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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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demselben, selbst aus dem Innern deS Reichs, große Truppenmassen unmittel¬
bar an die persischen Nordprovinzen Dabistan, Masanderan und Philem führen
kann. Denn es ist wohl zu beachten, daß die Wolga, welche schon jetzt von
hundertundfunfz ig Dampfern befahren wird, eine Einschiffung der Erpe¬
ditionstruppen auf den verschiedensten Stationspunkten ihrer Ufer gestattet; daß
Astrachan nicht erst zum Ausgangs-, sondern zum Sammelpunkt des Heeres
zu machen ist, und daß dasselbe, ehe fünf Tage vergehen, von dort nach
Asterabad gebracht werden kann. Dazu kommt, daß eine bei Asterabad- oder
Rescht gekantete russische Armee die ihr auf dem persischen Kriegstheater vor¬
liegenden Zielpunkte fast alle mittelst kürzerer Operationslinien wie auf dem
asiatisch-türkischen zu erreichen vermag. Von beiden Punkten aus ist die
Hauptstadt Teheran nicht weiter entlegen, als etwa von der Grenze des russi¬
schen Transkaukasien Erzerum. Ja der Marsch von dort bis Abuschär (Buschir)
am persischen Meerbusen dürste leichter auszuführen sein, wie ein Vorrücken
etwa von Erivan zur syrischen Küste, und um vieles leichter, als ein Marsch
von dort zum Bosporus oder zum Isthmus von Suez.

Eine Besitznahme Persiens durch Rußland aber würde ungefähr folgende
Folgen haben. Rußland steht mit dem einen Fuße am indischen Ocean; zum
ersten Mal haben seine Grenzen, abgesehen von den Küsten des eisigen Nordens,
das freie Weltmeer erreicht. Es ist dem britischen Indien bedrohlich nahe
gerückt, und sowol Innerasien, in welches man von Sibirien aus, z. B.
von der Fronte her, nur langsam vorgedrungen, ist in den Rücken genommen,
wie die astatische Türkei. Dort wird ein Sieg der russischen Waffen in Per¬
sien den baldigen Anfall der Euphrcit- und Tigrisländer an den Zar nach
sich ziehen. Haleb (Aleppo) wird dann eher fallen, als Erzerum, und die
Russen werden früher am Mittelmeer stehen, als am Bosporus.

Unter den Umständen, welche der Action russischer Heereökräfte auf dem
persischen Kriegstheater zu Hilfe kommen, steht die Schwierigkeit oben an,
andere europäische Streitkräfte zu Nückwerfung des Angriffs aus dieses
entlegene Kampffeld zu^ versetzen. Ebendarum ist es von entscheidender Wich¬
tigkeit, Mittel zu finden, dieses große strategische Problem zu lösen. Rom ist
an dem Versuche dazu gescheitert, aber die heutige Macht Britanniens bedeutet
mehr als die der ehemaligen Beherrscherin der bekannten Welt. England hat
sich vorgesetzt, in höchstens einem Jahrzehnt die Sachlage dergestalt zu än¬
dern, daß innerhalb wenig Tagen eine englische Armee, welche bei Seleucia
oder Alcrandrette landet, zu der Westgrenze Persiens geführt werden kann
und das Mittel dazu wird die sogenannte Thalbahn des Euphrat.

Das große und kühne Unternehmen, das Mittelmeer durch einen tausend
englische Meilen messenden Schienenweg mit der Tiefebene des Doppelstrom¬
landes und dem persischen Meerbusen zu verbinden, hat eifrige Gegner, nicht


demselben, selbst aus dem Innern deS Reichs, große Truppenmassen unmittel¬
bar an die persischen Nordprovinzen Dabistan, Masanderan und Philem führen
kann. Denn es ist wohl zu beachten, daß die Wolga, welche schon jetzt von
hundertundfunfz ig Dampfern befahren wird, eine Einschiffung der Erpe¬
ditionstruppen auf den verschiedensten Stationspunkten ihrer Ufer gestattet; daß
Astrachan nicht erst zum Ausgangs-, sondern zum Sammelpunkt des Heeres
zu machen ist, und daß dasselbe, ehe fünf Tage vergehen, von dort nach
Asterabad gebracht werden kann. Dazu kommt, daß eine bei Asterabad- oder
Rescht gekantete russische Armee die ihr auf dem persischen Kriegstheater vor¬
liegenden Zielpunkte fast alle mittelst kürzerer Operationslinien wie auf dem
asiatisch-türkischen zu erreichen vermag. Von beiden Punkten aus ist die
Hauptstadt Teheran nicht weiter entlegen, als etwa von der Grenze des russi¬
schen Transkaukasien Erzerum. Ja der Marsch von dort bis Abuschär (Buschir)
am persischen Meerbusen dürste leichter auszuführen sein, wie ein Vorrücken
etwa von Erivan zur syrischen Küste, und um vieles leichter, als ein Marsch
von dort zum Bosporus oder zum Isthmus von Suez.

Eine Besitznahme Persiens durch Rußland aber würde ungefähr folgende
Folgen haben. Rußland steht mit dem einen Fuße am indischen Ocean; zum
ersten Mal haben seine Grenzen, abgesehen von den Küsten des eisigen Nordens,
das freie Weltmeer erreicht. Es ist dem britischen Indien bedrohlich nahe
gerückt, und sowol Innerasien, in welches man von Sibirien aus, z. B.
von der Fronte her, nur langsam vorgedrungen, ist in den Rücken genommen,
wie die astatische Türkei. Dort wird ein Sieg der russischen Waffen in Per¬
sien den baldigen Anfall der Euphrcit- und Tigrisländer an den Zar nach
sich ziehen. Haleb (Aleppo) wird dann eher fallen, als Erzerum, und die
Russen werden früher am Mittelmeer stehen, als am Bosporus.

Unter den Umständen, welche der Action russischer Heereökräfte auf dem
persischen Kriegstheater zu Hilfe kommen, steht die Schwierigkeit oben an,
andere europäische Streitkräfte zu Nückwerfung des Angriffs aus dieses
entlegene Kampffeld zu^ versetzen. Ebendarum ist es von entscheidender Wich¬
tigkeit, Mittel zu finden, dieses große strategische Problem zu lösen. Rom ist
an dem Versuche dazu gescheitert, aber die heutige Macht Britanniens bedeutet
mehr als die der ehemaligen Beherrscherin der bekannten Welt. England hat
sich vorgesetzt, in höchstens einem Jahrzehnt die Sachlage dergestalt zu än¬
dern, daß innerhalb wenig Tagen eine englische Armee, welche bei Seleucia
oder Alcrandrette landet, zu der Westgrenze Persiens geführt werden kann
und das Mittel dazu wird die sogenannte Thalbahn des Euphrat.

Das große und kühne Unternehmen, das Mittelmeer durch einen tausend
englische Meilen messenden Schienenweg mit der Tiefebene des Doppelstrom¬
landes und dem persischen Meerbusen zu verbinden, hat eifrige Gegner, nicht


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[0308] demselben, selbst aus dem Innern deS Reichs, große Truppenmassen unmittel¬ bar an die persischen Nordprovinzen Dabistan, Masanderan und Philem führen kann. Denn es ist wohl zu beachten, daß die Wolga, welche schon jetzt von hundertundfunfz ig Dampfern befahren wird, eine Einschiffung der Erpe¬ ditionstruppen auf den verschiedensten Stationspunkten ihrer Ufer gestattet; daß Astrachan nicht erst zum Ausgangs-, sondern zum Sammelpunkt des Heeres zu machen ist, und daß dasselbe, ehe fünf Tage vergehen, von dort nach Asterabad gebracht werden kann. Dazu kommt, daß eine bei Asterabad- oder Rescht gekantete russische Armee die ihr auf dem persischen Kriegstheater vor¬ liegenden Zielpunkte fast alle mittelst kürzerer Operationslinien wie auf dem asiatisch-türkischen zu erreichen vermag. Von beiden Punkten aus ist die Hauptstadt Teheran nicht weiter entlegen, als etwa von der Grenze des russi¬ schen Transkaukasien Erzerum. Ja der Marsch von dort bis Abuschär (Buschir) am persischen Meerbusen dürste leichter auszuführen sein, wie ein Vorrücken etwa von Erivan zur syrischen Küste, und um vieles leichter, als ein Marsch von dort zum Bosporus oder zum Isthmus von Suez. Eine Besitznahme Persiens durch Rußland aber würde ungefähr folgende Folgen haben. Rußland steht mit dem einen Fuße am indischen Ocean; zum ersten Mal haben seine Grenzen, abgesehen von den Küsten des eisigen Nordens, das freie Weltmeer erreicht. Es ist dem britischen Indien bedrohlich nahe gerückt, und sowol Innerasien, in welches man von Sibirien aus, z. B. von der Fronte her, nur langsam vorgedrungen, ist in den Rücken genommen, wie die astatische Türkei. Dort wird ein Sieg der russischen Waffen in Per¬ sien den baldigen Anfall der Euphrcit- und Tigrisländer an den Zar nach sich ziehen. Haleb (Aleppo) wird dann eher fallen, als Erzerum, und die Russen werden früher am Mittelmeer stehen, als am Bosporus. Unter den Umständen, welche der Action russischer Heereökräfte auf dem persischen Kriegstheater zu Hilfe kommen, steht die Schwierigkeit oben an, andere europäische Streitkräfte zu Nückwerfung des Angriffs aus dieses entlegene Kampffeld zu^ versetzen. Ebendarum ist es von entscheidender Wich¬ tigkeit, Mittel zu finden, dieses große strategische Problem zu lösen. Rom ist an dem Versuche dazu gescheitert, aber die heutige Macht Britanniens bedeutet mehr als die der ehemaligen Beherrscherin der bekannten Welt. England hat sich vorgesetzt, in höchstens einem Jahrzehnt die Sachlage dergestalt zu än¬ dern, daß innerhalb wenig Tagen eine englische Armee, welche bei Seleucia oder Alcrandrette landet, zu der Westgrenze Persiens geführt werden kann und das Mittel dazu wird die sogenannte Thalbahn des Euphrat. Das große und kühne Unternehmen, das Mittelmeer durch einen tausend englische Meilen messenden Schienenweg mit der Tiefebene des Doppelstrom¬ landes und dem persischen Meerbusen zu verbinden, hat eifrige Gegner, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/308>, abgerufen am 23.07.2024.