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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Zwangswege, der Nest von einer Million auf freiwilligem Wege zusammen¬
gebracht. Zugleich wurde das Verbot der Getreideausfuhr zurückgenommen.
Ein Circular des Unterrichtöministers (vom 28. April) an die Intendanten
empfahl diesen, nach einem ausführlich dargelegten System der Verdummung
ewigst zu steuern und traf Anordnung wegen Schulen. Der Minister des Innern
veranlaßte die Delegaten in den Provinzen, über etwaige Ursurpationen
unter dem frühern Regiment Forschungen anzustellen. Diese letztere Verfügung
war die Quelle einer Menge communistischer Träume. In Venvsa wollte man
die Gütervertheilung einführen; nicht minder in Ricovero, in Maschito;
Domänengüter in Santangelo d" Lombard! wurden den Pächtern derselben
genommen und vertheilt. In den Abruzzen und in Calabrien bemächtigte sich
die Verwirrung so sehr aller Köpfe, daß man mit ähnlichen Maßnahmen die
Rufe Viva it Re, Morte la Costituzione begleitete, und provisorische Regie¬
rungen bildete. Die Einwohner Teramos kauften sich durch Geld von den
Forderungen der Bergbewohner frei, lockten sie dadurch aber erst recht heran,
und hatten jetzt die größte Noth, sich ihrer Haut zu wehren. Pratola, gegen¬
über la Badia, im schönen Thale der Solmona gelegen, erlebte in den Tagen
des 7. und 8. Mai die entsetzlichsten Greuel unter der Devise: Morte al
Galantuomini, abbasso la Costituzione! -- Die Austritte der galizischen Leib¬
eignen erneuerten sich in neuer Gestalt.

In Neapel gaben die Spinner und Buchdruckergesellen, wie auch de^s
Studententreiben im Cafe ti Buono Anlaß zu Besorgnissen; doch kam es nicht
ZU ernstlichen Ruhestörungen. Die Ermordung des unbeliebten Kanonicus
Pallicano beim Auszug aus, der Kirche del Gehn Nuovo, nach einer unvor¬
sichtigen Predigt, war das einzige schlimmere Ereigniß ähnlichen Charakters,
trug aber zur Aufregung der Gemüther bei, da es zwei Tage vor dem Zu¬
sammentritt der Deputaten geschah.

Am 13. Mai versammelten sich diese letzteren zum ersten Male im Muni-
cipalsaale des Monte Oliveto. Es zeigte sich bald, daß die Majorität einer
gemäßigten Farbe angehörte, daß aber die Beschlüsse durch die Redseligkeit
der Minderheit beträchtlich erschwert werden würden.

Die Formulirung des Eides war die Klippe, welche es zu umschiffen galt.
Die Befugniß, die Verfassung zu ändern, mußte nach dem Progamm der
Minister unfehlbar darin ausgesprochen werden, doch fehlte jene in dem vor¬
gelegten Eideöformular. Die Minister versprachen, die aus den folgenden
Tag in der Kirche Se. Lorenzo angeordnete Eidesleistung vorläufig aus dem
Programm dieses Tages zu streichen und die Feierlichkeit auf die Eröffnung
^r Kammern zu beschränken. Sie stießen indessen auf Schwierigkeiten Seitens
de6 Königs, und ließen Tages darauf das unveränderte Eidesformular an die
wieder zusammengetretenen Deputaten vertheilen. Der ganze 1i. Mai ging


Zwangswege, der Nest von einer Million auf freiwilligem Wege zusammen¬
gebracht. Zugleich wurde das Verbot der Getreideausfuhr zurückgenommen.
Ein Circular des Unterrichtöministers (vom 28. April) an die Intendanten
empfahl diesen, nach einem ausführlich dargelegten System der Verdummung
ewigst zu steuern und traf Anordnung wegen Schulen. Der Minister des Innern
veranlaßte die Delegaten in den Provinzen, über etwaige Ursurpationen
unter dem frühern Regiment Forschungen anzustellen. Diese letztere Verfügung
war die Quelle einer Menge communistischer Träume. In Venvsa wollte man
die Gütervertheilung einführen; nicht minder in Ricovero, in Maschito;
Domänengüter in Santangelo d« Lombard! wurden den Pächtern derselben
genommen und vertheilt. In den Abruzzen und in Calabrien bemächtigte sich
die Verwirrung so sehr aller Köpfe, daß man mit ähnlichen Maßnahmen die
Rufe Viva it Re, Morte la Costituzione begleitete, und provisorische Regie¬
rungen bildete. Die Einwohner Teramos kauften sich durch Geld von den
Forderungen der Bergbewohner frei, lockten sie dadurch aber erst recht heran,
und hatten jetzt die größte Noth, sich ihrer Haut zu wehren. Pratola, gegen¬
über la Badia, im schönen Thale der Solmona gelegen, erlebte in den Tagen
des 7. und 8. Mai die entsetzlichsten Greuel unter der Devise: Morte al
Galantuomini, abbasso la Costituzione! — Die Austritte der galizischen Leib¬
eignen erneuerten sich in neuer Gestalt.

In Neapel gaben die Spinner und Buchdruckergesellen, wie auch de^s
Studententreiben im Cafe ti Buono Anlaß zu Besorgnissen; doch kam es nicht
ZU ernstlichen Ruhestörungen. Die Ermordung des unbeliebten Kanonicus
Pallicano beim Auszug aus, der Kirche del Gehn Nuovo, nach einer unvor¬
sichtigen Predigt, war das einzige schlimmere Ereigniß ähnlichen Charakters,
trug aber zur Aufregung der Gemüther bei, da es zwei Tage vor dem Zu¬
sammentritt der Deputaten geschah.

Am 13. Mai versammelten sich diese letzteren zum ersten Male im Muni-
cipalsaale des Monte Oliveto. Es zeigte sich bald, daß die Majorität einer
gemäßigten Farbe angehörte, daß aber die Beschlüsse durch die Redseligkeit
der Minderheit beträchtlich erschwert werden würden.

Die Formulirung des Eides war die Klippe, welche es zu umschiffen galt.
Die Befugniß, die Verfassung zu ändern, mußte nach dem Progamm der
Minister unfehlbar darin ausgesprochen werden, doch fehlte jene in dem vor¬
gelegten Eideöformular. Die Minister versprachen, die aus den folgenden
Tag in der Kirche Se. Lorenzo angeordnete Eidesleistung vorläufig aus dem
Programm dieses Tages zu streichen und die Feierlichkeit auf die Eröffnung
^r Kammern zu beschränken. Sie stießen indessen auf Schwierigkeiten Seitens
de6 Königs, und ließen Tages darauf das unveränderte Eidesformular an die
wieder zusammengetretenen Deputaten vertheilen. Der ganze 1i. Mai ging


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[0295] Zwangswege, der Nest von einer Million auf freiwilligem Wege zusammen¬ gebracht. Zugleich wurde das Verbot der Getreideausfuhr zurückgenommen. Ein Circular des Unterrichtöministers (vom 28. April) an die Intendanten empfahl diesen, nach einem ausführlich dargelegten System der Verdummung ewigst zu steuern und traf Anordnung wegen Schulen. Der Minister des Innern veranlaßte die Delegaten in den Provinzen, über etwaige Ursurpationen unter dem frühern Regiment Forschungen anzustellen. Diese letztere Verfügung war die Quelle einer Menge communistischer Träume. In Venvsa wollte man die Gütervertheilung einführen; nicht minder in Ricovero, in Maschito; Domänengüter in Santangelo d« Lombard! wurden den Pächtern derselben genommen und vertheilt. In den Abruzzen und in Calabrien bemächtigte sich die Verwirrung so sehr aller Köpfe, daß man mit ähnlichen Maßnahmen die Rufe Viva it Re, Morte la Costituzione begleitete, und provisorische Regie¬ rungen bildete. Die Einwohner Teramos kauften sich durch Geld von den Forderungen der Bergbewohner frei, lockten sie dadurch aber erst recht heran, und hatten jetzt die größte Noth, sich ihrer Haut zu wehren. Pratola, gegen¬ über la Badia, im schönen Thale der Solmona gelegen, erlebte in den Tagen des 7. und 8. Mai die entsetzlichsten Greuel unter der Devise: Morte al Galantuomini, abbasso la Costituzione! — Die Austritte der galizischen Leib¬ eignen erneuerten sich in neuer Gestalt. In Neapel gaben die Spinner und Buchdruckergesellen, wie auch de^s Studententreiben im Cafe ti Buono Anlaß zu Besorgnissen; doch kam es nicht ZU ernstlichen Ruhestörungen. Die Ermordung des unbeliebten Kanonicus Pallicano beim Auszug aus, der Kirche del Gehn Nuovo, nach einer unvor¬ sichtigen Predigt, war das einzige schlimmere Ereigniß ähnlichen Charakters, trug aber zur Aufregung der Gemüther bei, da es zwei Tage vor dem Zu¬ sammentritt der Deputaten geschah. Am 13. Mai versammelten sich diese letzteren zum ersten Male im Muni- cipalsaale des Monte Oliveto. Es zeigte sich bald, daß die Majorität einer gemäßigten Farbe angehörte, daß aber die Beschlüsse durch die Redseligkeit der Minderheit beträchtlich erschwert werden würden. Die Formulirung des Eides war die Klippe, welche es zu umschiffen galt. Die Befugniß, die Verfassung zu ändern, mußte nach dem Progamm der Minister unfehlbar darin ausgesprochen werden, doch fehlte jene in dem vor¬ gelegten Eideöformular. Die Minister versprachen, die aus den folgenden Tag in der Kirche Se. Lorenzo angeordnete Eidesleistung vorläufig aus dem Programm dieses Tages zu streichen und die Feierlichkeit auf die Eröffnung ^r Kammern zu beschränken. Sie stießen indessen auf Schwierigkeiten Seitens de6 Königs, und ließen Tages darauf das unveränderte Eidesformular an die wieder zusammengetretenen Deputaten vertheilen. Der ganze 1i. Mai ging

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/295>, abgerufen am 03.07.2024.