Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sagen schadlos halten? -- Kleine Brusquerien, ein Auffahren, eine undelicate
Behandlung -- muß ein wahrer Hofmann zu verschmerzen wissen; ja es lassen
sich selbst daraus Vortheile ziehen, da Fürsten gewöhnlich solche Jncongruitci-
ten später durch besondere Huld und Gnade wieder gut zu machen pflegen.
Im schlimmsten Falle bleibt inmer ein Regreß gegen unsere Untergebenen.
Beim Stoß des Queues aus eine Reihe elastischer Billardkugeln empfangen
die mittlern Kugeln den Stoß nicht sowol als sie ihn mittheilen und fort¬
pflanzen, blos die letzte fährt ab. So sind auch die Stöße fürstlicher Launen
zu betrachten. Das Beispiel der russischen Cavaliere, das Sie jetzt täglich vor
Augen haben werden, kann darin dem ganzen europäischen Adel zum Muster
dienen.

Was die Zusammensetzung des diplomatischen Corps betrifft, so haben
die konstitutionellen Mißverhältnisse in neuerer Zeit darin einige Veränderungen
hervorgebracht, und es finden sich jetzt unter den Gesandten häufig Leute, die
nicht so eigentlich ex Krswio oapUull sind. Es sind meist Minister oder
Staatsleute, die infolge politischer Revirements und ministerieller Combina¬
tionen, ja oft blos aus Jalousie und um sie von Geschäften zu entfernen, in
die Diplomatie hinausgestoßen worden sind. Solche sind mit Vorsicht und
Rückhalt zu behandeln. Sie sehen meistens gelangweilt aus, und man kann
es ihnen sogleich anmerken, daß sie sich nicht so recht einheimisch fühlen.
Der Zeitgeist hat auch jüngere Leute von bürgerlichem Stand oder von neu¬
geadelter Familie hie und da in die Diplomatie eingeschoben. Sie zeichnen
sich gewöhnlich aus durch den Eifer, mit welchem sie die Ausdrücke royalisti-
scher Devotion rencheriren und sich zu habilitiren suchen. Ihr xels als novi-
eii^l. ist zu allen diplomatischen Bassessen (wie Horchen, spioniren, Hin- und
Hertragen) wohl zu gebrauchen; übrigens muß man sie g, äistanes halten.

Daß es eine der ersten Eigenschaften des Diplomaten sei, Geheimnisse zu
bewahren, ist so allgemein bekannt, daß ich es für überflüssig halte, dessen zu
erwähnen; aber einige Bemerkungen über die Art, diese Kunst zu lernen und
zu üben, werden hier an ihrer Stelle sein. Die Kunst zu schweigen, --d. h.
das nicht auszuplaudern, was man selbst ein Interesse hat verborgen zu hal¬
ten, -- besitzt so ziemlich ein jeder, selbst die Weiber. Bei fremden Geheim¬
nissen ist nicht sowol Verschwiegenheit, als Vorsicht und Discretion in der
Art, wie man sie unter die Leute bringt, zu beobachten. Die Hauptkunst des
Diplomaten besteht aber darin, sich sein Geheimniß auch nicht surprenniren zu
lassen. Diese Surprisen gelingen gewöhnlich dadurch, daß man an jemanden
unerwartet und unversehens über Dinge, an denen er den wärmsten Antheil
nimmt, eine Frage stellt, ihm eine Nachricht mittheilt, oder ihn durch eine
Behauptung erhitzt und in den Harnisch jagt. Gegen den wahren, routinir-
tcn Diplomaten müssen solche Versuche immer fehlschlagen, weil eine eigne


Greiizboten. IV. 18so. 34

sagen schadlos halten? — Kleine Brusquerien, ein Auffahren, eine undelicate
Behandlung — muß ein wahrer Hofmann zu verschmerzen wissen; ja es lassen
sich selbst daraus Vortheile ziehen, da Fürsten gewöhnlich solche Jncongruitci-
ten später durch besondere Huld und Gnade wieder gut zu machen pflegen.
Im schlimmsten Falle bleibt inmer ein Regreß gegen unsere Untergebenen.
Beim Stoß des Queues aus eine Reihe elastischer Billardkugeln empfangen
die mittlern Kugeln den Stoß nicht sowol als sie ihn mittheilen und fort¬
pflanzen, blos die letzte fährt ab. So sind auch die Stöße fürstlicher Launen
zu betrachten. Das Beispiel der russischen Cavaliere, das Sie jetzt täglich vor
Augen haben werden, kann darin dem ganzen europäischen Adel zum Muster
dienen.

Was die Zusammensetzung des diplomatischen Corps betrifft, so haben
die konstitutionellen Mißverhältnisse in neuerer Zeit darin einige Veränderungen
hervorgebracht, und es finden sich jetzt unter den Gesandten häufig Leute, die
nicht so eigentlich ex Krswio oapUull sind. Es sind meist Minister oder
Staatsleute, die infolge politischer Revirements und ministerieller Combina¬
tionen, ja oft blos aus Jalousie und um sie von Geschäften zu entfernen, in
die Diplomatie hinausgestoßen worden sind. Solche sind mit Vorsicht und
Rückhalt zu behandeln. Sie sehen meistens gelangweilt aus, und man kann
es ihnen sogleich anmerken, daß sie sich nicht so recht einheimisch fühlen.
Der Zeitgeist hat auch jüngere Leute von bürgerlichem Stand oder von neu¬
geadelter Familie hie und da in die Diplomatie eingeschoben. Sie zeichnen
sich gewöhnlich aus durch den Eifer, mit welchem sie die Ausdrücke royalisti-
scher Devotion rencheriren und sich zu habilitiren suchen. Ihr xels als novi-
eii^l. ist zu allen diplomatischen Bassessen (wie Horchen, spioniren, Hin- und
Hertragen) wohl zu gebrauchen; übrigens muß man sie g, äistanes halten.

Daß es eine der ersten Eigenschaften des Diplomaten sei, Geheimnisse zu
bewahren, ist so allgemein bekannt, daß ich es für überflüssig halte, dessen zu
erwähnen; aber einige Bemerkungen über die Art, diese Kunst zu lernen und
zu üben, werden hier an ihrer Stelle sein. Die Kunst zu schweigen, —d. h.
das nicht auszuplaudern, was man selbst ein Interesse hat verborgen zu hal¬
ten, — besitzt so ziemlich ein jeder, selbst die Weiber. Bei fremden Geheim¬
nissen ist nicht sowol Verschwiegenheit, als Vorsicht und Discretion in der
Art, wie man sie unter die Leute bringt, zu beobachten. Die Hauptkunst des
Diplomaten besteht aber darin, sich sein Geheimniß auch nicht surprenniren zu
lassen. Diese Surprisen gelingen gewöhnlich dadurch, daß man an jemanden
unerwartet und unversehens über Dinge, an denen er den wärmsten Antheil
nimmt, eine Frage stellt, ihm eine Nachricht mittheilt, oder ihn durch eine
Behauptung erhitzt und in den Harnisch jagt. Gegen den wahren, routinir-
tcn Diplomaten müssen solche Versuche immer fehlschlagen, weil eine eigne


Greiizboten. IV. 18so. 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102868"/>
          <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> sagen schadlos halten? &#x2014; Kleine Brusquerien, ein Auffahren, eine undelicate<lb/>
Behandlung &#x2014; muß ein wahrer Hofmann zu verschmerzen wissen; ja es lassen<lb/>
sich selbst daraus Vortheile ziehen, da Fürsten gewöhnlich solche Jncongruitci-<lb/>
ten später durch besondere Huld und Gnade wieder gut zu machen pflegen.<lb/>
Im schlimmsten Falle bleibt inmer ein Regreß gegen unsere Untergebenen.<lb/>
Beim Stoß des Queues aus eine Reihe elastischer Billardkugeln empfangen<lb/>
die mittlern Kugeln den Stoß nicht sowol als sie ihn mittheilen und fort¬<lb/>
pflanzen, blos die letzte fährt ab. So sind auch die Stöße fürstlicher Launen<lb/>
zu betrachten. Das Beispiel der russischen Cavaliere, das Sie jetzt täglich vor<lb/>
Augen haben werden, kann darin dem ganzen europäischen Adel zum Muster<lb/>
dienen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_887"> Was die Zusammensetzung des diplomatischen Corps betrifft, so haben<lb/>
die konstitutionellen Mißverhältnisse in neuerer Zeit darin einige Veränderungen<lb/>
hervorgebracht, und es finden sich jetzt unter den Gesandten häufig Leute, die<lb/>
nicht so eigentlich ex Krswio oapUull sind. Es sind meist Minister oder<lb/>
Staatsleute, die infolge politischer Revirements und ministerieller Combina¬<lb/>
tionen, ja oft blos aus Jalousie und um sie von Geschäften zu entfernen, in<lb/>
die Diplomatie hinausgestoßen worden sind. Solche sind mit Vorsicht und<lb/>
Rückhalt zu behandeln. Sie sehen meistens gelangweilt aus, und man kann<lb/>
es ihnen sogleich anmerken, daß sie sich nicht so recht einheimisch fühlen.<lb/>
Der Zeitgeist hat auch jüngere Leute von bürgerlichem Stand oder von neu¬<lb/>
geadelter Familie hie und da in die Diplomatie eingeschoben. Sie zeichnen<lb/>
sich gewöhnlich aus durch den Eifer, mit welchem sie die Ausdrücke royalisti-<lb/>
scher Devotion rencheriren und sich zu habilitiren suchen. Ihr xels als novi-<lb/>
eii^l. ist zu allen diplomatischen Bassessen (wie Horchen, spioniren, Hin- und<lb/>
Hertragen) wohl zu gebrauchen; übrigens muß man sie g, äistanes halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Daß es eine der ersten Eigenschaften des Diplomaten sei, Geheimnisse zu<lb/>
bewahren, ist so allgemein bekannt, daß ich es für überflüssig halte, dessen zu<lb/>
erwähnen; aber einige Bemerkungen über die Art, diese Kunst zu lernen und<lb/>
zu üben, werden hier an ihrer Stelle sein. Die Kunst zu schweigen, &#x2014;d. h.<lb/>
das nicht auszuplaudern, was man selbst ein Interesse hat verborgen zu hal¬<lb/>
ten, &#x2014; besitzt so ziemlich ein jeder, selbst die Weiber. Bei fremden Geheim¬<lb/>
nissen ist nicht sowol Verschwiegenheit, als Vorsicht und Discretion in der<lb/>
Art, wie man sie unter die Leute bringt, zu beobachten. Die Hauptkunst des<lb/>
Diplomaten besteht aber darin, sich sein Geheimniß auch nicht surprenniren zu<lb/>
lassen. Diese Surprisen gelingen gewöhnlich dadurch, daß man an jemanden<lb/>
unerwartet und unversehens über Dinge, an denen er den wärmsten Antheil<lb/>
nimmt, eine Frage stellt, ihm eine Nachricht mittheilt, oder ihn durch eine<lb/>
Behauptung erhitzt und in den Harnisch jagt. Gegen den wahren, routinir-<lb/>
tcn Diplomaten müssen solche Versuche immer fehlschlagen, weil eine eigne</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greiizboten. IV. 18so. 34</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] sagen schadlos halten? — Kleine Brusquerien, ein Auffahren, eine undelicate Behandlung — muß ein wahrer Hofmann zu verschmerzen wissen; ja es lassen sich selbst daraus Vortheile ziehen, da Fürsten gewöhnlich solche Jncongruitci- ten später durch besondere Huld und Gnade wieder gut zu machen pflegen. Im schlimmsten Falle bleibt inmer ein Regreß gegen unsere Untergebenen. Beim Stoß des Queues aus eine Reihe elastischer Billardkugeln empfangen die mittlern Kugeln den Stoß nicht sowol als sie ihn mittheilen und fort¬ pflanzen, blos die letzte fährt ab. So sind auch die Stöße fürstlicher Launen zu betrachten. Das Beispiel der russischen Cavaliere, das Sie jetzt täglich vor Augen haben werden, kann darin dem ganzen europäischen Adel zum Muster dienen. Was die Zusammensetzung des diplomatischen Corps betrifft, so haben die konstitutionellen Mißverhältnisse in neuerer Zeit darin einige Veränderungen hervorgebracht, und es finden sich jetzt unter den Gesandten häufig Leute, die nicht so eigentlich ex Krswio oapUull sind. Es sind meist Minister oder Staatsleute, die infolge politischer Revirements und ministerieller Combina¬ tionen, ja oft blos aus Jalousie und um sie von Geschäften zu entfernen, in die Diplomatie hinausgestoßen worden sind. Solche sind mit Vorsicht und Rückhalt zu behandeln. Sie sehen meistens gelangweilt aus, und man kann es ihnen sogleich anmerken, daß sie sich nicht so recht einheimisch fühlen. Der Zeitgeist hat auch jüngere Leute von bürgerlichem Stand oder von neu¬ geadelter Familie hie und da in die Diplomatie eingeschoben. Sie zeichnen sich gewöhnlich aus durch den Eifer, mit welchem sie die Ausdrücke royalisti- scher Devotion rencheriren und sich zu habilitiren suchen. Ihr xels als novi- eii^l. ist zu allen diplomatischen Bassessen (wie Horchen, spioniren, Hin- und Hertragen) wohl zu gebrauchen; übrigens muß man sie g, äistanes halten. Daß es eine der ersten Eigenschaften des Diplomaten sei, Geheimnisse zu bewahren, ist so allgemein bekannt, daß ich es für überflüssig halte, dessen zu erwähnen; aber einige Bemerkungen über die Art, diese Kunst zu lernen und zu üben, werden hier an ihrer Stelle sein. Die Kunst zu schweigen, —d. h. das nicht auszuplaudern, was man selbst ein Interesse hat verborgen zu hal¬ ten, — besitzt so ziemlich ein jeder, selbst die Weiber. Bei fremden Geheim¬ nissen ist nicht sowol Verschwiegenheit, als Vorsicht und Discretion in der Art, wie man sie unter die Leute bringt, zu beobachten. Die Hauptkunst des Diplomaten besteht aber darin, sich sein Geheimniß auch nicht surprenniren zu lassen. Diese Surprisen gelingen gewöhnlich dadurch, daß man an jemanden unerwartet und unversehens über Dinge, an denen er den wärmsten Antheil nimmt, eine Frage stellt, ihm eine Nachricht mittheilt, oder ihn durch eine Behauptung erhitzt und in den Harnisch jagt. Gegen den wahren, routinir- tcn Diplomaten müssen solche Versuche immer fehlschlagen, weil eine eigne Greiizboten. IV. 18so. 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/273>, abgerufen am 23.07.2024.