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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Gemälde bilden. Der Hauptzweck des Verfassers ist die Mittheilung unbe¬
kannter oder wenig bekannter Thatsachen sowol über das Leben Bürgers, 'a!S
über die Quellen zu seinen Gedichten; sodann das sittlich-ästhetische Urtheil.
Was das letztere betrifft, freuen wir uns, fast durchweg mit dem Verfasser
übereinstimmen zu können, und halten es für sehr zweckmäßig^ daß er gegen
die Zuchtlosigkeit in dem Urtheil über ein geniales Leben sehr scharf und streng
auftritt. Sehr richtig ist unter andern eine Bemerkung, durch welche neben,
dem Ercentrischen in Bürgers Wesen auch ein Spießbürgerliches Element hervor¬
gehoben wird. "Verfolgen wir Bürgers Leben von dem unscheinbaren Pfarr¬
hause an, in dem es unter einem Strohdache seinen Anfang nahm, -- dann
durch die Wirren der Universitätszeit, wo er sich zwar sehr wüst und haltungs¬
los zeigt, aber doch kaum wesentlich anders, als Hunderte seiner Kommilitonen,
die später ruhig in den auch von ihm damals vielleicht ersehnten Hafen des
Pfarramtes einliefen, bis dahin, wo er erst geheim und dann öffentlich mit Molly
vereint war, so finden wir zwar bekanntlich sehr Vieles, wozu die Moral den
Kopf schüttelt, aber nirgend finden wir, daß Bürger eine eigentlich geniale, eine,
wie man es zu nennen pflegt, Poeten- und Künstlerwirthschaft führte, etwa
wie ein reisender Virtuose oder ein Lord Byron. Schon sein Landleben, mit
dem er sich so lange vertrug, daß er es selbst dann erst mit der Professur ver¬
tauschte, als er durch die Uebernahme der Pachtung zu Appenrode vergeblich
seine Finanzen zu verbessern gesucht hat, deutet darauf hin, daß wir hier eine
einfache, schlichte Natur vor uns haben, deren Fehler selbst bürgerlicher Natur
gewesen sein müssen. Wie drängte er sich so jung schon zum Eintritt ins
"Philistertum", während seine Freunde noch in Göttingen schwärmten! wie
riß er sich mit einem Mitbewerber, von dem die Welt nie eine- Silbe ver¬
nommen, um das "geringe Aemtchen" zu Altengleichen! wie war er dann - hinter
der ältesten Tochter seines Amtsnachbars Leonhard, der Doris, her, um nur
geschwind in den Ehestand einzutreten! Freilich merkt er bald, daß er sie nicht
liebt, -- immerhin, so bleibt er doch mit seiner Liebe in der Familie des Amt¬
mann Leonhard, dessen zweite Tochter er nach dem Tode der ersten heirathet.
Und wie schlicht mag er in Wölmershauscn mit den beiden Schwestern ge¬
lebt haben!"

Unter den neumitgetheilten Thatsachen hat uns am meisten die Korrespon¬
denz interessirt, die aus dem Versuch Bürgers hervorging, in Preußen ange¬
stellt zu werden, 1782. Bürger hatte sich unmittelbar an den König gewandt,
wie es scheint, auch an den Justizminister von Carmer. Der letztere fragte
bei dem Unterrichtsminister von Zedlitz an, ob sich für den Dichter nicht et¬
was vorfände, und erhielt unterm 15. November 1782 folgenden Bescheid:
"Wenn auch gleich der jetzige Chur-Hannöversche Justizamtmann Bürger durch
seine von Zeit zu Zeit herausgegebenen übersetzten Stücke des Homer eine


Gemälde bilden. Der Hauptzweck des Verfassers ist die Mittheilung unbe¬
kannter oder wenig bekannter Thatsachen sowol über das Leben Bürgers, 'a!S
über die Quellen zu seinen Gedichten; sodann das sittlich-ästhetische Urtheil.
Was das letztere betrifft, freuen wir uns, fast durchweg mit dem Verfasser
übereinstimmen zu können, und halten es für sehr zweckmäßig^ daß er gegen
die Zuchtlosigkeit in dem Urtheil über ein geniales Leben sehr scharf und streng
auftritt. Sehr richtig ist unter andern eine Bemerkung, durch welche neben,
dem Ercentrischen in Bürgers Wesen auch ein Spießbürgerliches Element hervor¬
gehoben wird. „Verfolgen wir Bürgers Leben von dem unscheinbaren Pfarr¬
hause an, in dem es unter einem Strohdache seinen Anfang nahm, — dann
durch die Wirren der Universitätszeit, wo er sich zwar sehr wüst und haltungs¬
los zeigt, aber doch kaum wesentlich anders, als Hunderte seiner Kommilitonen,
die später ruhig in den auch von ihm damals vielleicht ersehnten Hafen des
Pfarramtes einliefen, bis dahin, wo er erst geheim und dann öffentlich mit Molly
vereint war, so finden wir zwar bekanntlich sehr Vieles, wozu die Moral den
Kopf schüttelt, aber nirgend finden wir, daß Bürger eine eigentlich geniale, eine,
wie man es zu nennen pflegt, Poeten- und Künstlerwirthschaft führte, etwa
wie ein reisender Virtuose oder ein Lord Byron. Schon sein Landleben, mit
dem er sich so lange vertrug, daß er es selbst dann erst mit der Professur ver¬
tauschte, als er durch die Uebernahme der Pachtung zu Appenrode vergeblich
seine Finanzen zu verbessern gesucht hat, deutet darauf hin, daß wir hier eine
einfache, schlichte Natur vor uns haben, deren Fehler selbst bürgerlicher Natur
gewesen sein müssen. Wie drängte er sich so jung schon zum Eintritt ins
„Philistertum", während seine Freunde noch in Göttingen schwärmten! wie
riß er sich mit einem Mitbewerber, von dem die Welt nie eine- Silbe ver¬
nommen, um das „geringe Aemtchen" zu Altengleichen! wie war er dann - hinter
der ältesten Tochter seines Amtsnachbars Leonhard, der Doris, her, um nur
geschwind in den Ehestand einzutreten! Freilich merkt er bald, daß er sie nicht
liebt, — immerhin, so bleibt er doch mit seiner Liebe in der Familie des Amt¬
mann Leonhard, dessen zweite Tochter er nach dem Tode der ersten heirathet.
Und wie schlicht mag er in Wölmershauscn mit den beiden Schwestern ge¬
lebt haben!"

Unter den neumitgetheilten Thatsachen hat uns am meisten die Korrespon¬
denz interessirt, die aus dem Versuch Bürgers hervorging, in Preußen ange¬
stellt zu werden, 1782. Bürger hatte sich unmittelbar an den König gewandt,
wie es scheint, auch an den Justizminister von Carmer. Der letztere fragte
bei dem Unterrichtsminister von Zedlitz an, ob sich für den Dichter nicht et¬
was vorfände, und erhielt unterm 15. November 1782 folgenden Bescheid:
„Wenn auch gleich der jetzige Chur-Hannöversche Justizamtmann Bürger durch
seine von Zeit zu Zeit herausgegebenen übersetzten Stücke des Homer eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/254>, abgerufen am 03.07.2024.