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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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deutet. Und reizend in der That ist das stille Gemüthsleben der jungen
Frau und ihre schüchterne, aus einer angelernten Abneigung erblühende Liebe
geschildert, hier sind rührende und hochpoetische Momente, daS Zarteste des
Buches. ' Aber die Freude auch an diesem idealen Gefühl wird den, Leser
versetzt mit peinlichen und ängstlichen Empfindungen, denn die Wuth und
die Mißhandlungen des eignen Gatten müssen die Frau demüthige>i und
quälen und uns die Empfindung lebhast machen, daß auch dieses reine
und holde Weib einem finstern Geschick verfallen sei, aus dem ihr keine
Rettung wird, als durch bleiche Entsagung. Der Vater der beiden Brüder ist
ein echtes Stück Leben, ein gewaltiger Egoist mit großen Leidenschaf¬
ten, die sich hinter gekünstelter Ruhe verbergen, bis sie im entscheidenden
Augenblick unwiderstehlich hervorbrechen. Aber merkwürdig, auch er erscheint
gebrochen und invalid, er ist blind geworden und grimmig darüber, und
argwöhnisch und schwächer, als er früher gewesen sein soll. So hat der Held,
die hellste Gestalt der Erzählung, die schwere Aufgabe, allein das Gegengewicht
zu halten gegen das viele Ungesunde und Düstre in den andern. Und er ist
eine wohlthuende Gestalt, sein sauberes, bedächtiges, gehaltenes Wesen ist zu
guter Geltung gebracht, aber auch er ist von Anfang an so resignirt und
dabei so pflichtvoll und regelrecht, daß er zwar den Eindruck von Kraft macht,
aber nicht von einer frischen und lebensfroher. Und auch um ihn legt sich der
dunkle Schatten des schlechten Bruders und sein Ende ist Schweigen und
Entsagen.

Die Sprache ist klar und rein, die Herrschaft über das Material des
Ausdrucks ist sehr respectabel. Der Dichter weiß genau zu sagen, was er will.

So sei zum Schluß die Erzählung allen Lesern mit Wärme empfohlen.
Sie wird nicht den Eindruck reiner Kunstschönheit machen, so viel Talent,
Kunst und schöne Erfindung darin sind, aber alle, Schaffende und Genießende,
werden darin eine wahre und ungewöhnliche Dichtelkraft und eine Seele, in
welcher nichts Gemeines und ein ernsthaftes Ringen nach dem Höchsten in der
Kunst sichtbar ist, zu ehren haben.




deutet. Und reizend in der That ist das stille Gemüthsleben der jungen
Frau und ihre schüchterne, aus einer angelernten Abneigung erblühende Liebe
geschildert, hier sind rührende und hochpoetische Momente, daS Zarteste des
Buches. ' Aber die Freude auch an diesem idealen Gefühl wird den, Leser
versetzt mit peinlichen und ängstlichen Empfindungen, denn die Wuth und
die Mißhandlungen des eignen Gatten müssen die Frau demüthige>i und
quälen und uns die Empfindung lebhast machen, daß auch dieses reine
und holde Weib einem finstern Geschick verfallen sei, aus dem ihr keine
Rettung wird, als durch bleiche Entsagung. Der Vater der beiden Brüder ist
ein echtes Stück Leben, ein gewaltiger Egoist mit großen Leidenschaf¬
ten, die sich hinter gekünstelter Ruhe verbergen, bis sie im entscheidenden
Augenblick unwiderstehlich hervorbrechen. Aber merkwürdig, auch er erscheint
gebrochen und invalid, er ist blind geworden und grimmig darüber, und
argwöhnisch und schwächer, als er früher gewesen sein soll. So hat der Held,
die hellste Gestalt der Erzählung, die schwere Aufgabe, allein das Gegengewicht
zu halten gegen das viele Ungesunde und Düstre in den andern. Und er ist
eine wohlthuende Gestalt, sein sauberes, bedächtiges, gehaltenes Wesen ist zu
guter Geltung gebracht, aber auch er ist von Anfang an so resignirt und
dabei so pflichtvoll und regelrecht, daß er zwar den Eindruck von Kraft macht,
aber nicht von einer frischen und lebensfroher. Und auch um ihn legt sich der
dunkle Schatten des schlechten Bruders und sein Ende ist Schweigen und
Entsagen.

Die Sprache ist klar und rein, die Herrschaft über das Material des
Ausdrucks ist sehr respectabel. Der Dichter weiß genau zu sagen, was er will.

So sei zum Schluß die Erzählung allen Lesern mit Wärme empfohlen.
Sie wird nicht den Eindruck reiner Kunstschönheit machen, so viel Talent,
Kunst und schöne Erfindung darin sind, aber alle, Schaffende und Genießende,
werden darin eine wahre und ungewöhnliche Dichtelkraft und eine Seele, in
welcher nichts Gemeines und ein ernsthaftes Ringen nach dem Höchsten in der
Kunst sichtbar ist, zu ehren haben.




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[0134] deutet. Und reizend in der That ist das stille Gemüthsleben der jungen Frau und ihre schüchterne, aus einer angelernten Abneigung erblühende Liebe geschildert, hier sind rührende und hochpoetische Momente, daS Zarteste des Buches. ' Aber die Freude auch an diesem idealen Gefühl wird den, Leser versetzt mit peinlichen und ängstlichen Empfindungen, denn die Wuth und die Mißhandlungen des eignen Gatten müssen die Frau demüthige>i und quälen und uns die Empfindung lebhast machen, daß auch dieses reine und holde Weib einem finstern Geschick verfallen sei, aus dem ihr keine Rettung wird, als durch bleiche Entsagung. Der Vater der beiden Brüder ist ein echtes Stück Leben, ein gewaltiger Egoist mit großen Leidenschaf¬ ten, die sich hinter gekünstelter Ruhe verbergen, bis sie im entscheidenden Augenblick unwiderstehlich hervorbrechen. Aber merkwürdig, auch er erscheint gebrochen und invalid, er ist blind geworden und grimmig darüber, und argwöhnisch und schwächer, als er früher gewesen sein soll. So hat der Held, die hellste Gestalt der Erzählung, die schwere Aufgabe, allein das Gegengewicht zu halten gegen das viele Ungesunde und Düstre in den andern. Und er ist eine wohlthuende Gestalt, sein sauberes, bedächtiges, gehaltenes Wesen ist zu guter Geltung gebracht, aber auch er ist von Anfang an so resignirt und dabei so pflichtvoll und regelrecht, daß er zwar den Eindruck von Kraft macht, aber nicht von einer frischen und lebensfroher. Und auch um ihn legt sich der dunkle Schatten des schlechten Bruders und sein Ende ist Schweigen und Entsagen. Die Sprache ist klar und rein, die Herrschaft über das Material des Ausdrucks ist sehr respectabel. Der Dichter weiß genau zu sagen, was er will. So sei zum Schluß die Erzählung allen Lesern mit Wärme empfohlen. Sie wird nicht den Eindruck reiner Kunstschönheit machen, so viel Talent, Kunst und schöne Erfindung darin sind, aber alle, Schaffende und Genießende, werden darin eine wahre und ungewöhnliche Dichtelkraft und eine Seele, in welcher nichts Gemeines und ein ernsthaftes Ringen nach dem Höchsten in der Kunst sichtbar ist, zu ehren haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/134>, abgerufen am 23.07.2024.