen ihres
Triumphs die Progressisten durch die Wiederherstellung der seit länger alö
zehn Jahren aufgelösten Nationalmiliz sich eine Waffe geschaffen, die erforder¬
lichen Falls der Armee entgegengestellt werden konnte. Die Junten, die während
deö fast halbmonatlichen Interregnums, das zwischen dem Sturz des Sartorius
und der Bildung des Ministeriums Espartero lag, in allen Provinzen sich
bildeten, bewaffneten sofort die Milizen und. dehnten meistens den Kreis der¬
selben so weit aus, daß auch höchst gefährliche Elemente der Bevölkerung unter
ihnen Platz fanden. In den großen Städten, namentlich in Madrid, Barcelona
und Valencia, pflanzte die Demokratie, und zwar eine socialistisch gefärbte Demo¬
kratie, ihr Banner auf. Ihre Redner dvminirten in den Clubs, ihre Blätter, die
sofort nach dem Siege der Revolution gegründet wurden, wandten sich an die
Leidenschaften der Massen, und arbeiteten aus die Proclamirung der Republik hin.
Bei keinem der vielen Aufstände, die Spanien in diesem Jahrhundert gesehn,
hatte sich eine compacte und organisirte demokratische Partei gezeigt, die, von
den Progressisten sich sondernd, die Republik offen aus ihre Fahne schrieb.
Zwar hatten schon früher die Progressisten einen ravicalen Schweif, in welchem
auch republikanische Sympathien sich regten, doch waren die letzteren nnr ver¬
einzelt und unklar, und die Radicalen stellten sich dem Haupttheil der Pro¬
gressisten nicht als Partei gegenüber. Die französische Revolution von -1848
hatte indeß auch nach Spanien Keime geworfen, die das Jahr 1834 auf¬
schießen ließ, und wenn auch im Vergleich zur französischen Demokratie in und
nach den Februartagen die spanische verhällnißmüßig noch schwach genannt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/335>, abgerufen am 23.07.2024.