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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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von Syrakus, der sich in bunter Sänfte umhertragen ließ, vorn und hinten
Musikanten, Fackelträger u. s. w. zu Pferde und zu Esel, ist der König ein
solider Familienvater und man erzählt von ihm in dieser Beziehung nur Gutes.
Seine Erscheinung ist die eines uniformirten behaglichen Bürgers, das Gesicht
roth und übermäßig rund, das Doppelkinn von stattlicher Fülle. Er hat keine
ausgesprochenen Leidenschaften und ist von Natur nicht grausam. Nach dem
Straßenkampf vom Is. Mai 1848 blieb er fast drei Monate lang freiwilliger
Gefangener im Palazzo reale. Am 6. August erst unternahm er es, sich, ohne
eine Straße zu berühren, im Porto militare nach Castellamare einzuschiffen,
woselbst er im Schlosse das Stillleben des Palazzo reale fortsetzte. Von
seinem Glauben an den wunderthätigen Januariusmantel redeten wir schon
früher. Beim Piedegrottafeste, am 8. September, berührte er kaum das Land.
Mit einem Dampfboote nach der kleinen Grottenkirche am Posilippo gebracht,
verrichtete er dort seine Gebete, von dem Volke durch fünffache Soldaten-
spaliere getrennt, und kehrte dann sogleich an Bord des Dampfers zurück.

Da aber in einem katholischen Lande jede militärische Allmacht sich früher
oder später des Beistandes der Kirche versichert, so findet Seumes Ausruf
über das Zusammenwirken von Soldaten und Mönchen: "diese permanente
Guillotine der Vernunft!" auf Neapel seine vollgiltige Anwendung. Selbst
dem Könige wird der Uebermuth der Geistlichen zu Zeiten zu arg. Dies bringt
die Spannung zu Wege, welche zwischen dem König und den Jesuiten hin
und wieder zu Tage tritt und die manche freisinnige d. h. ganz verkehrte
Auslegungen gefunden hat. Vor zwei Jahren etwa war die Verstimmung
der Majestät einmal so groß, daß alles, was Jesuit hieß, noch vor Tagesanbruch
aus Neapel fortgeschafft werden sollte. Der Prinz von Syrakus nämlich, des
Königs ausschweifender Bruder, welcher in Sorrent das Leben eines Sultans
führt, war vom Schlage gerührt worden. Der König, sonst mit ihm ohne
allen Verkehr, besuchte ihn. Auf dem Tische des Kranken, der sich mit Mi߬
liebigen zu umgeben liebte, steht der König ein ihm neues Blatt. Es war
die jesuitische Civita Cattolica, welche damals Pech und Theer über das nea¬
politanische Polizeitreiben regnen ließ. Der König geräth außer sich und läßt
sofort mit der größten Strenge gegen den aufsätzigen Orden verfahren, bis
später deS Papstes Einfluß eine Milderung der Maßnahmen veranlaßte. Die
Abneigung aber bestand und besteht fort. Ferdinand ist den Jesuiten zu grob;
sie hingegen sind ihm zu fein. Das gemeinsame Interesse nur macht einen
Bruch auf die Dauer unmöglich.

Daß ein Fürst, der so viele Todes- und Gefängnißurtheile unterschreiben
wußte, seinem Volke gegenüber in einer verhängnißvollen Lage ist, aus welcher
für ihn keine Elevation möglich ist, wird in Italien auch von seinen An¬
hängern zugegeben: Ist ein Fürst einmal verhaßt, so fällt, was er thut, seis


Grenzten, IV, 1866. 38

von Syrakus, der sich in bunter Sänfte umhertragen ließ, vorn und hinten
Musikanten, Fackelträger u. s. w. zu Pferde und zu Esel, ist der König ein
solider Familienvater und man erzählt von ihm in dieser Beziehung nur Gutes.
Seine Erscheinung ist die eines uniformirten behaglichen Bürgers, das Gesicht
roth und übermäßig rund, das Doppelkinn von stattlicher Fülle. Er hat keine
ausgesprochenen Leidenschaften und ist von Natur nicht grausam. Nach dem
Straßenkampf vom Is. Mai 1848 blieb er fast drei Monate lang freiwilliger
Gefangener im Palazzo reale. Am 6. August erst unternahm er es, sich, ohne
eine Straße zu berühren, im Porto militare nach Castellamare einzuschiffen,
woselbst er im Schlosse das Stillleben des Palazzo reale fortsetzte. Von
seinem Glauben an den wunderthätigen Januariusmantel redeten wir schon
früher. Beim Piedegrottafeste, am 8. September, berührte er kaum das Land.
Mit einem Dampfboote nach der kleinen Grottenkirche am Posilippo gebracht,
verrichtete er dort seine Gebete, von dem Volke durch fünffache Soldaten-
spaliere getrennt, und kehrte dann sogleich an Bord des Dampfers zurück.

Da aber in einem katholischen Lande jede militärische Allmacht sich früher
oder später des Beistandes der Kirche versichert, so findet Seumes Ausruf
über das Zusammenwirken von Soldaten und Mönchen: „diese permanente
Guillotine der Vernunft!" auf Neapel seine vollgiltige Anwendung. Selbst
dem Könige wird der Uebermuth der Geistlichen zu Zeiten zu arg. Dies bringt
die Spannung zu Wege, welche zwischen dem König und den Jesuiten hin
und wieder zu Tage tritt und die manche freisinnige d. h. ganz verkehrte
Auslegungen gefunden hat. Vor zwei Jahren etwa war die Verstimmung
der Majestät einmal so groß, daß alles, was Jesuit hieß, noch vor Tagesanbruch
aus Neapel fortgeschafft werden sollte. Der Prinz von Syrakus nämlich, des
Königs ausschweifender Bruder, welcher in Sorrent das Leben eines Sultans
führt, war vom Schlage gerührt worden. Der König, sonst mit ihm ohne
allen Verkehr, besuchte ihn. Auf dem Tische des Kranken, der sich mit Mi߬
liebigen zu umgeben liebte, steht der König ein ihm neues Blatt. Es war
die jesuitische Civita Cattolica, welche damals Pech und Theer über das nea¬
politanische Polizeitreiben regnen ließ. Der König geräth außer sich und läßt
sofort mit der größten Strenge gegen den aufsätzigen Orden verfahren, bis
später deS Papstes Einfluß eine Milderung der Maßnahmen veranlaßte. Die
Abneigung aber bestand und besteht fort. Ferdinand ist den Jesuiten zu grob;
sie hingegen sind ihm zu fein. Das gemeinsame Interesse nur macht einen
Bruch auf die Dauer unmöglich.

Daß ein Fürst, der so viele Todes- und Gefängnißurtheile unterschreiben
wußte, seinem Volke gegenüber in einer verhängnißvollen Lage ist, aus welcher
für ihn keine Elevation möglich ist, wird in Italien auch von seinen An¬
hängern zugegeben: Ist ein Fürst einmal verhaßt, so fällt, was er thut, seis


Grenzten, IV, 1866. 38
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[0305] von Syrakus, der sich in bunter Sänfte umhertragen ließ, vorn und hinten Musikanten, Fackelträger u. s. w. zu Pferde und zu Esel, ist der König ein solider Familienvater und man erzählt von ihm in dieser Beziehung nur Gutes. Seine Erscheinung ist die eines uniformirten behaglichen Bürgers, das Gesicht roth und übermäßig rund, das Doppelkinn von stattlicher Fülle. Er hat keine ausgesprochenen Leidenschaften und ist von Natur nicht grausam. Nach dem Straßenkampf vom Is. Mai 1848 blieb er fast drei Monate lang freiwilliger Gefangener im Palazzo reale. Am 6. August erst unternahm er es, sich, ohne eine Straße zu berühren, im Porto militare nach Castellamare einzuschiffen, woselbst er im Schlosse das Stillleben des Palazzo reale fortsetzte. Von seinem Glauben an den wunderthätigen Januariusmantel redeten wir schon früher. Beim Piedegrottafeste, am 8. September, berührte er kaum das Land. Mit einem Dampfboote nach der kleinen Grottenkirche am Posilippo gebracht, verrichtete er dort seine Gebete, von dem Volke durch fünffache Soldaten- spaliere getrennt, und kehrte dann sogleich an Bord des Dampfers zurück. Da aber in einem katholischen Lande jede militärische Allmacht sich früher oder später des Beistandes der Kirche versichert, so findet Seumes Ausruf über das Zusammenwirken von Soldaten und Mönchen: „diese permanente Guillotine der Vernunft!" auf Neapel seine vollgiltige Anwendung. Selbst dem Könige wird der Uebermuth der Geistlichen zu Zeiten zu arg. Dies bringt die Spannung zu Wege, welche zwischen dem König und den Jesuiten hin und wieder zu Tage tritt und die manche freisinnige d. h. ganz verkehrte Auslegungen gefunden hat. Vor zwei Jahren etwa war die Verstimmung der Majestät einmal so groß, daß alles, was Jesuit hieß, noch vor Tagesanbruch aus Neapel fortgeschafft werden sollte. Der Prinz von Syrakus nämlich, des Königs ausschweifender Bruder, welcher in Sorrent das Leben eines Sultans führt, war vom Schlage gerührt worden. Der König, sonst mit ihm ohne allen Verkehr, besuchte ihn. Auf dem Tische des Kranken, der sich mit Mi߬ liebigen zu umgeben liebte, steht der König ein ihm neues Blatt. Es war die jesuitische Civita Cattolica, welche damals Pech und Theer über das nea¬ politanische Polizeitreiben regnen ließ. Der König geräth außer sich und läßt sofort mit der größten Strenge gegen den aufsätzigen Orden verfahren, bis später deS Papstes Einfluß eine Milderung der Maßnahmen veranlaßte. Die Abneigung aber bestand und besteht fort. Ferdinand ist den Jesuiten zu grob; sie hingegen sind ihm zu fein. Das gemeinsame Interesse nur macht einen Bruch auf die Dauer unmöglich. Daß ein Fürst, der so viele Todes- und Gefängnißurtheile unterschreiben wußte, seinem Volke gegenüber in einer verhängnißvollen Lage ist, aus welcher für ihn keine Elevation möglich ist, wird in Italien auch von seinen An¬ hängern zugegeben: Ist ein Fürst einmal verhaßt, so fällt, was er thut, seis Grenzten, IV, 1866. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/305>, abgerufen am 23.07.2024.