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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Gefühl der Wehrbarkeil der Regierung den versammelten Zuschauern zu Ge¬
müthe führen. Unter den immergrünen Eichen der Villa Reale und zwischen
den zahlreichen Marmorgruppen dieses reizenden Lustgartens war das Landvolk,
nach seinem Piedigrottaprivilegium, frei in nationaler Tracht umher ge¬
wandelt, und wäre nicht bekannt geworden, daß Truppensendungen nach
Aquila, Salerno, Mouse, Puglia und andern Orten vor sich gehen sollten,
niemand hätte die allgemeine Gewitterschwüle dieses heitern Septembertages
ahnen können.

Der Druck der politischen Ereignisse dauerte indessen von außen fort, und
ohne eine greifliche Veranlassung näher liegender Art hielt am 17. November
der verhaßte Minister des Innern Santangelo um seine Entlassung an, die
ihm auch gewährt wurde. Wie ein schwerer Alp hob sichs von dem Athem¬
holen der ganzen Bevölkerung bei dieser Nachricht.

ES wurden nun die Ministerien des Handels und Ackerbaus von denen
des Innern und der Finanzen getrennt. Parise trat ins Ministerium des
Innern, Pietro d'Arso in dasjenige der öffentlichen Arbeiten; Agriculiur und
Handel erhielt Spinelli. Man hoffte, auch diese bald abtreten zu sehen, der
Unterschied zwischen den römischen Nachbarrefvrmen und den blos nomineller
Neapels war noch zu groß. Die gefüllten Gefängnisse hatten ihre Freiheits-,
ja Revolutionsadvocaten in jeder Hütte, in zahllosen Palästen.

Auf dem schönen, dem königlichen Schlosse gegenüber liegenden Largo
bei Palazzo pflegt Abends die elegante Welt Neapels sich beim Klänge der
Militärmusik zu versammeln. Das nahe Caso dell' Europa lockt mit seinem
vorzüglichen Eise. Man hat das Theater Se. Carlo, das bunte Treiben des
Volks' von Se. Lucia in 'der Nähe und hört den Menschenstrom und das
Wagengerassel des Toledo an sich vorüberbrausen, ohne von ihnen belästigt
zu werden. Hier, unter der Aegide der Bronzestatuen Karl III. und
Ferdinand I., beschloß die Studentenschaft die Wirkungen einiger Vivats
und Abbassorufe zu versuchen, die in den meisten Hauptstädten Europas
eben jetzt genügt hatten, um Ministersessel zum Wanken zu bringen. Am
22. November Abends erklang der Ruf viva it Re, viva Pio Nouv, viva
l'Italia! Die erschreckten Schönen schlössen sich bald der friedlichen Kundgebung
an, und bunte Zettel mit Amnestiewünschen gingen von Hand zu Hand. Die
folgenden zwei Abende verliefen ähnlich. Dem allen Prinzen von Salerno --
ein Sonderling, der immer Schiebladen voll Gold für seine Besucher offen
hielt und ohne Nachlaß von Hemden, aber mit einer großen Schuldenlast vor
ein paar Jahren starb -- dem päpstlichen Nuntius wurden Evivas gebracht;
im Theater beklatschte man, was irgend vieldeutig schien. Die Folge war:
Einsperrung mehrer Studenten (darunter der reiche Avitabile, der alle Welt,


Gefühl der Wehrbarkeil der Regierung den versammelten Zuschauern zu Ge¬
müthe führen. Unter den immergrünen Eichen der Villa Reale und zwischen
den zahlreichen Marmorgruppen dieses reizenden Lustgartens war das Landvolk,
nach seinem Piedigrottaprivilegium, frei in nationaler Tracht umher ge¬
wandelt, und wäre nicht bekannt geworden, daß Truppensendungen nach
Aquila, Salerno, Mouse, Puglia und andern Orten vor sich gehen sollten,
niemand hätte die allgemeine Gewitterschwüle dieses heitern Septembertages
ahnen können.

Der Druck der politischen Ereignisse dauerte indessen von außen fort, und
ohne eine greifliche Veranlassung näher liegender Art hielt am 17. November
der verhaßte Minister des Innern Santangelo um seine Entlassung an, die
ihm auch gewährt wurde. Wie ein schwerer Alp hob sichs von dem Athem¬
holen der ganzen Bevölkerung bei dieser Nachricht.

ES wurden nun die Ministerien des Handels und Ackerbaus von denen
des Innern und der Finanzen getrennt. Parise trat ins Ministerium des
Innern, Pietro d'Arso in dasjenige der öffentlichen Arbeiten; Agriculiur und
Handel erhielt Spinelli. Man hoffte, auch diese bald abtreten zu sehen, der
Unterschied zwischen den römischen Nachbarrefvrmen und den blos nomineller
Neapels war noch zu groß. Die gefüllten Gefängnisse hatten ihre Freiheits-,
ja Revolutionsadvocaten in jeder Hütte, in zahllosen Palästen.

Auf dem schönen, dem königlichen Schlosse gegenüber liegenden Largo
bei Palazzo pflegt Abends die elegante Welt Neapels sich beim Klänge der
Militärmusik zu versammeln. Das nahe Caso dell' Europa lockt mit seinem
vorzüglichen Eise. Man hat das Theater Se. Carlo, das bunte Treiben des
Volks' von Se. Lucia in 'der Nähe und hört den Menschenstrom und das
Wagengerassel des Toledo an sich vorüberbrausen, ohne von ihnen belästigt
zu werden. Hier, unter der Aegide der Bronzestatuen Karl III. und
Ferdinand I., beschloß die Studentenschaft die Wirkungen einiger Vivats
und Abbassorufe zu versuchen, die in den meisten Hauptstädten Europas
eben jetzt genügt hatten, um Ministersessel zum Wanken zu bringen. Am
22. November Abends erklang der Ruf viva it Re, viva Pio Nouv, viva
l'Italia! Die erschreckten Schönen schlössen sich bald der friedlichen Kundgebung
an, und bunte Zettel mit Amnestiewünschen gingen von Hand zu Hand. Die
folgenden zwei Abende verliefen ähnlich. Dem allen Prinzen von Salerno —
ein Sonderling, der immer Schiebladen voll Gold für seine Besucher offen
hielt und ohne Nachlaß von Hemden, aber mit einer großen Schuldenlast vor
ein paar Jahren starb — dem päpstlichen Nuntius wurden Evivas gebracht;
im Theater beklatschte man, was irgend vieldeutig schien. Die Folge war:
Einsperrung mehrer Studenten (darunter der reiche Avitabile, der alle Welt,


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[0280] Gefühl der Wehrbarkeil der Regierung den versammelten Zuschauern zu Ge¬ müthe führen. Unter den immergrünen Eichen der Villa Reale und zwischen den zahlreichen Marmorgruppen dieses reizenden Lustgartens war das Landvolk, nach seinem Piedigrottaprivilegium, frei in nationaler Tracht umher ge¬ wandelt, und wäre nicht bekannt geworden, daß Truppensendungen nach Aquila, Salerno, Mouse, Puglia und andern Orten vor sich gehen sollten, niemand hätte die allgemeine Gewitterschwüle dieses heitern Septembertages ahnen können. Der Druck der politischen Ereignisse dauerte indessen von außen fort, und ohne eine greifliche Veranlassung näher liegender Art hielt am 17. November der verhaßte Minister des Innern Santangelo um seine Entlassung an, die ihm auch gewährt wurde. Wie ein schwerer Alp hob sichs von dem Athem¬ holen der ganzen Bevölkerung bei dieser Nachricht. ES wurden nun die Ministerien des Handels und Ackerbaus von denen des Innern und der Finanzen getrennt. Parise trat ins Ministerium des Innern, Pietro d'Arso in dasjenige der öffentlichen Arbeiten; Agriculiur und Handel erhielt Spinelli. Man hoffte, auch diese bald abtreten zu sehen, der Unterschied zwischen den römischen Nachbarrefvrmen und den blos nomineller Neapels war noch zu groß. Die gefüllten Gefängnisse hatten ihre Freiheits-, ja Revolutionsadvocaten in jeder Hütte, in zahllosen Palästen. Auf dem schönen, dem königlichen Schlosse gegenüber liegenden Largo bei Palazzo pflegt Abends die elegante Welt Neapels sich beim Klänge der Militärmusik zu versammeln. Das nahe Caso dell' Europa lockt mit seinem vorzüglichen Eise. Man hat das Theater Se. Carlo, das bunte Treiben des Volks' von Se. Lucia in 'der Nähe und hört den Menschenstrom und das Wagengerassel des Toledo an sich vorüberbrausen, ohne von ihnen belästigt zu werden. Hier, unter der Aegide der Bronzestatuen Karl III. und Ferdinand I., beschloß die Studentenschaft die Wirkungen einiger Vivats und Abbassorufe zu versuchen, die in den meisten Hauptstädten Europas eben jetzt genügt hatten, um Ministersessel zum Wanken zu bringen. Am 22. November Abends erklang der Ruf viva it Re, viva Pio Nouv, viva l'Italia! Die erschreckten Schönen schlössen sich bald der friedlichen Kundgebung an, und bunte Zettel mit Amnestiewünschen gingen von Hand zu Hand. Die folgenden zwei Abende verliefen ähnlich. Dem allen Prinzen von Salerno — ein Sonderling, der immer Schiebladen voll Gold für seine Besucher offen hielt und ohne Nachlaß von Hemden, aber mit einer großen Schuldenlast vor ein paar Jahren starb — dem päpstlichen Nuntius wurden Evivas gebracht; im Theater beklatschte man, was irgend vieldeutig schien. Die Folge war: Einsperrung mehrer Studenten (darunter der reiche Avitabile, der alle Welt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/280>, abgerufen am 23.07.2024.