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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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gegen Kutusows Rath geliefert, geleitet und verloren hat. Alexander war nei¬
disch auf Kutusows Ruhm, er hat ihm kein Monument setzen lassen. Uebrigens
ist Kutusow zur rechten Zeit für seinen Ruhm gestorben; er wollte die Franzosen
nicht weiter als bis an die Grenzen von Deutschland verfolgen. So Tolstoi.
Ich bemerke hierbei nochmals, daß niemand in Rußland sich genirt, Worte des
Tadels gegen den Kaiser Alexander auszusprechen, es ist selbst Ton; die Todten
haben noch mehr Unrecht als die Abwesenden. Ueberhaupt äußert man sich
in Nußland sehr freimüthig über alles, was der Vergangenheit, auch der näch¬
sten Vergangenheit angehört; nur über die Interessen des Augenblicks beobachtet
man ein diöcretes, fast ängstliches Stillschweigen.

Während der Schlacht hatte ich- auch eine stundenlange Konversation
mit dem General Uermolow; ein in jeder Beziehung merkwürdiger Mann,
schon darum, weil er, obgleich in Ungnade und außer Activität, doch in der
russischen Armee eines außerordentlichen Ansehens genießt. Er ist immer
entourirt, und jeder, selbst die sehr hoch Stehenden, beeifern sich, ihm ihren
Respect zu beweisen. Uebrigens passirt er für einen Mann, auf den die
Augen der Unzufriedenen gerichtet sind, und wenn er spricht, ist immer ein
Adjutant des Kaisers in der Nähe, der ihn beobachtet und behorcht. Aermolow
hat früher in der Artillerie gedient, war in der Schlacht bei Borodino Chef
des Generalstabs, und hat später im Kaukasus commandirt, von wo er ab¬
berufen wurde; warum, weiß ich nicht. Er gilt für falsch, aber sehr sein.
Sein Aeußeres hat eher etwas Barsches, Soldateskes (er ist dabei dick und
hat ein hochgefärbtes Gesicht), aber er soll sehr wissenschaftlich gebildet sein
und im höchsten Grad das Talent besitzen, den Soldaten anzureden und ihm
Muth einzuflößen. (L'est de-AULOnp, 0'<z^t prösc^us Wut).

Uermolow sprach theils über Artillerie, theils über die Schlacht. Er be¬
klagte sich,auf Russisch gegen einen nahestehenden Bekannten: Ich bin mit
den Fremden in Verlegenheit; ich will nicht lügen, und doch darf ich nicht
gestehen, daß das Schauspiel vor uns viele ganz willkürliche Abweichungen
von dem Hergange der Schlacht enthält. Mir sagte er zuletzt sehr fein: O'egt
in, r"pro8vnd>aUoll ac I" bataiUv avec 1e" eorroetiorls qus Nonsisur 1v Klarv"
etat a M^c- LvnvenlMö et'^ iulrvüuirv. --

13. September. Heute das letzte Manöver bei Borodino; der Kaiser
liefert die Schlacht u s-r l'anium noch einmal, und umgeht die Franzosen, daß
sie wie in einem Sacke gefangen werden. -- Jedermann ist froh, daß es ein
Ende hat. --

3. Octob er. Rückkehr nach Petersburg. -- Ich habe eine Einladung von
Czeruitschcff versäumt, der uns (Nigot und mir) im Namen deS Kaisers das
Commandeurkreuz des Stanislausordens überreichen sollte. Diese Auszeich¬
nung bedeutet nicht viel und wird gewöhnlich wie ein Weck aus dem Laden


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gegen Kutusows Rath geliefert, geleitet und verloren hat. Alexander war nei¬
disch auf Kutusows Ruhm, er hat ihm kein Monument setzen lassen. Uebrigens
ist Kutusow zur rechten Zeit für seinen Ruhm gestorben; er wollte die Franzosen
nicht weiter als bis an die Grenzen von Deutschland verfolgen. So Tolstoi.
Ich bemerke hierbei nochmals, daß niemand in Rußland sich genirt, Worte des
Tadels gegen den Kaiser Alexander auszusprechen, es ist selbst Ton; die Todten
haben noch mehr Unrecht als die Abwesenden. Ueberhaupt äußert man sich
in Nußland sehr freimüthig über alles, was der Vergangenheit, auch der näch¬
sten Vergangenheit angehört; nur über die Interessen des Augenblicks beobachtet
man ein diöcretes, fast ängstliches Stillschweigen.

Während der Schlacht hatte ich- auch eine stundenlange Konversation
mit dem General Uermolow; ein in jeder Beziehung merkwürdiger Mann,
schon darum, weil er, obgleich in Ungnade und außer Activität, doch in der
russischen Armee eines außerordentlichen Ansehens genießt. Er ist immer
entourirt, und jeder, selbst die sehr hoch Stehenden, beeifern sich, ihm ihren
Respect zu beweisen. Uebrigens passirt er für einen Mann, auf den die
Augen der Unzufriedenen gerichtet sind, und wenn er spricht, ist immer ein
Adjutant des Kaisers in der Nähe, der ihn beobachtet und behorcht. Aermolow
hat früher in der Artillerie gedient, war in der Schlacht bei Borodino Chef
des Generalstabs, und hat später im Kaukasus commandirt, von wo er ab¬
berufen wurde; warum, weiß ich nicht. Er gilt für falsch, aber sehr sein.
Sein Aeußeres hat eher etwas Barsches, Soldateskes (er ist dabei dick und
hat ein hochgefärbtes Gesicht), aber er soll sehr wissenschaftlich gebildet sein
und im höchsten Grad das Talent besitzen, den Soldaten anzureden und ihm
Muth einzuflößen. (L'est de-AULOnp, 0'<z^t prösc^us Wut).

Uermolow sprach theils über Artillerie, theils über die Schlacht. Er be¬
klagte sich,auf Russisch gegen einen nahestehenden Bekannten: Ich bin mit
den Fremden in Verlegenheit; ich will nicht lügen, und doch darf ich nicht
gestehen, daß das Schauspiel vor uns viele ganz willkürliche Abweichungen
von dem Hergange der Schlacht enthält. Mir sagte er zuletzt sehr fein: O'egt
in, r«pro8vnd>aUoll ac I» bataiUv avec 1e» eorroetiorls qus Nonsisur 1v Klarv»
etat a M^c- LvnvenlMö et'^ iulrvüuirv. —

13. September. Heute das letzte Manöver bei Borodino; der Kaiser
liefert die Schlacht u s-r l'anium noch einmal, und umgeht die Franzosen, daß
sie wie in einem Sacke gefangen werden. — Jedermann ist froh, daß es ein
Ende hat. —

3. Octob er. Rückkehr nach Petersburg. — Ich habe eine Einladung von
Czeruitschcff versäumt, der uns (Nigot und mir) im Namen deS Kaisers das
Commandeurkreuz des Stanislausordens überreichen sollte. Diese Auszeich¬
nung bedeutet nicht viel und wird gewöhnlich wie ein Weck aus dem Laden


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[0179] gegen Kutusows Rath geliefert, geleitet und verloren hat. Alexander war nei¬ disch auf Kutusows Ruhm, er hat ihm kein Monument setzen lassen. Uebrigens ist Kutusow zur rechten Zeit für seinen Ruhm gestorben; er wollte die Franzosen nicht weiter als bis an die Grenzen von Deutschland verfolgen. So Tolstoi. Ich bemerke hierbei nochmals, daß niemand in Rußland sich genirt, Worte des Tadels gegen den Kaiser Alexander auszusprechen, es ist selbst Ton; die Todten haben noch mehr Unrecht als die Abwesenden. Ueberhaupt äußert man sich in Nußland sehr freimüthig über alles, was der Vergangenheit, auch der näch¬ sten Vergangenheit angehört; nur über die Interessen des Augenblicks beobachtet man ein diöcretes, fast ängstliches Stillschweigen. Während der Schlacht hatte ich- auch eine stundenlange Konversation mit dem General Uermolow; ein in jeder Beziehung merkwürdiger Mann, schon darum, weil er, obgleich in Ungnade und außer Activität, doch in der russischen Armee eines außerordentlichen Ansehens genießt. Er ist immer entourirt, und jeder, selbst die sehr hoch Stehenden, beeifern sich, ihm ihren Respect zu beweisen. Uebrigens passirt er für einen Mann, auf den die Augen der Unzufriedenen gerichtet sind, und wenn er spricht, ist immer ein Adjutant des Kaisers in der Nähe, der ihn beobachtet und behorcht. Aermolow hat früher in der Artillerie gedient, war in der Schlacht bei Borodino Chef des Generalstabs, und hat später im Kaukasus commandirt, von wo er ab¬ berufen wurde; warum, weiß ich nicht. Er gilt für falsch, aber sehr sein. Sein Aeußeres hat eher etwas Barsches, Soldateskes (er ist dabei dick und hat ein hochgefärbtes Gesicht), aber er soll sehr wissenschaftlich gebildet sein und im höchsten Grad das Talent besitzen, den Soldaten anzureden und ihm Muth einzuflößen. (L'est de-AULOnp, 0'<z^t prösc^us Wut). Uermolow sprach theils über Artillerie, theils über die Schlacht. Er be¬ klagte sich,auf Russisch gegen einen nahestehenden Bekannten: Ich bin mit den Fremden in Verlegenheit; ich will nicht lügen, und doch darf ich nicht gestehen, daß das Schauspiel vor uns viele ganz willkürliche Abweichungen von dem Hergange der Schlacht enthält. Mir sagte er zuletzt sehr fein: O'egt in, r«pro8vnd>aUoll ac I» bataiUv avec 1e» eorroetiorls qus Nonsisur 1v Klarv» etat a M^c- LvnvenlMö et'^ iulrvüuirv. — 13. September. Heute das letzte Manöver bei Borodino; der Kaiser liefert die Schlacht u s-r l'anium noch einmal, und umgeht die Franzosen, daß sie wie in einem Sacke gefangen werden. — Jedermann ist froh, daß es ein Ende hat. — 3. Octob er. Rückkehr nach Petersburg. — Ich habe eine Einladung von Czeruitschcff versäumt, der uns (Nigot und mir) im Namen deS Kaisers das Commandeurkreuz des Stanislausordens überreichen sollte. Diese Auszeich¬ nung bedeutet nicht viel und wird gewöhnlich wie ein Weck aus dem Laden 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/179>, abgerufen am 03.07.2024.