Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

oft die Dispositionen oder Suppositionen ändert. Daher sind die Generale
gezwungen, ihre Truppen stets in Massen beisammen zu halten, weil sie nur
so ohne großen Zeitverlust schnell die Befehle des Kaisers ausführen können.
Der Kaiser mischt sich in alles, und wenn er gleich zu Anfang des Manö¬
vers sagt, er wolle den General gewähren lassen, so hat er doch, ehe eine
Stunde vergeht, das Commando thatsächlich übernommen: e'este plus tort que
lui. Seine Adjutanten sind immer in Bewegung. Heute beschwerte sich,der
Großfürst Michael über den ton oavalier, mit welchem die Adjutanten des
Kaisers die Befehle an die Generale überbringen; die Klage war gegen den
jungen Fürst Bagration gerichtet, den Quasierbcn des georgischen Thrones.

In das Detail der Manöver will ich nicht eingehen, ich überlasse das
dem Preußischen Major Brauchitsch, welcher seinem König tagtäglich über diese
Lappalien einen ellenlangen Rapport einschicken mußte.

8. September. Sonntag. Heute wohnten wir bei dem sechsten Corps
der Messe bei; dann Wachtparade und Ererciren der Cavalerieordonnanzen
durch den Kaiser selbst -- worv ecmsuet". Ein preußischer Rittmeister gibt
mir über diese Charlatanerie folgenden Ausschluß: In jeder Escadron werden
drei oder vier der schönsten und besten Pferde von eignen Stallmeistern zu
diesem Zwecke zugeritten und die besten Reiter damit beritten gemacht. Diese
werden immer als Ordonnanzen commandirt. Der Kaiser weiß das recht gut,
will aber den Fremden Sand in die Augen streuen.

10. September. Heute war der große Tag, an welchem die Schlacht
von Borodino noch einmal geliefert werden sollte. Doch nur die russische
Armee wurde in der Aufstellung repräsentiert, der Feind war blos supponirt.
Man hatte einen Schlachtbericht ausgegeben, die Schlacht in verschiedene
Epochen eingetheilt, welche auch nach und nach sich eine aus der andern ent¬
wickelten.

Das Wetter begünstigte dieses schöne Schauspiel, welches von 8 Uhr
Morgens bis 4 Uhr Nachmittags dauerte. Der Feldmarschall Paskewitsch
commandirte, so lange es gehen wollte, und stellte anfangs die Schlacht so
treu als möglich dar, aber nach ein paar Stunden, d. h. gegen Nachmittag, ^
nahm ihm der Kaiser factisch das Commando aus der Hand und verbesserte
die Fehler, welche Kutusow begangen haben soll d. h. der Kaiser machte mit
den Dragonern eine große Umgehungsbewegung in die linke Flanke und den
Rücken der französischen Armee -- höchst lächerlich. -- Nikolaus gibt dem
Napoleon, der schon beinahe 2" Jahre todt ist, Lectionen! Während der
Schlacht ritt ich meistens mit Fürst Liechtenstein; dann mit Tolstoi, dem
Enkel des Generals Kutusow. Dieser erzählte mir Folgendes: Kutusow ist durch
die Stimme pes Volks zum Oberbefehlshaber berufen worden; Kaiser Alexander
liebte ihn nicht, noch von ver Schlacht von Austerlitz her, welche Alexander


oft die Dispositionen oder Suppositionen ändert. Daher sind die Generale
gezwungen, ihre Truppen stets in Massen beisammen zu halten, weil sie nur
so ohne großen Zeitverlust schnell die Befehle des Kaisers ausführen können.
Der Kaiser mischt sich in alles, und wenn er gleich zu Anfang des Manö¬
vers sagt, er wolle den General gewähren lassen, so hat er doch, ehe eine
Stunde vergeht, das Commando thatsächlich übernommen: e'este plus tort que
lui. Seine Adjutanten sind immer in Bewegung. Heute beschwerte sich,der
Großfürst Michael über den ton oavalier, mit welchem die Adjutanten des
Kaisers die Befehle an die Generale überbringen; die Klage war gegen den
jungen Fürst Bagration gerichtet, den Quasierbcn des georgischen Thrones.

In das Detail der Manöver will ich nicht eingehen, ich überlasse das
dem Preußischen Major Brauchitsch, welcher seinem König tagtäglich über diese
Lappalien einen ellenlangen Rapport einschicken mußte.

8. September. Sonntag. Heute wohnten wir bei dem sechsten Corps
der Messe bei; dann Wachtparade und Ererciren der Cavalerieordonnanzen
durch den Kaiser selbst — worv ecmsuet». Ein preußischer Rittmeister gibt
mir über diese Charlatanerie folgenden Ausschluß: In jeder Escadron werden
drei oder vier der schönsten und besten Pferde von eignen Stallmeistern zu
diesem Zwecke zugeritten und die besten Reiter damit beritten gemacht. Diese
werden immer als Ordonnanzen commandirt. Der Kaiser weiß das recht gut,
will aber den Fremden Sand in die Augen streuen.

10. September. Heute war der große Tag, an welchem die Schlacht
von Borodino noch einmal geliefert werden sollte. Doch nur die russische
Armee wurde in der Aufstellung repräsentiert, der Feind war blos supponirt.
Man hatte einen Schlachtbericht ausgegeben, die Schlacht in verschiedene
Epochen eingetheilt, welche auch nach und nach sich eine aus der andern ent¬
wickelten.

Das Wetter begünstigte dieses schöne Schauspiel, welches von 8 Uhr
Morgens bis 4 Uhr Nachmittags dauerte. Der Feldmarschall Paskewitsch
commandirte, so lange es gehen wollte, und stellte anfangs die Schlacht so
treu als möglich dar, aber nach ein paar Stunden, d. h. gegen Nachmittag, ^
nahm ihm der Kaiser factisch das Commando aus der Hand und verbesserte
die Fehler, welche Kutusow begangen haben soll d. h. der Kaiser machte mit
den Dragonern eine große Umgehungsbewegung in die linke Flanke und den
Rücken der französischen Armee — höchst lächerlich. — Nikolaus gibt dem
Napoleon, der schon beinahe 2» Jahre todt ist, Lectionen! Während der
Schlacht ritt ich meistens mit Fürst Liechtenstein; dann mit Tolstoi, dem
Enkel des Generals Kutusow. Dieser erzählte mir Folgendes: Kutusow ist durch
die Stimme pes Volks zum Oberbefehlshaber berufen worden; Kaiser Alexander
liebte ihn nicht, noch von ver Schlacht von Austerlitz her, welche Alexander


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102773"/>
          <p xml:id="ID_598" prev="#ID_597"> oft die Dispositionen oder Suppositionen ändert. Daher sind die Generale<lb/>
gezwungen, ihre Truppen stets in Massen beisammen zu halten, weil sie nur<lb/>
so ohne großen Zeitverlust schnell die Befehle des Kaisers ausführen können.<lb/>
Der Kaiser mischt sich in alles, und wenn er gleich zu Anfang des Manö¬<lb/>
vers sagt, er wolle den General gewähren lassen, so hat er doch, ehe eine<lb/>
Stunde vergeht, das Commando thatsächlich übernommen: e'este plus tort que<lb/>
lui. Seine Adjutanten sind immer in Bewegung. Heute beschwerte sich,der<lb/>
Großfürst Michael über den ton oavalier, mit welchem die Adjutanten des<lb/>
Kaisers die Befehle an die Generale überbringen; die Klage war gegen den<lb/>
jungen Fürst Bagration gerichtet, den Quasierbcn des georgischen Thrones.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_599"> In das Detail der Manöver will ich nicht eingehen, ich überlasse das<lb/>
dem Preußischen Major Brauchitsch, welcher seinem König tagtäglich über diese<lb/>
Lappalien einen ellenlangen Rapport einschicken mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_600"> 8. September. Sonntag. Heute wohnten wir bei dem sechsten Corps<lb/>
der Messe bei; dann Wachtparade und Ererciren der Cavalerieordonnanzen<lb/>
durch den Kaiser selbst &#x2014; worv ecmsuet». Ein preußischer Rittmeister gibt<lb/>
mir über diese Charlatanerie folgenden Ausschluß: In jeder Escadron werden<lb/>
drei oder vier der schönsten und besten Pferde von eignen Stallmeistern zu<lb/>
diesem Zwecke zugeritten und die besten Reiter damit beritten gemacht. Diese<lb/>
werden immer als Ordonnanzen commandirt. Der Kaiser weiß das recht gut,<lb/>
will aber den Fremden Sand in die Augen streuen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_601"> 10. September. Heute war der große Tag, an welchem die Schlacht<lb/>
von Borodino noch einmal geliefert werden sollte. Doch nur die russische<lb/>
Armee wurde in der Aufstellung repräsentiert, der Feind war blos supponirt.<lb/>
Man hatte einen Schlachtbericht ausgegeben, die Schlacht in verschiedene<lb/>
Epochen eingetheilt, welche auch nach und nach sich eine aus der andern ent¬<lb/>
wickelten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_602" next="#ID_603"> Das Wetter begünstigte dieses schöne Schauspiel, welches von 8 Uhr<lb/>
Morgens bis 4 Uhr Nachmittags dauerte. Der Feldmarschall Paskewitsch<lb/>
commandirte, so lange es gehen wollte, und stellte anfangs die Schlacht so<lb/>
treu als möglich dar, aber nach ein paar Stunden, d. h. gegen Nachmittag, ^<lb/>
nahm ihm der Kaiser factisch das Commando aus der Hand und verbesserte<lb/>
die Fehler, welche Kutusow begangen haben soll d. h. der Kaiser machte mit<lb/>
den Dragonern eine große Umgehungsbewegung in die linke Flanke und den<lb/>
Rücken der französischen Armee &#x2014; höchst lächerlich. &#x2014; Nikolaus gibt dem<lb/>
Napoleon, der schon beinahe 2» Jahre todt ist, Lectionen! Während der<lb/>
Schlacht ritt ich meistens mit Fürst Liechtenstein; dann mit Tolstoi, dem<lb/>
Enkel des Generals Kutusow. Dieser erzählte mir Folgendes: Kutusow ist durch<lb/>
die Stimme pes Volks zum Oberbefehlshaber berufen worden; Kaiser Alexander<lb/>
liebte ihn nicht, noch von ver Schlacht von Austerlitz her, welche Alexander</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] oft die Dispositionen oder Suppositionen ändert. Daher sind die Generale gezwungen, ihre Truppen stets in Massen beisammen zu halten, weil sie nur so ohne großen Zeitverlust schnell die Befehle des Kaisers ausführen können. Der Kaiser mischt sich in alles, und wenn er gleich zu Anfang des Manö¬ vers sagt, er wolle den General gewähren lassen, so hat er doch, ehe eine Stunde vergeht, das Commando thatsächlich übernommen: e'este plus tort que lui. Seine Adjutanten sind immer in Bewegung. Heute beschwerte sich,der Großfürst Michael über den ton oavalier, mit welchem die Adjutanten des Kaisers die Befehle an die Generale überbringen; die Klage war gegen den jungen Fürst Bagration gerichtet, den Quasierbcn des georgischen Thrones. In das Detail der Manöver will ich nicht eingehen, ich überlasse das dem Preußischen Major Brauchitsch, welcher seinem König tagtäglich über diese Lappalien einen ellenlangen Rapport einschicken mußte. 8. September. Sonntag. Heute wohnten wir bei dem sechsten Corps der Messe bei; dann Wachtparade und Ererciren der Cavalerieordonnanzen durch den Kaiser selbst — worv ecmsuet». Ein preußischer Rittmeister gibt mir über diese Charlatanerie folgenden Ausschluß: In jeder Escadron werden drei oder vier der schönsten und besten Pferde von eignen Stallmeistern zu diesem Zwecke zugeritten und die besten Reiter damit beritten gemacht. Diese werden immer als Ordonnanzen commandirt. Der Kaiser weiß das recht gut, will aber den Fremden Sand in die Augen streuen. 10. September. Heute war der große Tag, an welchem die Schlacht von Borodino noch einmal geliefert werden sollte. Doch nur die russische Armee wurde in der Aufstellung repräsentiert, der Feind war blos supponirt. Man hatte einen Schlachtbericht ausgegeben, die Schlacht in verschiedene Epochen eingetheilt, welche auch nach und nach sich eine aus der andern ent¬ wickelten. Das Wetter begünstigte dieses schöne Schauspiel, welches von 8 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags dauerte. Der Feldmarschall Paskewitsch commandirte, so lange es gehen wollte, und stellte anfangs die Schlacht so treu als möglich dar, aber nach ein paar Stunden, d. h. gegen Nachmittag, ^ nahm ihm der Kaiser factisch das Commando aus der Hand und verbesserte die Fehler, welche Kutusow begangen haben soll d. h. der Kaiser machte mit den Dragonern eine große Umgehungsbewegung in die linke Flanke und den Rücken der französischen Armee — höchst lächerlich. — Nikolaus gibt dem Napoleon, der schon beinahe 2» Jahre todt ist, Lectionen! Während der Schlacht ritt ich meistens mit Fürst Liechtenstein; dann mit Tolstoi, dem Enkel des Generals Kutusow. Dieser erzählte mir Folgendes: Kutusow ist durch die Stimme pes Volks zum Oberbefehlshaber berufen worden; Kaiser Alexander liebte ihn nicht, noch von ver Schlacht von Austerlitz her, welche Alexander

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/178>, abgerufen am 03.07.2024.