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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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gemäßigten Progressisten, halb aus Moderados bestehend, in der Hoffnung,
damit und mit der Rückkehr in die Bahn der Verfassung den Sturm zu be¬
schwören. Das Zugeständniß kam zu spät. Die Leidenschaften der Massen
waren angestachelt, die Hoffnungen der extremen Parteien erwacht, die Mittel
zum Widerstand ungenügend. Die Tage des 17., 18. und 19. Juli --
welche der Bewegung den Namen gaben -- warfen, das Land hart an den
Rand der Anarchie. Trotz aller Glorie, mit welcher die vorgerückte progres-
sistische Fraction die "Julischlacht von Madrid" zu umgeben versucht hat, ist
es unmöglich, ein anderes Urtheil über sie zu fällen, als daß sie ebenso un¬
rühmlich, als verderblich war. Sie war ein Kampf, der weder die Rechtfertigung
der Nothwendigkeit, noch das Verdienst kühnen Wagens für sich hatte, wol
aber die schmachvollsten Excesse gegen Personen und Eigenthum in seinem
Gefolge, Das Ministerium "der 48 Stunden", dessen bedeutendstes Mitglied
Rios Rosas war, trat vor dem Aufstande zurück, die Königin, in ihren
Palast eingeschlossen, ernannte Espartero zum Präsidenten des Conseils und
legte provisorisch bis zu dessen Ankunft sämmtliche Portefeuilles in die Hände
des Generals San Miguel, eines Veterans der liberalen Partei, dessen Volks¬
beliebtheit und loyale Hingebung im Verein mit den Anstrengungen eines'
aus Mitgliedern der verschiedenen Oppositionsnüancen gebildeten Sicherheitö-
ausschusses den Thron und die Person Jsabellaö schützten. Die Königin
selbst appellirte an die Großherzigkeit des spanischen Volkes in einer Procla-
mation, welche das Eingeständniß der begangenen Irrthümer und die heiligsten
Versprechungen für die Zukunft in einer Sprache enthielt, die ihr in der
Reihe der Demüthigungen, welche die Revolutionen Europas seit 1789 dem
Königthum auferlegt haben, eine denkwürdige Rolle anweist. Zehn Tage
lang -- bis zum 29. Juli -- hatten San Miguel und der Ausschuß in der
mit Barrikaden bedeckten Hauptstadt gegen die Ercesse einer zügellosen Dema¬
gogie und eines losgelassenen Pöbels zu ringen, während Espartero in Sara¬
gossa verweilte, der Königin durch Salazar, seinen Adjutanten, eine hoch¬
fahrende Botschaft überschickte, die Huldigungen der äußersten Parteien entgegen¬
nahm, und die Anarchie durch alle Provinzen des Reichs, das jeder Central-
gewalt ermangelte, sich verbreiten ließ. Es ist kaum möglich, für diese Zögerung,
die sonst unbegreiflich wäre, einen andern Grund aufzufinden, als den Wunsch
Esparteros, dessen Ehrgeiz seine Fähigkeiten weit übersteigt, die Königin möge
in ihrer Hilflosigkeit bis zur Abdankung gedrängt werden, und ihm dann die
schon einmal geführte Regentschaft von neuem für die noch nicht dreijährige
Prinzessin von Asturien zufallen. Diese Berechnung, falls sie wirklich obwal¬
tete, schlug indeß fehl, und endlich sah sich der Siegesherzog genöthigt, nach
der Hauptstadt aufzubrechen. Von beispiellosem Volksjubel empfangen, hielt
er am 29. Juli seinen Einzug in das noch immer verbarrikadirte Madrid und


gemäßigten Progressisten, halb aus Moderados bestehend, in der Hoffnung,
damit und mit der Rückkehr in die Bahn der Verfassung den Sturm zu be¬
schwören. Das Zugeständniß kam zu spät. Die Leidenschaften der Massen
waren angestachelt, die Hoffnungen der extremen Parteien erwacht, die Mittel
zum Widerstand ungenügend. Die Tage des 17., 18. und 19. Juli —
welche der Bewegung den Namen gaben — warfen, das Land hart an den
Rand der Anarchie. Trotz aller Glorie, mit welcher die vorgerückte progres-
sistische Fraction die „Julischlacht von Madrid" zu umgeben versucht hat, ist
es unmöglich, ein anderes Urtheil über sie zu fällen, als daß sie ebenso un¬
rühmlich, als verderblich war. Sie war ein Kampf, der weder die Rechtfertigung
der Nothwendigkeit, noch das Verdienst kühnen Wagens für sich hatte, wol
aber die schmachvollsten Excesse gegen Personen und Eigenthum in seinem
Gefolge, Das Ministerium „der 48 Stunden", dessen bedeutendstes Mitglied
Rios Rosas war, trat vor dem Aufstande zurück, die Königin, in ihren
Palast eingeschlossen, ernannte Espartero zum Präsidenten des Conseils und
legte provisorisch bis zu dessen Ankunft sämmtliche Portefeuilles in die Hände
des Generals San Miguel, eines Veterans der liberalen Partei, dessen Volks¬
beliebtheit und loyale Hingebung im Verein mit den Anstrengungen eines'
aus Mitgliedern der verschiedenen Oppositionsnüancen gebildeten Sicherheitö-
ausschusses den Thron und die Person Jsabellaö schützten. Die Königin
selbst appellirte an die Großherzigkeit des spanischen Volkes in einer Procla-
mation, welche das Eingeständniß der begangenen Irrthümer und die heiligsten
Versprechungen für die Zukunft in einer Sprache enthielt, die ihr in der
Reihe der Demüthigungen, welche die Revolutionen Europas seit 1789 dem
Königthum auferlegt haben, eine denkwürdige Rolle anweist. Zehn Tage
lang — bis zum 29. Juli — hatten San Miguel und der Ausschuß in der
mit Barrikaden bedeckten Hauptstadt gegen die Ercesse einer zügellosen Dema¬
gogie und eines losgelassenen Pöbels zu ringen, während Espartero in Sara¬
gossa verweilte, der Königin durch Salazar, seinen Adjutanten, eine hoch¬
fahrende Botschaft überschickte, die Huldigungen der äußersten Parteien entgegen¬
nahm, und die Anarchie durch alle Provinzen des Reichs, das jeder Central-
gewalt ermangelte, sich verbreiten ließ. Es ist kaum möglich, für diese Zögerung,
die sonst unbegreiflich wäre, einen andern Grund aufzufinden, als den Wunsch
Esparteros, dessen Ehrgeiz seine Fähigkeiten weit übersteigt, die Königin möge
in ihrer Hilflosigkeit bis zur Abdankung gedrängt werden, und ihm dann die
schon einmal geführte Regentschaft von neuem für die noch nicht dreijährige
Prinzessin von Asturien zufallen. Diese Berechnung, falls sie wirklich obwal¬
tete, schlug indeß fehl, und endlich sah sich der Siegesherzog genöthigt, nach
der Hauptstadt aufzubrechen. Von beispiellosem Volksjubel empfangen, hielt
er am 29. Juli seinen Einzug in das noch immer verbarrikadirte Madrid und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/332>, abgerufen am 23.07.2024.