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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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thischen Baukunst und der nürnberger Malerschule wirkt sie tendenziös für
den Ultramontanismus.

Drei Umstände sind es, aus welchen die Blüte der neuen Kunstgeschichte
zu erklären ist: Einmal hat die künstlerische Praris einen früher gar nicht
geahnten Aufschwung genommen. Wenn man den Maßstab der strengen Kritik
anlegt, so wird man im Einzelnen an Männern wie Cornelius, Overbeck, Knorr,,
Kaulbach u. s. w. viel auszusetzen haben; aber man hat es doch aus alle Fälle
mit echten und bedeutenden Künstlern zu thun, man weiß aus unmittelbarer
Anschauung, was Kunst und künstlerisches Streben überhaupt bedeutet, und
das ist nothwendig, um für das künstlerische Streben der Vergangenheit ein
Auge zu haben. Die romantische Auffassung entsprang aus der Sehnsucht
einer armen und nüchternen Zeit. Sie sah in ihren Gegenständen nicht, was
wirklich darin lag, sondern was sie für ihr eignes Bedürfniß brauchte, und
diese ängstliche Stimmung führt nothwendig zu unhistorischer Darstellung. Jetzt
wissen zunächst die Künstler selbst, was zur Kunst gehört, und was sie an
ihren Vorgängern zu schätzen haben, und von ihnen lernen es zunächst die
Gebildeten, bis es dann ins allgemeine Publicum übergeht. Früher fragte
man eigentlich nur nach dem Gegenstand der Kunst, jetzt weiß man, daß die
Ausführung wesentlich dazu gehört, und das Studium d"r technischen Voll¬
endung macht sich bei der Würdigung der frühern Leistungen ebenso geltend,
wie die Sympathie für die künstlerischen Gegenstände. Daß wir in das ent¬
gegengesetzte Ertrem verfallen sollten, dazu ist wenigstens in Deutschland noch
nicht die geringste Gefahr. Die neuen Niederländer sind freilich so ins Vir-
tuosenthum vertieft, daß es ihnen ziemlich gleichgiltig ist, welchen Gegenstand
man malt, oder daß sie vielmehr den unschönen und unkünstlerischen entschieden
idem Vorzug geben. Bei uns ist Gott sei Dank der Idealismus noch nicht
so weit unterdrückt, und die beiden nothwendigen Rücksichten halten sich noch
immer die richtige Wage.

Ein zweiter Umstand liegt in den großartigen Fortschritten der Gelehr¬
samkeit. Nicht die Masse dessen, was gelernt und gewußt wird, macht das
Charakteristische unserer Bildung aus, sondern die Gründlichkeit und Gewissen¬
haftigkeit, mit der man studirt. Auch in der Kunstgeschichte waren zu Anfang
dieses Jahrhunderts die Studien dilettantischer Natur, im guten wie im schlimmen
Sinn; denn es war damals die Blüte des Dilettantismus, weil die höchsten
Kräfte von der Kunst und der Philosophie absorbirt wurden. Jetzt spricht aber
die Wissenschaft das erste Wort, und bei ihr kommt es hauptsächlich auf Gründ¬
lichkeit und Genauigkeit der Untersuchungen an. Es ist eine wahre Freude,
wenn man verfolgt, wie gewissenhaft bis ins kleinste Detail alle Spuren der
künstlerischen Vorzeit durchforscht worden sind. Zwar wird noch täglich neues
Material aufgefunden, es wird in chronologischer Beziehung manche neue


thischen Baukunst und der nürnberger Malerschule wirkt sie tendenziös für
den Ultramontanismus.

Drei Umstände sind es, aus welchen die Blüte der neuen Kunstgeschichte
zu erklären ist: Einmal hat die künstlerische Praris einen früher gar nicht
geahnten Aufschwung genommen. Wenn man den Maßstab der strengen Kritik
anlegt, so wird man im Einzelnen an Männern wie Cornelius, Overbeck, Knorr,,
Kaulbach u. s. w. viel auszusetzen haben; aber man hat es doch aus alle Fälle
mit echten und bedeutenden Künstlern zu thun, man weiß aus unmittelbarer
Anschauung, was Kunst und künstlerisches Streben überhaupt bedeutet, und
das ist nothwendig, um für das künstlerische Streben der Vergangenheit ein
Auge zu haben. Die romantische Auffassung entsprang aus der Sehnsucht
einer armen und nüchternen Zeit. Sie sah in ihren Gegenständen nicht, was
wirklich darin lag, sondern was sie für ihr eignes Bedürfniß brauchte, und
diese ängstliche Stimmung führt nothwendig zu unhistorischer Darstellung. Jetzt
wissen zunächst die Künstler selbst, was zur Kunst gehört, und was sie an
ihren Vorgängern zu schätzen haben, und von ihnen lernen es zunächst die
Gebildeten, bis es dann ins allgemeine Publicum übergeht. Früher fragte
man eigentlich nur nach dem Gegenstand der Kunst, jetzt weiß man, daß die
Ausführung wesentlich dazu gehört, und das Studium d«r technischen Voll¬
endung macht sich bei der Würdigung der frühern Leistungen ebenso geltend,
wie die Sympathie für die künstlerischen Gegenstände. Daß wir in das ent¬
gegengesetzte Ertrem verfallen sollten, dazu ist wenigstens in Deutschland noch
nicht die geringste Gefahr. Die neuen Niederländer sind freilich so ins Vir-
tuosenthum vertieft, daß es ihnen ziemlich gleichgiltig ist, welchen Gegenstand
man malt, oder daß sie vielmehr den unschönen und unkünstlerischen entschieden
idem Vorzug geben. Bei uns ist Gott sei Dank der Idealismus noch nicht
so weit unterdrückt, und die beiden nothwendigen Rücksichten halten sich noch
immer die richtige Wage.

Ein zweiter Umstand liegt in den großartigen Fortschritten der Gelehr¬
samkeit. Nicht die Masse dessen, was gelernt und gewußt wird, macht das
Charakteristische unserer Bildung aus, sondern die Gründlichkeit und Gewissen¬
haftigkeit, mit der man studirt. Auch in der Kunstgeschichte waren zu Anfang
dieses Jahrhunderts die Studien dilettantischer Natur, im guten wie im schlimmen
Sinn; denn es war damals die Blüte des Dilettantismus, weil die höchsten
Kräfte von der Kunst und der Philosophie absorbirt wurden. Jetzt spricht aber
die Wissenschaft das erste Wort, und bei ihr kommt es hauptsächlich auf Gründ¬
lichkeit und Genauigkeit der Untersuchungen an. Es ist eine wahre Freude,
wenn man verfolgt, wie gewissenhaft bis ins kleinste Detail alle Spuren der
künstlerischen Vorzeit durchforscht worden sind. Zwar wird noch täglich neues
Material aufgefunden, es wird in chronologischer Beziehung manche neue


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/210>, abgerufen am 05.02.2025.