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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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haben auf die Wirkungen, welche er hervorbringt, ist leicht zu verstehen, nicht
ebenso schnell vielleicht, wie bestimmend der Grad der innern Freiheit wird,
welche der Dichtende während der Arbeit gegenüber seiner Schöpfung hat.
Wenn etwas Geheimnißvolles und Großes im dichterischen Schaffen liegt, ^so
ist es die Verbindung von lebhafter Empfindung und sicherer Ruhe, von leiden¬
schaftlicher Wärme für Ideen und Charaktere und dabei von unbefangener
Beurtheilung derselben Ideen und Charaktere. Während der Dichter die
Motive und Handlungen eines Charakters, welchen er gefunden hat, mit
warmer Hingebung in allen einzelnen Lebensäußerungen durchmacht, soll er
zu derselben Zeit mit der höchsten Steigerung seiner innern Freiheit denselben
Charakter in seiner Beschränkung übersehen und beurtheilen, während er
sich leidenschaftlich der Stimmung eines Momentes hingibt, soll er mit un¬
befangener Klarheit die Farben, durch welche er diese Stimmung ausdrücken
kann, übersehen und verwenden, und während die Glut und der Wal/nsinn
finsterer Leidenschaften seine Seele wie Blitze durchzucken, soll er über diesen
stürmischen Empfindungen den Himmel heiter" Ruhe auch dem Leser bemerkbar
machen, und während er, was Thränen aus deu Augen lockt, durchfühlt,
wird er vielleicht mit einer Stimmung, die man wol ein innres Lächeln
nennen darf, den Strom dieser Empfindungen beobachten und durch contra-
stirende kreuzen müssen. Er wird dies müssen, wenn er sichere, edle, schöne
Wirkungen hervorbringen will. Es gilt für einen Fehler der Jugend, sich
dem poetischen Stoff zu sehr hinzugeben, weil die innere Freiheit d. h. die
sichere Herrschaft über das Stoffliche, noch nicht vorhanden ist und für eine
Schwäche des Alters, zu kühl und ruhig die Intentionen blos zu stellen, weil
den poetischen Anschauungen Wärme und Farbe fehlt. Wo die stärkste Ber¬
einigung von Freiheit und lebhafter Empfindung sich zusammenfindet, da erkennen
wir die stärkste Dichterkraft. Und da der gewöhnliche Sprachgebrauch die
Fähigkeit des Dichters, in Darstellung von Charakteren, Situationen und
Stimmungen stark zu wirken, sein Talent nennt, so läßt sich der vorige Satz
auch so ausdrücken, daß der größte Dichter durch die beste Bereinigung von
Talent und dichterischem Charakter gemacht wird.

Wenn man die einzelnen Dichter unsers Volkes von diesem Gesichtspunkt
aus betrachtet, so wixd man leicht finden, daß die schwächsten Kräfte schon an
dem Mangel oder geringem Umfang ihres Talents erkennbar sind; wie aber
eine Anzahl der bedeutendern Persönlichkeiten in der Schönheit ihres Schaffens
dadurch beeinträchtigt worden sind, daß die Totalität ihres Wesens nicht ganz
im richtigen Verhältniß stand zu der Energie ihrer Production. Eines der
größten Dichtertalente der Deutschen war Heinrich von Kleist; man kann sich
nur wenig dramatische Charaktere und Situationen denken, die er nicht höchst
anschaulich und imponirend hätte hervortreiben können. Aber ein krankes


haben auf die Wirkungen, welche er hervorbringt, ist leicht zu verstehen, nicht
ebenso schnell vielleicht, wie bestimmend der Grad der innern Freiheit wird,
welche der Dichtende während der Arbeit gegenüber seiner Schöpfung hat.
Wenn etwas Geheimnißvolles und Großes im dichterischen Schaffen liegt, ^so
ist es die Verbindung von lebhafter Empfindung und sicherer Ruhe, von leiden¬
schaftlicher Wärme für Ideen und Charaktere und dabei von unbefangener
Beurtheilung derselben Ideen und Charaktere. Während der Dichter die
Motive und Handlungen eines Charakters, welchen er gefunden hat, mit
warmer Hingebung in allen einzelnen Lebensäußerungen durchmacht, soll er
zu derselben Zeit mit der höchsten Steigerung seiner innern Freiheit denselben
Charakter in seiner Beschränkung übersehen und beurtheilen, während er
sich leidenschaftlich der Stimmung eines Momentes hingibt, soll er mit un¬
befangener Klarheit die Farben, durch welche er diese Stimmung ausdrücken
kann, übersehen und verwenden, und während die Glut und der Wal/nsinn
finsterer Leidenschaften seine Seele wie Blitze durchzucken, soll er über diesen
stürmischen Empfindungen den Himmel heiter« Ruhe auch dem Leser bemerkbar
machen, und während er, was Thränen aus deu Augen lockt, durchfühlt,
wird er vielleicht mit einer Stimmung, die man wol ein innres Lächeln
nennen darf, den Strom dieser Empfindungen beobachten und durch contra-
stirende kreuzen müssen. Er wird dies müssen, wenn er sichere, edle, schöne
Wirkungen hervorbringen will. Es gilt für einen Fehler der Jugend, sich
dem poetischen Stoff zu sehr hinzugeben, weil die innere Freiheit d. h. die
sichere Herrschaft über das Stoffliche, noch nicht vorhanden ist und für eine
Schwäche des Alters, zu kühl und ruhig die Intentionen blos zu stellen, weil
den poetischen Anschauungen Wärme und Farbe fehlt. Wo die stärkste Ber¬
einigung von Freiheit und lebhafter Empfindung sich zusammenfindet, da erkennen
wir die stärkste Dichterkraft. Und da der gewöhnliche Sprachgebrauch die
Fähigkeit des Dichters, in Darstellung von Charakteren, Situationen und
Stimmungen stark zu wirken, sein Talent nennt, so läßt sich der vorige Satz
auch so ausdrücken, daß der größte Dichter durch die beste Bereinigung von
Talent und dichterischem Charakter gemacht wird.

Wenn man die einzelnen Dichter unsers Volkes von diesem Gesichtspunkt
aus betrachtet, so wixd man leicht finden, daß die schwächsten Kräfte schon an
dem Mangel oder geringem Umfang ihres Talents erkennbar sind; wie aber
eine Anzahl der bedeutendern Persönlichkeiten in der Schönheit ihres Schaffens
dadurch beeinträchtigt worden sind, daß die Totalität ihres Wesens nicht ganz
im richtigen Verhältniß stand zu der Energie ihrer Production. Eines der
größten Dichtertalente der Deutschen war Heinrich von Kleist; man kann sich
nur wenig dramatische Charaktere und Situationen denken, die er nicht höchst
anschaulich und imponirend hätte hervortreiben können. Aber ein krankes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/130>, abgerufen am 23.07.2024.