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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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nen Wohnungen in vieler Beziehung beipflichten durfte, so erfuhr man doch
selten, was sie eigentlich an Stelle derselben setzen wollten.

Darf man nun die vorliegende Sammlung als einen Fingerzeig betrachten,
so wird man zunächst gern zugeben, daß für den Touristen Städte in der
Weise wie die vorliegende ausgeführt, namentlich wenn die Natur ihnen zu
Hilfe kommt, eine sehr angenehme Erscheinung sein würden. Anders steht die
Sache, wenn man sich die Frage vorlegt, ob man in derartigen Gebäude"
wohnen möchte. Es ist zunächst ein Uebelstand, daß man sich bei jenen, dem
Merian nachgebildeten Häusern wol vorstellen kann, was sie in jener Zeit,
wo man sich in den Städten noch recht wacker raufte, und wo jede Stadt,
jeder Stadttheil, ja selbst jedes Haus an eine Burg erinnerten, für einen
Zweck hatten; aber man bleibt vollkommen rathlos, wenn man sich die Frage
vorlegt, zu welchem Gebrauch sie in der Gegenwart dienen sollen. Wir wollen
hier nur auf einen kleinen, aber höchst charakteristischen Umstand aufmerksam
machen. Wir finden in diesen Tafeln zwar eine Menge Thürme, Erker u. tgi.
auch an Laufgräben und Zugbrücken fehlt es nicht, aber wir haben mit aller
Mühe nur zwei oder drei kleine Schornsteine entdeckt. Dann kommen auch
Gebäude, wo fünf bis sechs spitze Thürme dicht nebeneinander stehen, in jedem
ein oder zwei kleine Fenster. Man steht ja wol noch in den Städten der¬
gleichen Bauten, aber Reichensperger selbst würde doch nicht gern darin woh¬
nen wollen.

Wenn die modernen Gothen mit ihren sonst sehr achtungswerthen Studien
einen praktischen Zweck verbinden wollen, so werden sie nicht von dem Male¬
rischen ausgehen, sie werden die Häuser nicht als integrirende Theile einer
Landschaft betrachten dürfen, sondern sie werden zunächst darnach fragen müssen,
zu welchem Zwecke dient ein Haus? Und da ist es auch eine sehr müßige
Spielerei, wenn man, wie Reichensperger und nach ihm nicht, dem Publicum
sagt: Euer Familienleben und eure geschäftliche Thätigkeit soll nach unsern
künstlerischen Begriffen so und so eingerichtet sein; ihr werdet euch daher ent¬
schließen müssen, nach unsern Borschriften zu leben, damit wir euch Häuser
bauen können, die zugleich geschmackvoll und zweckmäßig sind. Einer solchen
Zumuthung wird niemand Gehör geben, denn jeder weiß am besten, wie er
sein Leben einzurichten hat, und er wird vom Baumeister verlangen, er soll
das Haus diesen Zwecken gemäß einrichten.

Eine Verständigung wäre vielleicht viel eher möglich, wenn man es so ein¬
richten könnte, daß sich jeder Privatmann für seine Bedürfnisse ein eignes
Haus bauen könnte. Auf dem Lande geschieht es auch so, allenfalls auch in
kleinern Städten, wo der Boden noch wohlfeil ist, aber hier wird überhaupt
nicht gebant, denn die Einwohnerzahl ist nicht in der Vermehrung, sondern
in der Verminderung begriffen. In großen Städten wird es nur dem reichen


nen Wohnungen in vieler Beziehung beipflichten durfte, so erfuhr man doch
selten, was sie eigentlich an Stelle derselben setzen wollten.

Darf man nun die vorliegende Sammlung als einen Fingerzeig betrachten,
so wird man zunächst gern zugeben, daß für den Touristen Städte in der
Weise wie die vorliegende ausgeführt, namentlich wenn die Natur ihnen zu
Hilfe kommt, eine sehr angenehme Erscheinung sein würden. Anders steht die
Sache, wenn man sich die Frage vorlegt, ob man in derartigen Gebäude»
wohnen möchte. Es ist zunächst ein Uebelstand, daß man sich bei jenen, dem
Merian nachgebildeten Häusern wol vorstellen kann, was sie in jener Zeit,
wo man sich in den Städten noch recht wacker raufte, und wo jede Stadt,
jeder Stadttheil, ja selbst jedes Haus an eine Burg erinnerten, für einen
Zweck hatten; aber man bleibt vollkommen rathlos, wenn man sich die Frage
vorlegt, zu welchem Gebrauch sie in der Gegenwart dienen sollen. Wir wollen
hier nur auf einen kleinen, aber höchst charakteristischen Umstand aufmerksam
machen. Wir finden in diesen Tafeln zwar eine Menge Thürme, Erker u. tgi.
auch an Laufgräben und Zugbrücken fehlt es nicht, aber wir haben mit aller
Mühe nur zwei oder drei kleine Schornsteine entdeckt. Dann kommen auch
Gebäude, wo fünf bis sechs spitze Thürme dicht nebeneinander stehen, in jedem
ein oder zwei kleine Fenster. Man steht ja wol noch in den Städten der¬
gleichen Bauten, aber Reichensperger selbst würde doch nicht gern darin woh¬
nen wollen.

Wenn die modernen Gothen mit ihren sonst sehr achtungswerthen Studien
einen praktischen Zweck verbinden wollen, so werden sie nicht von dem Male¬
rischen ausgehen, sie werden die Häuser nicht als integrirende Theile einer
Landschaft betrachten dürfen, sondern sie werden zunächst darnach fragen müssen,
zu welchem Zwecke dient ein Haus? Und da ist es auch eine sehr müßige
Spielerei, wenn man, wie Reichensperger und nach ihm nicht, dem Publicum
sagt: Euer Familienleben und eure geschäftliche Thätigkeit soll nach unsern
künstlerischen Begriffen so und so eingerichtet sein; ihr werdet euch daher ent¬
schließen müssen, nach unsern Borschriften zu leben, damit wir euch Häuser
bauen können, die zugleich geschmackvoll und zweckmäßig sind. Einer solchen
Zumuthung wird niemand Gehör geben, denn jeder weiß am besten, wie er
sein Leben einzurichten hat, und er wird vom Baumeister verlangen, er soll
das Haus diesen Zwecken gemäß einrichten.

Eine Verständigung wäre vielleicht viel eher möglich, wenn man es so ein¬
richten könnte, daß sich jeder Privatmann für seine Bedürfnisse ein eignes
Haus bauen könnte. Auf dem Lande geschieht es auch so, allenfalls auch in
kleinern Städten, wo der Boden noch wohlfeil ist, aber hier wird überhaupt
nicht gebant, denn die Einwohnerzahl ist nicht in der Vermehrung, sondern
in der Verminderung begriffen. In großen Städten wird es nur dem reichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/318>, abgerufen am 03.07.2024.