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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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specifische Kälte ihn verhindert, an irgend etwas warmen Antheil zu nehmen,
und ihm die nationalen Interesse" durch lange Abwesenheit schon gleichgil-
tig geworden sind. Um aber für alle Fälle vorbereitet zu sein, ist doch einige
Uebung erforderlich, und so wie Demosthenes Kieselsteine in den Mund nahm
und das tobende Meer überschrie; so wie der Poet Schiller seine Füße in
kaltes Wasser setzte, um seine Phantasie zu beflügeln; so dürfen auch Sie kein
Mittel verschmähen, um eS in Ihrer Kunst zur Virtuosität zu bringen. Ich
rathe daher, sich von Lakaien manchmal im Cabinet oder an andern abgelege¬
nen Orten ganz impromptu einen Tritt geben zu lassen und sich dabei einer
anständigen und freundlichen Contenance zu befleißigen. So werden Sie endlich
durch nichts mehr überrascht.

Da es aber überhaupt wenig Geheimnisse gibt, und Diplomaten kleinerer
Höfe selten so eigentlich etwas zu thun haben, so kommt es weniger darauf
an, Geheimnisse zu bewahren, als sich durch ein geheimnißvolles und zurück¬
haltendes Wesen ein air et'impcirtanes zu geben, und den Leuten glauben zu
machen, daß man wichtige Geschäfte habe. Ohne die Bescheidenheit zu ver¬
letzen darf ich sagen, daß deutsche Diplomaten hierin immer vor allen andern
eine unbestrittene Ueberlebenden behauptet haben. Ich schmeichle mir als Ge¬
sandter in Paris in der napoleonischen Zeit durch meinen Ernst und meine
Würde so imponirt zu haben, daß oft mein bloßes Erscheinen den etwas leicht¬
fertigen Ton einer Gesellschaft umzustimmen vermochte, und daß oft Personen,
die sonst für witzig galten, sich ganz in der Stille wegschlichen.

Um in der Gesellschaft eine gewisse Haltung zu haben, ist es durchaus
erforderlich, daf> Sie einer Dame den Hof machen und für ihren Amand
passtren. Ihr vortheilhaftes Aeußere wird Ihnen diese Succes sehr leicht
machen, ja Sie werden die Wahl haben und dürfen sich nur selbst fragen, was
Ihre Schultern zu tragen vermögen. Wenn Sie Ihre Liebe einer intriguanten
Frau zuwenden, die schon einige Vogue hat, so wird Ihnen das sehr nützlich
sein, um mit der Chronique scandaleuse des Hofes bekannt zu werden und
damit Ihren Berichten ein erhöhtes Interesse zu geben. Solche Sachen werden
am liebsten gelesen. Wenn Sie ein Verhältniß mit einer jungen und leiden¬
schaftlichen Frau anknüpfen, so werden Sie davon weniger Avantage, aber
freilich mehr Agröment haben, und eine große sstiskaotion et'amour propre,
wenn Sie dieselbe quittiren. In diesen Verhältnissen müssen Sie ein Ridicule
vermeiden, in das junge Deutsche wegen der unserer Nation eignen Empfind¬
samkeit leicht verfallen. Der gute Ton verlangt, daß man bei solchen Liaisons
die größte Delicatesse und die feinste Galanterie beobachte; aber er duldet
keine romanhafte Sensibilitv.

Das beste und so zu sagen das einzige Mittel, sich bei Fürstlichkeiten zu
alteriren, ist die Schmeichelei. Sie dürfen darin nicht zu ängstlich sein.


specifische Kälte ihn verhindert, an irgend etwas warmen Antheil zu nehmen,
und ihm die nationalen Interesse» durch lange Abwesenheit schon gleichgil-
tig geworden sind. Um aber für alle Fälle vorbereitet zu sein, ist doch einige
Uebung erforderlich, und so wie Demosthenes Kieselsteine in den Mund nahm
und das tobende Meer überschrie; so wie der Poet Schiller seine Füße in
kaltes Wasser setzte, um seine Phantasie zu beflügeln; so dürfen auch Sie kein
Mittel verschmähen, um eS in Ihrer Kunst zur Virtuosität zu bringen. Ich
rathe daher, sich von Lakaien manchmal im Cabinet oder an andern abgelege¬
nen Orten ganz impromptu einen Tritt geben zu lassen und sich dabei einer
anständigen und freundlichen Contenance zu befleißigen. So werden Sie endlich
durch nichts mehr überrascht.

Da es aber überhaupt wenig Geheimnisse gibt, und Diplomaten kleinerer
Höfe selten so eigentlich etwas zu thun haben, so kommt es weniger darauf
an, Geheimnisse zu bewahren, als sich durch ein geheimnißvolles und zurück¬
haltendes Wesen ein air et'impcirtanes zu geben, und den Leuten glauben zu
machen, daß man wichtige Geschäfte habe. Ohne die Bescheidenheit zu ver¬
letzen darf ich sagen, daß deutsche Diplomaten hierin immer vor allen andern
eine unbestrittene Ueberlebenden behauptet haben. Ich schmeichle mir als Ge¬
sandter in Paris in der napoleonischen Zeit durch meinen Ernst und meine
Würde so imponirt zu haben, daß oft mein bloßes Erscheinen den etwas leicht¬
fertigen Ton einer Gesellschaft umzustimmen vermochte, und daß oft Personen,
die sonst für witzig galten, sich ganz in der Stille wegschlichen.

Um in der Gesellschaft eine gewisse Haltung zu haben, ist es durchaus
erforderlich, daf> Sie einer Dame den Hof machen und für ihren Amand
passtren. Ihr vortheilhaftes Aeußere wird Ihnen diese Succes sehr leicht
machen, ja Sie werden die Wahl haben und dürfen sich nur selbst fragen, was
Ihre Schultern zu tragen vermögen. Wenn Sie Ihre Liebe einer intriguanten
Frau zuwenden, die schon einige Vogue hat, so wird Ihnen das sehr nützlich
sein, um mit der Chronique scandaleuse des Hofes bekannt zu werden und
damit Ihren Berichten ein erhöhtes Interesse zu geben. Solche Sachen werden
am liebsten gelesen. Wenn Sie ein Verhältniß mit einer jungen und leiden¬
schaftlichen Frau anknüpfen, so werden Sie davon weniger Avantage, aber
freilich mehr Agröment haben, und eine große sstiskaotion et'amour propre,
wenn Sie dieselbe quittiren. In diesen Verhältnissen müssen Sie ein Ridicule
vermeiden, in das junge Deutsche wegen der unserer Nation eignen Empfind¬
samkeit leicht verfallen. Der gute Ton verlangt, daß man bei solchen Liaisons
die größte Delicatesse und die feinste Galanterie beobachte; aber er duldet
keine romanhafte Sensibilitv.

Das beste und so zu sagen das einzige Mittel, sich bei Fürstlichkeiten zu
alteriren, ist die Schmeichelei. Sie dürfen darin nicht zu ängstlich sein.


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[0274] specifische Kälte ihn verhindert, an irgend etwas warmen Antheil zu nehmen, und ihm die nationalen Interesse» durch lange Abwesenheit schon gleichgil- tig geworden sind. Um aber für alle Fälle vorbereitet zu sein, ist doch einige Uebung erforderlich, und so wie Demosthenes Kieselsteine in den Mund nahm und das tobende Meer überschrie; so wie der Poet Schiller seine Füße in kaltes Wasser setzte, um seine Phantasie zu beflügeln; so dürfen auch Sie kein Mittel verschmähen, um eS in Ihrer Kunst zur Virtuosität zu bringen. Ich rathe daher, sich von Lakaien manchmal im Cabinet oder an andern abgelege¬ nen Orten ganz impromptu einen Tritt geben zu lassen und sich dabei einer anständigen und freundlichen Contenance zu befleißigen. So werden Sie endlich durch nichts mehr überrascht. Da es aber überhaupt wenig Geheimnisse gibt, und Diplomaten kleinerer Höfe selten so eigentlich etwas zu thun haben, so kommt es weniger darauf an, Geheimnisse zu bewahren, als sich durch ein geheimnißvolles und zurück¬ haltendes Wesen ein air et'impcirtanes zu geben, und den Leuten glauben zu machen, daß man wichtige Geschäfte habe. Ohne die Bescheidenheit zu ver¬ letzen darf ich sagen, daß deutsche Diplomaten hierin immer vor allen andern eine unbestrittene Ueberlebenden behauptet haben. Ich schmeichle mir als Ge¬ sandter in Paris in der napoleonischen Zeit durch meinen Ernst und meine Würde so imponirt zu haben, daß oft mein bloßes Erscheinen den etwas leicht¬ fertigen Ton einer Gesellschaft umzustimmen vermochte, und daß oft Personen, die sonst für witzig galten, sich ganz in der Stille wegschlichen. Um in der Gesellschaft eine gewisse Haltung zu haben, ist es durchaus erforderlich, daf> Sie einer Dame den Hof machen und für ihren Amand passtren. Ihr vortheilhaftes Aeußere wird Ihnen diese Succes sehr leicht machen, ja Sie werden die Wahl haben und dürfen sich nur selbst fragen, was Ihre Schultern zu tragen vermögen. Wenn Sie Ihre Liebe einer intriguanten Frau zuwenden, die schon einige Vogue hat, so wird Ihnen das sehr nützlich sein, um mit der Chronique scandaleuse des Hofes bekannt zu werden und damit Ihren Berichten ein erhöhtes Interesse zu geben. Solche Sachen werden am liebsten gelesen. Wenn Sie ein Verhältniß mit einer jungen und leiden¬ schaftlichen Frau anknüpfen, so werden Sie davon weniger Avantage, aber freilich mehr Agröment haben, und eine große sstiskaotion et'amour propre, wenn Sie dieselbe quittiren. In diesen Verhältnissen müssen Sie ein Ridicule vermeiden, in das junge Deutsche wegen der unserer Nation eignen Empfind¬ samkeit leicht verfallen. Der gute Ton verlangt, daß man bei solchen Liaisons die größte Delicatesse und die feinste Galanterie beobachte; aber er duldet keine romanhafte Sensibilitv. Das beste und so zu sagen das einzige Mittel, sich bei Fürstlichkeiten zu alteriren, ist die Schmeichelei. Sie dürfen darin nicht zu ängstlich sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/274>, abgerufen am 23.07.2024.