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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schickte sich zur Bildung seines Ministeriums an, wozu ihm natürlich die Kö¬
nigin unumschränkte Vollmacht ertheilt hatte. Wenn aber auch nicht mit der
Krone, so mußte er doch mit den eigentlichen Befreiern des Landes, mit
O'Dommel und den Generalen von Vicalvaro, die Gewalt theilen, welche
eine starke Partei in den höhern Mittelclassen, vor allem aber einen über¬
wiegenden Einfluß aus die Armee hatten. Durch den Abfall des ganzen
blaserschen Corps und der andern Truppentheile, der aus die Nachrichten des
um sich greifenden Aufstandes erfolgt war, verstärkt, marschirte der Graf
von Lucera mit einer beträchtlichen Macht aus die Hauptstadt und athmeten
auch seine Erklärungen die höchste Uneigennützigkeit und Bescheidenheit, so
schien es doch kaum glaublich, daß dieser entschlossene Mann die Früchte einer
Bewegung, die er mit so viel Geschick und Ausdauer und auf Gefahr seines
Kopfes herbeigeführt, sich und seinen Gesinnungsgenossen völlig entreißen
lassen und sie willig in die Hände einer Partei niederlegen sollte, deren
Grundsätze und Absichten weit über die seinigen hinausgingen. Ob es ge¬
gründet ist, daß Espartero den General O'Dommel zuerst durch das Anerbieten
der Statthalterschaft Cubas, die dieser bereits von 1843--47 geführt, abzufinden
versuchte, mag dahingestellt bleiben; kaum glaublich erscheint eS allerdings,
wie er den Charakter, den Ehrgeiz und die Pläne desselben so tief sollte unter¬
schätzt haben, um ihm einen solchen, unter den Umständen fast beleidigenden
Antrag zu machen. Sicher ist eS, daß er ihm gern jedes andre Portefeuille
gegeben hätte, als dasjenige, welches O'Dommel zur unabweisbaren Bedin¬
gung seines Eintritts in das Cabinet machte: das Kriegsministerium.

Die erste aus der "Julirevolution" hervorgegangene Verwaltung ver¬
einigte in ihren Mitgliedern die Elemente der Koalition, welche den Aufstand
hervorgerufen hatte; indessen war sie der Mehrheit nach bereits progressistisch,
wie es die Situation auch unstreitig erheischte. Espartero führte den Vorsitz
ohne Portefeuille; zu denen des Innern, der Justiz, der öffentlichen Arbeiten
und der Marine wurden Santa Cruz, Alonso, Lujan und Salazar ernannt,
sämmtlich Progressisten, von denen Lujan durch seine gemäßigten Grundsätze
den freisinnigen Moderados, Salazar, der Vertraute des Siegesherzogs, da¬
gegen den radicalen Progressisten sich zuneigte. Krieg, Aeußeres und Finanzen
bekleideten O'Dommel, Pacheco und Collado. Die beiden letztern gehörten den
sogenannten Purilanos, einer Schattirung der Moderados an, die beinahe
während der ganzen Dauer der Herrschaft dieser Partei in der Opposition
sich befunden hatte, und in verschiedenen Punkten mit den Progressisten über¬
einstimmte. Mit Ausnahme O'Donnels, der, früherhin ein sehr entschiedener
Moderado, durch seine Opposition gegen die Hofpolitik nach links gedrängt
war, und durch die Jnsurrection vom 28. Juni mit seiner Vergangenheit
gebrochen hatte, sahen sich die "Gemäßigten" im eigentlichen Sinne völlig


schickte sich zur Bildung seines Ministeriums an, wozu ihm natürlich die Kö¬
nigin unumschränkte Vollmacht ertheilt hatte. Wenn aber auch nicht mit der
Krone, so mußte er doch mit den eigentlichen Befreiern des Landes, mit
O'Dommel und den Generalen von Vicalvaro, die Gewalt theilen, welche
eine starke Partei in den höhern Mittelclassen, vor allem aber einen über¬
wiegenden Einfluß aus die Armee hatten. Durch den Abfall des ganzen
blaserschen Corps und der andern Truppentheile, der aus die Nachrichten des
um sich greifenden Aufstandes erfolgt war, verstärkt, marschirte der Graf
von Lucera mit einer beträchtlichen Macht aus die Hauptstadt und athmeten
auch seine Erklärungen die höchste Uneigennützigkeit und Bescheidenheit, so
schien es doch kaum glaublich, daß dieser entschlossene Mann die Früchte einer
Bewegung, die er mit so viel Geschick und Ausdauer und auf Gefahr seines
Kopfes herbeigeführt, sich und seinen Gesinnungsgenossen völlig entreißen
lassen und sie willig in die Hände einer Partei niederlegen sollte, deren
Grundsätze und Absichten weit über die seinigen hinausgingen. Ob es ge¬
gründet ist, daß Espartero den General O'Dommel zuerst durch das Anerbieten
der Statthalterschaft Cubas, die dieser bereits von 1843—47 geführt, abzufinden
versuchte, mag dahingestellt bleiben; kaum glaublich erscheint eS allerdings,
wie er den Charakter, den Ehrgeiz und die Pläne desselben so tief sollte unter¬
schätzt haben, um ihm einen solchen, unter den Umständen fast beleidigenden
Antrag zu machen. Sicher ist eS, daß er ihm gern jedes andre Portefeuille
gegeben hätte, als dasjenige, welches O'Dommel zur unabweisbaren Bedin¬
gung seines Eintritts in das Cabinet machte: das Kriegsministerium.

Die erste aus der „Julirevolution" hervorgegangene Verwaltung ver¬
einigte in ihren Mitgliedern die Elemente der Koalition, welche den Aufstand
hervorgerufen hatte; indessen war sie der Mehrheit nach bereits progressistisch,
wie es die Situation auch unstreitig erheischte. Espartero führte den Vorsitz
ohne Portefeuille; zu denen des Innern, der Justiz, der öffentlichen Arbeiten
und der Marine wurden Santa Cruz, Alonso, Lujan und Salazar ernannt,
sämmtlich Progressisten, von denen Lujan durch seine gemäßigten Grundsätze
den freisinnigen Moderados, Salazar, der Vertraute des Siegesherzogs, da¬
gegen den radicalen Progressisten sich zuneigte. Krieg, Aeußeres und Finanzen
bekleideten O'Dommel, Pacheco und Collado. Die beiden letztern gehörten den
sogenannten Purilanos, einer Schattirung der Moderados an, die beinahe
während der ganzen Dauer der Herrschaft dieser Partei in der Opposition
sich befunden hatte, und in verschiedenen Punkten mit den Progressisten über¬
einstimmte. Mit Ausnahme O'Donnels, der, früherhin ein sehr entschiedener
Moderado, durch seine Opposition gegen die Hofpolitik nach links gedrängt
war, und durch die Jnsurrection vom 28. Juni mit seiner Vergangenheit
gebrochen hatte, sahen sich die „Gemäßigten" im eigentlichen Sinne völlig


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[0333] schickte sich zur Bildung seines Ministeriums an, wozu ihm natürlich die Kö¬ nigin unumschränkte Vollmacht ertheilt hatte. Wenn aber auch nicht mit der Krone, so mußte er doch mit den eigentlichen Befreiern des Landes, mit O'Dommel und den Generalen von Vicalvaro, die Gewalt theilen, welche eine starke Partei in den höhern Mittelclassen, vor allem aber einen über¬ wiegenden Einfluß aus die Armee hatten. Durch den Abfall des ganzen blaserschen Corps und der andern Truppentheile, der aus die Nachrichten des um sich greifenden Aufstandes erfolgt war, verstärkt, marschirte der Graf von Lucera mit einer beträchtlichen Macht aus die Hauptstadt und athmeten auch seine Erklärungen die höchste Uneigennützigkeit und Bescheidenheit, so schien es doch kaum glaublich, daß dieser entschlossene Mann die Früchte einer Bewegung, die er mit so viel Geschick und Ausdauer und auf Gefahr seines Kopfes herbeigeführt, sich und seinen Gesinnungsgenossen völlig entreißen lassen und sie willig in die Hände einer Partei niederlegen sollte, deren Grundsätze und Absichten weit über die seinigen hinausgingen. Ob es ge¬ gründet ist, daß Espartero den General O'Dommel zuerst durch das Anerbieten der Statthalterschaft Cubas, die dieser bereits von 1843—47 geführt, abzufinden versuchte, mag dahingestellt bleiben; kaum glaublich erscheint eS allerdings, wie er den Charakter, den Ehrgeiz und die Pläne desselben so tief sollte unter¬ schätzt haben, um ihm einen solchen, unter den Umständen fast beleidigenden Antrag zu machen. Sicher ist eS, daß er ihm gern jedes andre Portefeuille gegeben hätte, als dasjenige, welches O'Dommel zur unabweisbaren Bedin¬ gung seines Eintritts in das Cabinet machte: das Kriegsministerium. Die erste aus der „Julirevolution" hervorgegangene Verwaltung ver¬ einigte in ihren Mitgliedern die Elemente der Koalition, welche den Aufstand hervorgerufen hatte; indessen war sie der Mehrheit nach bereits progressistisch, wie es die Situation auch unstreitig erheischte. Espartero führte den Vorsitz ohne Portefeuille; zu denen des Innern, der Justiz, der öffentlichen Arbeiten und der Marine wurden Santa Cruz, Alonso, Lujan und Salazar ernannt, sämmtlich Progressisten, von denen Lujan durch seine gemäßigten Grundsätze den freisinnigen Moderados, Salazar, der Vertraute des Siegesherzogs, da¬ gegen den radicalen Progressisten sich zuneigte. Krieg, Aeußeres und Finanzen bekleideten O'Dommel, Pacheco und Collado. Die beiden letztern gehörten den sogenannten Purilanos, einer Schattirung der Moderados an, die beinahe während der ganzen Dauer der Herrschaft dieser Partei in der Opposition sich befunden hatte, und in verschiedenen Punkten mit den Progressisten über¬ einstimmte. Mit Ausnahme O'Donnels, der, früherhin ein sehr entschiedener Moderado, durch seine Opposition gegen die Hofpolitik nach links gedrängt war, und durch die Jnsurrection vom 28. Juni mit seiner Vergangenheit gebrochen hatte, sahen sich die „Gemäßigten" im eigentlichen Sinne völlig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/333>, abgerufen am 23.07.2024.