Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.Aber auch für die andre Seite der Kritik ist seine Natur nur bis zu einer Das ist in der That ein höchst liebenswürdiges Geplauder; aber man Aber auch für die andre Seite der Kritik ist seine Natur nur bis zu einer Das ist in der That ein höchst liebenswürdiges Geplauder; aber man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102847"/> <p xml:id="ID_828"> Aber auch für die andre Seite der Kritik ist seine Natur nur bis zu einer<lb/> gewissen Grenze geeignet. Die philologische Kritik beruht auf Regelmäßigkeit,<lb/> Allseitigkeit und scrupulöser Gewissenhaftigkeit der Arbeit, auf einem strengen<lb/> Ernst, der den Vorwurf der Pedanterie nicht scheut; auf einer beständigen<lb/> Scheu, irgendwo einen Fehler zu begehen, auf einer Behutsamkeit, die auch<lb/> das feststehende Resultat noch einmal prüft, um ganz sicher zu gehen. Zu einer<lb/> solchen angestrengten und ausdauernden Arbeit kann sich Rosenkranz nur<lb/> selten entschließen. Ich will hier Einiges aus der Interpretation des Mär¬<lb/> chens mittheilen, S. 265. „Abstract genommen würde ich die Irrlichter wegen<lb/> ihrer Zierlichkeit, Galanterie, Geschwätzigkeit und Verwandtschaft mit der<lb/> Muhme Schlange für Weltleute, für Diplomaten erklären, den Alten<lb/> aber, der in einfacher Bauerntracht erscheint, für einen priesterlichen Menschen,<lb/> der sich in den Schachten der Wissenschaft beim Schein der Lampe zu um¬<lb/> fassenden Ansichten erhoben und der es weiß, wenn es an der Zeit ist. Ich<lb/> habe schon letzthin beim Reinecke Fuchs an deu Unterschied des wahren Gottes¬<lb/> dienstes durch den Priester und des Aftergvttesdienstes durch den Pfaffen er¬<lb/> innern müssen. Der heutige Priester kann durch einfaches, frommes' Leben<lb/> allein nicht mehr wirken. Der Klausner in seiner Einsiedelei, der Mönch im<lb/> Kloster können sich allein noch solche Naivetät gestatten. Der Priester, der<lb/> im Tempel der Wahrheit und der Liebe mit allen Menschen sich berührt, wie<lb/> dieser Alte, muß durch die Wissenschaft zu einem richtigen Begriff der Welt<lb/> gebildet sein, will er anders seinen hohen Beruf erfüllen. Die scmetg, simM-<lb/> oitits allein thuts nicht mehr. So die abstracte Deutung. In concreto aber<lb/> würde ich sagen, die beiden Irrlichter sind ein paar Franzosen und der<lb/> Alte ist ein Deutscher, und die Nutzanwendung die Vereinigung der<lb/> Franzosen und der Deutschen, die zusammen unüberwindlich sein würden. Der<lb/> Rhein, über welchen die Schlange zuletzt sich als diamantne Brücke wölbt,<lb/> soll beide Völker künftighin nicht mehr trennen, nur noch verbinden. Alle<lb/> versammeln sich bei der Lilie, denn alle wollen unschuldig werden u. s. w."</p><lb/> <p xml:id="ID_829" next="#ID_830"> Das ist in der That ein höchst liebenswürdiges Geplauder; aber man<lb/> hat doch wol Recht, zu fragen, ob das Spaß oder Ernst sein soll. Die<lb/> Neigung zu derartige« Spielereien ist für den interpretirenden Kritiker höchst<lb/> bedenklich. — Ich will noch auf einen andern Punkt aufmerksam machen, auf<lb/> die Wanderjahre. Rosenkranz polemisirt gegen meine Behauptung, der Grund¬<lb/> gedanke in der pädagogischen Provinz sei durchaus wahr, tief und bedeutend,<lb/> bei der wirklichen Ausführung dieser Symbolik aber müßten wir uns wie in<lb/> einem Tollhaus vorkommen. Er behauptet, diese Ansicht gar nicht zu ver¬<lb/> stehen. Ich meine damit Folgendes. Es ist ein sehr wahrer und tiefer Ge¬<lb/> danke, daß der Mensch zugleich nach drei Richtungen schauen muß, nach oben,<lb/> nach unten und gerade aus, nach dem Himmel, nach der Erde und in das</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Aber auch für die andre Seite der Kritik ist seine Natur nur bis zu einer
gewissen Grenze geeignet. Die philologische Kritik beruht auf Regelmäßigkeit,
Allseitigkeit und scrupulöser Gewissenhaftigkeit der Arbeit, auf einem strengen
Ernst, der den Vorwurf der Pedanterie nicht scheut; auf einer beständigen
Scheu, irgendwo einen Fehler zu begehen, auf einer Behutsamkeit, die auch
das feststehende Resultat noch einmal prüft, um ganz sicher zu gehen. Zu einer
solchen angestrengten und ausdauernden Arbeit kann sich Rosenkranz nur
selten entschließen. Ich will hier Einiges aus der Interpretation des Mär¬
chens mittheilen, S. 265. „Abstract genommen würde ich die Irrlichter wegen
ihrer Zierlichkeit, Galanterie, Geschwätzigkeit und Verwandtschaft mit der
Muhme Schlange für Weltleute, für Diplomaten erklären, den Alten
aber, der in einfacher Bauerntracht erscheint, für einen priesterlichen Menschen,
der sich in den Schachten der Wissenschaft beim Schein der Lampe zu um¬
fassenden Ansichten erhoben und der es weiß, wenn es an der Zeit ist. Ich
habe schon letzthin beim Reinecke Fuchs an deu Unterschied des wahren Gottes¬
dienstes durch den Priester und des Aftergvttesdienstes durch den Pfaffen er¬
innern müssen. Der heutige Priester kann durch einfaches, frommes' Leben
allein nicht mehr wirken. Der Klausner in seiner Einsiedelei, der Mönch im
Kloster können sich allein noch solche Naivetät gestatten. Der Priester, der
im Tempel der Wahrheit und der Liebe mit allen Menschen sich berührt, wie
dieser Alte, muß durch die Wissenschaft zu einem richtigen Begriff der Welt
gebildet sein, will er anders seinen hohen Beruf erfüllen. Die scmetg, simM-
oitits allein thuts nicht mehr. So die abstracte Deutung. In concreto aber
würde ich sagen, die beiden Irrlichter sind ein paar Franzosen und der
Alte ist ein Deutscher, und die Nutzanwendung die Vereinigung der
Franzosen und der Deutschen, die zusammen unüberwindlich sein würden. Der
Rhein, über welchen die Schlange zuletzt sich als diamantne Brücke wölbt,
soll beide Völker künftighin nicht mehr trennen, nur noch verbinden. Alle
versammeln sich bei der Lilie, denn alle wollen unschuldig werden u. s. w."
Das ist in der That ein höchst liebenswürdiges Geplauder; aber man
hat doch wol Recht, zu fragen, ob das Spaß oder Ernst sein soll. Die
Neigung zu derartige« Spielereien ist für den interpretirenden Kritiker höchst
bedenklich. — Ich will noch auf einen andern Punkt aufmerksam machen, auf
die Wanderjahre. Rosenkranz polemisirt gegen meine Behauptung, der Grund¬
gedanke in der pädagogischen Provinz sei durchaus wahr, tief und bedeutend,
bei der wirklichen Ausführung dieser Symbolik aber müßten wir uns wie in
einem Tollhaus vorkommen. Er behauptet, diese Ansicht gar nicht zu ver¬
stehen. Ich meine damit Folgendes. Es ist ein sehr wahrer und tiefer Ge¬
danke, daß der Mensch zugleich nach drei Richtungen schauen muß, nach oben,
nach unten und gerade aus, nach dem Himmel, nach der Erde und in das
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