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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Lustspielen oder Erzählungen, und wußte mit diesem fremden Stoff dennoch
ein nationales Lustspiel zu begründen, wußte das Starre und Conventionelle
seiner Vorbilder umzugießen in das frischeste Volksleben. Er selbst hat noch die
festen Typen der Valets und der Kammermädchen" aber ausgestattet mit reicher
Fülle von Geist und Humor. Selbst die spanische Bühne kannte er, denn
er versuchte sie in seinem Lustspiel ,,dle Unsichtbare" ,zu travestiren, was ihm
aber, da ihm doch das Verständniß M jene Art ganz abging, mißlingen
mußte.

Holberg hat nur einen sehr beschränkten Kreis, das Niedrig-Komische,
aber darin ist er groß. Die Charaktere der niederen Bürgersleute und seelän-
dischen Bauern sind Meisterwerke und den besten Leistungen der niederländischen
Malerschule zu vergleichen -- allein wenn er über sie hinaufstrebt, wenn er
sich zu einem ernsteren Ton erhebe"! und ein höheres Gefühl anschlagen will,
wird er matt und schwach.

Lange Zeit hat man ja nur der Tragödie daS Recht vindicirt, stelzengehende
Könige und Helden vorzuführen, die Komödie dagegen auf den niederen Kreis
der Gesellschaft beschränkt, damit aber den eigentlichen Mittelstand, von jeher
Kern und Stütze einer guten Bühne, Nicht in das Interesse zu ziehen vermocht,
waS erst viel später gelang. Holberg fand demnach seinen Kreis schon fast
ganz bestimmt, dennoch aber steht er mit Bewußtsein seinen Vorgängern und
Vorbildern in vielen Punkten gegenüber. Der Convention der Franzosen setzte
er die derbe Natürlichkeit entgegen, ohne doch in ihr ganz den herkömmlichen
Regeln zu entsagen. So ist es merkwürdig genug, und verräth den gewissen¬
haften Gelehrten, daß er in dieser seiner niederen Sphäre aufs strengste die
aristotelischen Regeln zu bewahren sucht.

Vortrefflich meistens sind seine Hanptpersonrn ausgestattet -- doch um
diese gruppirt sich, wie in den zeitgenössischen Stücken, eine Menge stehender
Personen und Charaktere, die Liebenden, eine prosaische Hausmutter u. a. Auch
die schlaue Dienerschaft -- Heinrich und Pernille -- die in vielen' Lustspielen
erscheint und den Knoten Schürze, bewahrt bei aller Verschiedenheit der Situa¬
tionen und Erfindungen doch immer den gleichen Chürükter und nur ein einziges
Mal, in "Pernille als Tochter" zeigt sich ein Streben, Pernillen eine andere
Zeichnung Und einen edleren Sinn zu geben. -- Alle diese Lustspiele sind in¬
sofern harmlos, als sie, wie früher seine Satiren, nur gegen allgemeine Feh¬
ler losziehen, die dem Dichter in Kopenhagen grade hauptsächlich im Schwang
zu sein schienen, und wenn er auch oft auf Anfeindungen anspielt, so scheint
er dies deshalb noch nicht sehr ernst zu nehmen. Die Harmlosigkeit seiner Sche'rje
erstreckt sich sogar bis auf die Behandlung der durchtriebenen Gauner, die er
stets ungeahndet entkommen läßt. Er gebraucht sie als Werkzeug zur Bestra¬
fung der Personen, die er eigentlich verspotten will und er zeigt hierin eine


Lustspielen oder Erzählungen, und wußte mit diesem fremden Stoff dennoch
ein nationales Lustspiel zu begründen, wußte das Starre und Conventionelle
seiner Vorbilder umzugießen in das frischeste Volksleben. Er selbst hat noch die
festen Typen der Valets und der Kammermädchen» aber ausgestattet mit reicher
Fülle von Geist und Humor. Selbst die spanische Bühne kannte er, denn
er versuchte sie in seinem Lustspiel ,,dle Unsichtbare" ,zu travestiren, was ihm
aber, da ihm doch das Verständniß M jene Art ganz abging, mißlingen
mußte.

Holberg hat nur einen sehr beschränkten Kreis, das Niedrig-Komische,
aber darin ist er groß. Die Charaktere der niederen Bürgersleute und seelän-
dischen Bauern sind Meisterwerke und den besten Leistungen der niederländischen
Malerschule zu vergleichen — allein wenn er über sie hinaufstrebt, wenn er
sich zu einem ernsteren Ton erhebe»! und ein höheres Gefühl anschlagen will,
wird er matt und schwach.

Lange Zeit hat man ja nur der Tragödie daS Recht vindicirt, stelzengehende
Könige und Helden vorzuführen, die Komödie dagegen auf den niederen Kreis
der Gesellschaft beschränkt, damit aber den eigentlichen Mittelstand, von jeher
Kern und Stütze einer guten Bühne, Nicht in das Interesse zu ziehen vermocht,
waS erst viel später gelang. Holberg fand demnach seinen Kreis schon fast
ganz bestimmt, dennoch aber steht er mit Bewußtsein seinen Vorgängern und
Vorbildern in vielen Punkten gegenüber. Der Convention der Franzosen setzte
er die derbe Natürlichkeit entgegen, ohne doch in ihr ganz den herkömmlichen
Regeln zu entsagen. So ist es merkwürdig genug, und verräth den gewissen¬
haften Gelehrten, daß er in dieser seiner niederen Sphäre aufs strengste die
aristotelischen Regeln zu bewahren sucht.

Vortrefflich meistens sind seine Hanptpersonrn ausgestattet — doch um
diese gruppirt sich, wie in den zeitgenössischen Stücken, eine Menge stehender
Personen und Charaktere, die Liebenden, eine prosaische Hausmutter u. a. Auch
die schlaue Dienerschaft — Heinrich und Pernille — die in vielen' Lustspielen
erscheint und den Knoten Schürze, bewahrt bei aller Verschiedenheit der Situa¬
tionen und Erfindungen doch immer den gleichen Chürükter und nur ein einziges
Mal, in „Pernille als Tochter" zeigt sich ein Streben, Pernillen eine andere
Zeichnung Und einen edleren Sinn zu geben. — Alle diese Lustspiele sind in¬
sofern harmlos, als sie, wie früher seine Satiren, nur gegen allgemeine Feh¬
ler losziehen, die dem Dichter in Kopenhagen grade hauptsächlich im Schwang
zu sein schienen, und wenn er auch oft auf Anfeindungen anspielt, so scheint
er dies deshalb noch nicht sehr ernst zu nehmen. Die Harmlosigkeit seiner Sche'rje
erstreckt sich sogar bis auf die Behandlung der durchtriebenen Gauner, die er
stets ungeahndet entkommen läßt. Er gebraucht sie als Werkzeug zur Bestra¬
fung der Personen, die er eigentlich verspotten will und er zeigt hierin eine


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[0188] Lustspielen oder Erzählungen, und wußte mit diesem fremden Stoff dennoch ein nationales Lustspiel zu begründen, wußte das Starre und Conventionelle seiner Vorbilder umzugießen in das frischeste Volksleben. Er selbst hat noch die festen Typen der Valets und der Kammermädchen» aber ausgestattet mit reicher Fülle von Geist und Humor. Selbst die spanische Bühne kannte er, denn er versuchte sie in seinem Lustspiel ,,dle Unsichtbare" ,zu travestiren, was ihm aber, da ihm doch das Verständniß M jene Art ganz abging, mißlingen mußte. Holberg hat nur einen sehr beschränkten Kreis, das Niedrig-Komische, aber darin ist er groß. Die Charaktere der niederen Bürgersleute und seelän- dischen Bauern sind Meisterwerke und den besten Leistungen der niederländischen Malerschule zu vergleichen — allein wenn er über sie hinaufstrebt, wenn er sich zu einem ernsteren Ton erhebe»! und ein höheres Gefühl anschlagen will, wird er matt und schwach. Lange Zeit hat man ja nur der Tragödie daS Recht vindicirt, stelzengehende Könige und Helden vorzuführen, die Komödie dagegen auf den niederen Kreis der Gesellschaft beschränkt, damit aber den eigentlichen Mittelstand, von jeher Kern und Stütze einer guten Bühne, Nicht in das Interesse zu ziehen vermocht, waS erst viel später gelang. Holberg fand demnach seinen Kreis schon fast ganz bestimmt, dennoch aber steht er mit Bewußtsein seinen Vorgängern und Vorbildern in vielen Punkten gegenüber. Der Convention der Franzosen setzte er die derbe Natürlichkeit entgegen, ohne doch in ihr ganz den herkömmlichen Regeln zu entsagen. So ist es merkwürdig genug, und verräth den gewissen¬ haften Gelehrten, daß er in dieser seiner niederen Sphäre aufs strengste die aristotelischen Regeln zu bewahren sucht. Vortrefflich meistens sind seine Hanptpersonrn ausgestattet — doch um diese gruppirt sich, wie in den zeitgenössischen Stücken, eine Menge stehender Personen und Charaktere, die Liebenden, eine prosaische Hausmutter u. a. Auch die schlaue Dienerschaft — Heinrich und Pernille — die in vielen' Lustspielen erscheint und den Knoten Schürze, bewahrt bei aller Verschiedenheit der Situa¬ tionen und Erfindungen doch immer den gleichen Chürükter und nur ein einziges Mal, in „Pernille als Tochter" zeigt sich ein Streben, Pernillen eine andere Zeichnung Und einen edleren Sinn zu geben. — Alle diese Lustspiele sind in¬ sofern harmlos, als sie, wie früher seine Satiren, nur gegen allgemeine Feh¬ ler losziehen, die dem Dichter in Kopenhagen grade hauptsächlich im Schwang zu sein schienen, und wenn er auch oft auf Anfeindungen anspielt, so scheint er dies deshalb noch nicht sehr ernst zu nehmen. Die Harmlosigkeit seiner Sche'rje erstreckt sich sogar bis auf die Behandlung der durchtriebenen Gauner, die er stets ungeahndet entkommen läßt. Er gebraucht sie als Werkzeug zur Bestra¬ fung der Personen, die er eigentlich verspotten will und er zeigt hierin eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/188>, abgerufen am 23.07.2024.