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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Stadt bewundert, hat schon manchen peinlichen Eindruck neapolitanischen
Wesens aufnehmen müssen, und er muß vieles vergessen, bevor er sich dem
Genuß des Augenblicks hingeben kann. Zunächst die Beamten.

Wenn man Italien bereist, hat man Gelegenheit, sich einen Rückblick in
unsere heimischen Grenzverhältnisse, wie sie vor Einführung des Zollvereins
waren, zu verschaffen, nur! daß man in Italien sich diese Plackereien fast
allenthalben mit Bestechungen vom Halse schaffen muß, was in dem Staaten-
compler diesseits der Alpen nicht immer möglich war.

Die verschiedenen Doganen haben alle Mal bestimmte Artikel, auf die sie
ihr Hauptaugenmerk richten. In einigen derselben treffen sie aber sämmtlich
zusammen, das sind Bücher, Tabak und -- Rosenkränze.

Bei der großen Sorge, mit welcher die Geistlichkeit, den Papst an der
Spitze, sich bemüht, Rosenkränze in aller Leute Händen zu wissen, sollte man
denken, es gäbe in dem Lande der wunderthätigen Madonnen nichts Erwünsch¬
teres, als diese Maschine der Frömmigkeit. Wie die Staatsklugheit aber von
jeher darauf ausging, das Unentbehrlichste zu besteuern, das Salz, das Licht
des Tages und so manches Andre, so ist der Rosenkranz denn auch als ein
erwünschtes Mittel zur Vermehrung der indirecten d. h. der versteckten Steuern
ausgezeichnet worden, und wer in dem neapolitanischen Grenzorte Fondi seine
Koffer den Visttatoren aufschließen muß, wird zugleich mit dem bestechenden
Trinkgelde die Versicherung geben müssen, daß er keine Rosenkränze einführe.

Diese Gelderpressungen wiederholen sich auf der Reise nach Neapel per
Vetturin an mehren Orten, vorzugsweise in Mola ti Gaizta und in Capua.
Die geringsten Paßirrthümer geben Anlaß zum Aushalten der Reisenden, und
wer eine zu elegante Bedienung ohne ausreichenden Vorrath von Grobheiten
mit sich führt, kann in solchen Fällen um'Geldsummen gebracht werden, die
mehre Nullen im Gefolge haben. Dasselbe Verhältniß findet mit Rück¬
sicht auf die Kofferuntersuchnng statt. Nachdem man der unvermeidlichen
Oeffnung derselben an der Grenze des Landes sich fügte und nur durch Trink¬
gelder ihre Durchwühlung zu ersparen vermochte, ist der Wunsch - begreiflich,
nicht in jedem Städtchen, mo eine Accisestätte ist, der nämlichen Tribulation
ausgesetzt zu werden; denn selbst vor Entwendungen ist man bei der zweifel¬
haften Stellung dieser Wegelagerer in Gestalt königlicher Beamten nicht ge¬
sichert. Diese Bedenken machen den Reisenden geneigt, dem Visitator gleich
mit einem Geldanerbieten entgegenzukommen, sobald die Spitzen seines Schnauz¬
bartes nur in den Wagen bohren. Er läßt sich aber Zeit. Zuerst sieht er
sich seine Leute genau an, ob Engländer, ob Franzosen, ob Deutsche; dann
sucht er durch die Art, wie sie ihm entgegenkommen, zu erforschen, ob sie Er¬
fahrung haben, oder ob sie Neulinge sind; endlich, wie das Gepäck unter¬
gebracht ist und ob den Reisenden viel daran liegen muß, es nicht umgestapelt


Stadt bewundert, hat schon manchen peinlichen Eindruck neapolitanischen
Wesens aufnehmen müssen, und er muß vieles vergessen, bevor er sich dem
Genuß des Augenblicks hingeben kann. Zunächst die Beamten.

Wenn man Italien bereist, hat man Gelegenheit, sich einen Rückblick in
unsere heimischen Grenzverhältnisse, wie sie vor Einführung des Zollvereins
waren, zu verschaffen, nur! daß man in Italien sich diese Plackereien fast
allenthalben mit Bestechungen vom Halse schaffen muß, was in dem Staaten-
compler diesseits der Alpen nicht immer möglich war.

Die verschiedenen Doganen haben alle Mal bestimmte Artikel, auf die sie
ihr Hauptaugenmerk richten. In einigen derselben treffen sie aber sämmtlich
zusammen, das sind Bücher, Tabak und — Rosenkränze.

Bei der großen Sorge, mit welcher die Geistlichkeit, den Papst an der
Spitze, sich bemüht, Rosenkränze in aller Leute Händen zu wissen, sollte man
denken, es gäbe in dem Lande der wunderthätigen Madonnen nichts Erwünsch¬
teres, als diese Maschine der Frömmigkeit. Wie die Staatsklugheit aber von
jeher darauf ausging, das Unentbehrlichste zu besteuern, das Salz, das Licht
des Tages und so manches Andre, so ist der Rosenkranz denn auch als ein
erwünschtes Mittel zur Vermehrung der indirecten d. h. der versteckten Steuern
ausgezeichnet worden, und wer in dem neapolitanischen Grenzorte Fondi seine
Koffer den Visttatoren aufschließen muß, wird zugleich mit dem bestechenden
Trinkgelde die Versicherung geben müssen, daß er keine Rosenkränze einführe.

Diese Gelderpressungen wiederholen sich auf der Reise nach Neapel per
Vetturin an mehren Orten, vorzugsweise in Mola ti Gaizta und in Capua.
Die geringsten Paßirrthümer geben Anlaß zum Aushalten der Reisenden, und
wer eine zu elegante Bedienung ohne ausreichenden Vorrath von Grobheiten
mit sich führt, kann in solchen Fällen um'Geldsummen gebracht werden, die
mehre Nullen im Gefolge haben. Dasselbe Verhältniß findet mit Rück¬
sicht auf die Kofferuntersuchnng statt. Nachdem man der unvermeidlichen
Oeffnung derselben an der Grenze des Landes sich fügte und nur durch Trink¬
gelder ihre Durchwühlung zu ersparen vermochte, ist der Wunsch - begreiflich,
nicht in jedem Städtchen, mo eine Accisestätte ist, der nämlichen Tribulation
ausgesetzt zu werden; denn selbst vor Entwendungen ist man bei der zweifel¬
haften Stellung dieser Wegelagerer in Gestalt königlicher Beamten nicht ge¬
sichert. Diese Bedenken machen den Reisenden geneigt, dem Visitator gleich
mit einem Geldanerbieten entgegenzukommen, sobald die Spitzen seines Schnauz¬
bartes nur in den Wagen bohren. Er läßt sich aber Zeit. Zuerst sieht er
sich seine Leute genau an, ob Engländer, ob Franzosen, ob Deutsche; dann
sucht er durch die Art, wie sie ihm entgegenkommen, zu erforschen, ob sie Er¬
fahrung haben, oder ob sie Neulinge sind; endlich, wie das Gepäck unter¬
gebracht ist und ob den Reisenden viel daran liegen muß, es nicht umgestapelt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/234>, abgerufen am 23.07.2024.