Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Während dieses d<zg,u rosullat im Regen abgewartet wurde, erzählte ich
den Herren, die sich über das ewige Einerlei beklagten, die Geschichte des al¬
ten Franzosen, der eine junge Frau geheirathet hatte. . . Die Gruppe lachte
so laut, auf, daß der Kaiser sich umkehrte und fragte, was es gebe? Jemand
antwortete ausweichend.--

30. August. Ueber den Tod des Kaisers Paul habe ich aus verschiedenen
Quellen folgende Details gehört:

Graf Pahlen, der Gouverneur von Petersburg, und andere russische
Große fürchten für ihre Sicherheit, weil Kaiser Paul äußerst mißtrauisch ge¬
worden war; außerdem stand ziemlich allgemein die Ueberzeugung fest, daß
Paul unfähig sei zur Regierung und daß er das Reich zu Grunde richte; es
könne so nicht länger gehen. Sie conspiriren also.

Um sicher zu gehen, machen sie einerseits dem Kaiser glauben, seine
Söhne conspirirten gegen ihn, während sie gleichzeitig diese Söhne warnen,
auf ihrer Hul zu sein, weil der Kaiser Verdacht gegen sie hege und zum
"Aeußersten fähig sei.

Die Conspiration wird dem Kaiser Paul verrathen; er läßt Pahlen ru¬
fen und zeigt ihm die Liste der Verschwornen, an deren Spitze Pahlens Name
steht. Aber Pahlen verliert durchaus die Fassung nicht, sondern antwortet:
Daß eine Conspiration besteht, davon habe ich Ew. Majestät selbst benachrich¬
tigt; ich erhielt Befehl, diese Verschwornen zu überwachen; wie konnte ich das,
wenn ich mich nicht selbst in die Verschwörung eingelassen hätte, um den Fa¬
den in der Hand zu haben?

Paul traut Pahlen nochmals, und dieser sagt: Bei der drohenden Gefahr
sei es durchaus nöthig, einen Verhaftsbefehl gegen die beiden Großfürsten
Alexander und Konstantin zu erlassen. Pahlen erhält denselben aus des Kai¬
sers Hand, und eilt nun damit zu Alexander, um demselben vorzustellen, es
sei die höchste Zeit, den Kaiser zur Abdication zu zwingen, sonst seien die
Söhne nicht einen Augenblick ihres Lebens sicher. Alexander willigt ein.

Alles wird vorbereitet. , Als Abends im michailowschen Palast, welchen
Paul bewohnte, die Wache zur ungewohnten Stunde abgelöst wurde (um sie
mit solchen Truppen zu besetzen, aus die man zählen konnte, und deren An¬
führer im Complott waren), wird Paul wieder mißtrauisch, beruhigt sich aber,
als er vernimmt, alles geschehe auf Pahlens ausdrücklichen Befehl. Nachts
dringen die Verschwornen in den Palast; nur Pahlen bleibt mit einem Ba¬
taillon vom Garderegiment Preobrajcnsky ans dem (.'.Kamp ä<z mars in der
Nähe stehen, wie er den Verschwornen sagt, um alle Hilfe, welche von außen
kommen könnte, abzuhalten, in der That aber, um sich eine Hinterthüre offen
zu halten und nicht eher offen Partei für die Verschwornen zu ergreisen, als
bis der Streich gelungen sei.


Während dieses d<zg,u rosullat im Regen abgewartet wurde, erzählte ich
den Herren, die sich über das ewige Einerlei beklagten, die Geschichte des al¬
ten Franzosen, der eine junge Frau geheirathet hatte. . . Die Gruppe lachte
so laut, auf, daß der Kaiser sich umkehrte und fragte, was es gebe? Jemand
antwortete ausweichend.—

30. August. Ueber den Tod des Kaisers Paul habe ich aus verschiedenen
Quellen folgende Details gehört:

Graf Pahlen, der Gouverneur von Petersburg, und andere russische
Große fürchten für ihre Sicherheit, weil Kaiser Paul äußerst mißtrauisch ge¬
worden war; außerdem stand ziemlich allgemein die Ueberzeugung fest, daß
Paul unfähig sei zur Regierung und daß er das Reich zu Grunde richte; es
könne so nicht länger gehen. Sie conspiriren also.

Um sicher zu gehen, machen sie einerseits dem Kaiser glauben, seine
Söhne conspirirten gegen ihn, während sie gleichzeitig diese Söhne warnen,
auf ihrer Hul zu sein, weil der Kaiser Verdacht gegen sie hege und zum
«Aeußersten fähig sei.

Die Conspiration wird dem Kaiser Paul verrathen; er läßt Pahlen ru¬
fen und zeigt ihm die Liste der Verschwornen, an deren Spitze Pahlens Name
steht. Aber Pahlen verliert durchaus die Fassung nicht, sondern antwortet:
Daß eine Conspiration besteht, davon habe ich Ew. Majestät selbst benachrich¬
tigt; ich erhielt Befehl, diese Verschwornen zu überwachen; wie konnte ich das,
wenn ich mich nicht selbst in die Verschwörung eingelassen hätte, um den Fa¬
den in der Hand zu haben?

Paul traut Pahlen nochmals, und dieser sagt: Bei der drohenden Gefahr
sei es durchaus nöthig, einen Verhaftsbefehl gegen die beiden Großfürsten
Alexander und Konstantin zu erlassen. Pahlen erhält denselben aus des Kai¬
sers Hand, und eilt nun damit zu Alexander, um demselben vorzustellen, es
sei die höchste Zeit, den Kaiser zur Abdication zu zwingen, sonst seien die
Söhne nicht einen Augenblick ihres Lebens sicher. Alexander willigt ein.

Alles wird vorbereitet. , Als Abends im michailowschen Palast, welchen
Paul bewohnte, die Wache zur ungewohnten Stunde abgelöst wurde (um sie
mit solchen Truppen zu besetzen, aus die man zählen konnte, und deren An¬
führer im Complott waren), wird Paul wieder mißtrauisch, beruhigt sich aber,
als er vernimmt, alles geschehe auf Pahlens ausdrücklichen Befehl. Nachts
dringen die Verschwornen in den Palast; nur Pahlen bleibt mit einem Ba¬
taillon vom Garderegiment Preobrajcnsky ans dem (.'.Kamp ä<z mars in der
Nähe stehen, wie er den Verschwornen sagt, um alle Hilfe, welche von außen
kommen könnte, abzuhalten, in der That aber, um sich eine Hinterthüre offen
zu halten und nicht eher offen Partei für die Verschwornen zu ergreisen, als
bis der Streich gelungen sei.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102771"/>
          <p xml:id="ID_584"> Während dieses d&lt;zg,u rosullat im Regen abgewartet wurde, erzählte ich<lb/>
den Herren, die sich über das ewige Einerlei beklagten, die Geschichte des al¬<lb/>
ten Franzosen, der eine junge Frau geheirathet hatte. . . Die Gruppe lachte<lb/>
so laut, auf, daß der Kaiser sich umkehrte und fragte, was es gebe? Jemand<lb/>
antwortete ausweichend.&#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> 30. August. Ueber den Tod des Kaisers Paul habe ich aus verschiedenen<lb/>
Quellen folgende Details gehört:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586"> Graf Pahlen, der Gouverneur von Petersburg, und andere russische<lb/>
Große fürchten für ihre Sicherheit, weil Kaiser Paul äußerst mißtrauisch ge¬<lb/>
worden war; außerdem stand ziemlich allgemein die Ueberzeugung fest, daß<lb/>
Paul unfähig sei zur Regierung und daß er das Reich zu Grunde richte; es<lb/>
könne so nicht länger gehen.  Sie conspiriren also.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587"> Um sicher zu gehen, machen sie einerseits dem Kaiser glauben, seine<lb/>
Söhne conspirirten gegen ihn, während sie gleichzeitig diese Söhne warnen,<lb/>
auf ihrer Hul zu sein, weil der Kaiser Verdacht gegen sie hege und zum<lb/>
«Aeußersten fähig sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588"> Die Conspiration wird dem Kaiser Paul verrathen; er läßt Pahlen ru¬<lb/>
fen und zeigt ihm die Liste der Verschwornen, an deren Spitze Pahlens Name<lb/>
steht. Aber Pahlen verliert durchaus die Fassung nicht, sondern antwortet:<lb/>
Daß eine Conspiration besteht, davon habe ich Ew. Majestät selbst benachrich¬<lb/>
tigt; ich erhielt Befehl, diese Verschwornen zu überwachen; wie konnte ich das,<lb/>
wenn ich mich nicht selbst in die Verschwörung eingelassen hätte, um den Fa¬<lb/>
den in der Hand zu haben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_589"> Paul traut Pahlen nochmals, und dieser sagt: Bei der drohenden Gefahr<lb/>
sei es durchaus nöthig, einen Verhaftsbefehl gegen die beiden Großfürsten<lb/>
Alexander und Konstantin zu erlassen. Pahlen erhält denselben aus des Kai¬<lb/>
sers Hand, und eilt nun damit zu Alexander, um demselben vorzustellen, es<lb/>
sei die höchste Zeit, den Kaiser zur Abdication zu zwingen, sonst seien die<lb/>
Söhne nicht einen Augenblick ihres Lebens sicher.  Alexander willigt ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_590"> Alles wird vorbereitet. , Als Abends im michailowschen Palast, welchen<lb/>
Paul bewohnte, die Wache zur ungewohnten Stunde abgelöst wurde (um sie<lb/>
mit solchen Truppen zu besetzen, aus die man zählen konnte, und deren An¬<lb/>
führer im Complott waren), wird Paul wieder mißtrauisch, beruhigt sich aber,<lb/>
als er vernimmt, alles geschehe auf Pahlens ausdrücklichen Befehl. Nachts<lb/>
dringen die Verschwornen in den Palast; nur Pahlen bleibt mit einem Ba¬<lb/>
taillon vom Garderegiment Preobrajcnsky ans dem (.'.Kamp ä&lt;z mars in der<lb/>
Nähe stehen, wie er den Verschwornen sagt, um alle Hilfe, welche von außen<lb/>
kommen könnte, abzuhalten, in der That aber, um sich eine Hinterthüre offen<lb/>
zu halten und nicht eher offen Partei für die Verschwornen zu ergreisen, als<lb/>
bis der Streich gelungen sei.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] Während dieses d<zg,u rosullat im Regen abgewartet wurde, erzählte ich den Herren, die sich über das ewige Einerlei beklagten, die Geschichte des al¬ ten Franzosen, der eine junge Frau geheirathet hatte. . . Die Gruppe lachte so laut, auf, daß der Kaiser sich umkehrte und fragte, was es gebe? Jemand antwortete ausweichend.— 30. August. Ueber den Tod des Kaisers Paul habe ich aus verschiedenen Quellen folgende Details gehört: Graf Pahlen, der Gouverneur von Petersburg, und andere russische Große fürchten für ihre Sicherheit, weil Kaiser Paul äußerst mißtrauisch ge¬ worden war; außerdem stand ziemlich allgemein die Ueberzeugung fest, daß Paul unfähig sei zur Regierung und daß er das Reich zu Grunde richte; es könne so nicht länger gehen. Sie conspiriren also. Um sicher zu gehen, machen sie einerseits dem Kaiser glauben, seine Söhne conspirirten gegen ihn, während sie gleichzeitig diese Söhne warnen, auf ihrer Hul zu sein, weil der Kaiser Verdacht gegen sie hege und zum «Aeußersten fähig sei. Die Conspiration wird dem Kaiser Paul verrathen; er läßt Pahlen ru¬ fen und zeigt ihm die Liste der Verschwornen, an deren Spitze Pahlens Name steht. Aber Pahlen verliert durchaus die Fassung nicht, sondern antwortet: Daß eine Conspiration besteht, davon habe ich Ew. Majestät selbst benachrich¬ tigt; ich erhielt Befehl, diese Verschwornen zu überwachen; wie konnte ich das, wenn ich mich nicht selbst in die Verschwörung eingelassen hätte, um den Fa¬ den in der Hand zu haben? Paul traut Pahlen nochmals, und dieser sagt: Bei der drohenden Gefahr sei es durchaus nöthig, einen Verhaftsbefehl gegen die beiden Großfürsten Alexander und Konstantin zu erlassen. Pahlen erhält denselben aus des Kai¬ sers Hand, und eilt nun damit zu Alexander, um demselben vorzustellen, es sei die höchste Zeit, den Kaiser zur Abdication zu zwingen, sonst seien die Söhne nicht einen Augenblick ihres Lebens sicher. Alexander willigt ein. Alles wird vorbereitet. , Als Abends im michailowschen Palast, welchen Paul bewohnte, die Wache zur ungewohnten Stunde abgelöst wurde (um sie mit solchen Truppen zu besetzen, aus die man zählen konnte, und deren An¬ führer im Complott waren), wird Paul wieder mißtrauisch, beruhigt sich aber, als er vernimmt, alles geschehe auf Pahlens ausdrücklichen Befehl. Nachts dringen die Verschwornen in den Palast; nur Pahlen bleibt mit einem Ba¬ taillon vom Garderegiment Preobrajcnsky ans dem (.'.Kamp ä<z mars in der Nähe stehen, wie er den Verschwornen sagt, um alle Hilfe, welche von außen kommen könnte, abzuhalten, in der That aber, um sich eine Hinterthüre offen zu halten und nicht eher offen Partei für die Verschwornen zu ergreisen, als bis der Streich gelungen sei.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/176>, abgerufen am 23.07.2024.