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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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hier in erster Reihe, Der Marmor und der Stein überhaupt haben, sobald
sie der Meißel personificirte, etwas, was mit Gewalt zum Gesammelten, Be¬
schaulichen hindrängt. Vielleicht beunruhigt jede zu lebhafte Bewegung eines
Steinbildes am meisten durch die Theilnahme, welche sie an dem Gefangen-
sein desselben im Stoff erweckt. Der Bildhauer helfe uns vergessen, daß
seine Statue nach freiem Gebrauche ihrer Kräfte ringt, und wir haben sofort
Theil an der schönen, klaren Ruhe, die dem Stein eigenthümlich ist. Er
stelle sie hingegen in mächtig erregter Bewegung hin, und es theilt sich uns
gleich das beengende Gefühl mit, als ständen wir erstarrtem oder verzauberten
Leben gegenüber, das vergebens der Zauberformel harrt, welche es erlösen
könnte. Darf für alle Sculptur fast ohne Ausnahme diese Regel gelten, so
empfiehlt sie sich mit besonderm Nachdruck für monumentale Zwecke in kirchli¬
chen Räumen. Hier handelt sichs ja recht eigentlich um ein Erlöstsein, um
ein Ausruhen; und wie der Tod über das Gesicht des Leidenden im Augen¬
blicke des Sterbens jene wunderbare Klarheit und Glätte ausbreitet, die nur
wenige Viertelstunden ausdauert, aber völlig abschließt mit jedem vorausge¬
gangenen Schmerzensausdruck, so ist es auch die Aufgabe eines Grabmals,
das Ueberwundenhaben, das letzte Beruhigtsein abzuspiegeln, und den Beschauer
bei diesem schönsten Abschnitt der Vergänglichkeit verweilen zu lassen.

Es kann hier nur von der Stimmung des Ganzen die Rede sein; sie aus¬
zudrücken, selbst mit Umgehung der figürlichen Wiedergabe deS Todten, ist die
Aufgabe des Künstlers und hierin wird sich sein feines Gefühl am schönsten
bethätigen. Wo er aber das Bild des Verewigten selbst bringt, wird er es in
einer Weise zu verklären wissen, daß jene Stimmung nicht durch das zu reale
Leben verdrängt wird. Thorwaldsens Plus löst diese Aufgabe.

Leichter und naiver ist sie gelöst in jenen Denkmalen, wo der Todte auf
seinem Steingrabe ausgestreckt liegt, wie wir sie in Deutschlands, Frankreichs
und Englands, weniger in Italiens Kirchen, so vielfach finden. Es liegt ein
Zauber von Ruhe und Frieden über diesen alten Steinbildern, der mit größe¬
rem Aufwand" schwer verträglich ist und verloren geht, sobald allegorische Ge¬
stalten, die Wirkung zu steigern, hinzugethan sind. Die unscheinbaren thierischen
Symbole -- der Hund zu Füßen z. B. als Zeichen der Treue und des ehr¬
lichen Standes -- ersetzen in weit rührenderer Einfalt jene allegorischen Bei-
. gaben, und die weitere Ausbildung symbolischer Attribute wurde überhaupt
hier mehr als irgendwo sonst am Platze sein.

Wo sichs übrigens um Prachtmonumente handelt, bei denen die Rücksicht,
sie auch in Größe und Reichthum vor anderen auszuzeichnen, in Betracht
kommt, da wird man früher oder später immer zur Ueberschwenglichkeit zurück¬
kehren müssen; aus einer Gefühlsverwirrung entwickelt sich nicht leicht die
Blüte des guten Geschmacks.




Grenzboten. IV. -I8S6. ^

hier in erster Reihe, Der Marmor und der Stein überhaupt haben, sobald
sie der Meißel personificirte, etwas, was mit Gewalt zum Gesammelten, Be¬
schaulichen hindrängt. Vielleicht beunruhigt jede zu lebhafte Bewegung eines
Steinbildes am meisten durch die Theilnahme, welche sie an dem Gefangen-
sein desselben im Stoff erweckt. Der Bildhauer helfe uns vergessen, daß
seine Statue nach freiem Gebrauche ihrer Kräfte ringt, und wir haben sofort
Theil an der schönen, klaren Ruhe, die dem Stein eigenthümlich ist. Er
stelle sie hingegen in mächtig erregter Bewegung hin, und es theilt sich uns
gleich das beengende Gefühl mit, als ständen wir erstarrtem oder verzauberten
Leben gegenüber, das vergebens der Zauberformel harrt, welche es erlösen
könnte. Darf für alle Sculptur fast ohne Ausnahme diese Regel gelten, so
empfiehlt sie sich mit besonderm Nachdruck für monumentale Zwecke in kirchli¬
chen Räumen. Hier handelt sichs ja recht eigentlich um ein Erlöstsein, um
ein Ausruhen; und wie der Tod über das Gesicht des Leidenden im Augen¬
blicke des Sterbens jene wunderbare Klarheit und Glätte ausbreitet, die nur
wenige Viertelstunden ausdauert, aber völlig abschließt mit jedem vorausge¬
gangenen Schmerzensausdruck, so ist es auch die Aufgabe eines Grabmals,
das Ueberwundenhaben, das letzte Beruhigtsein abzuspiegeln, und den Beschauer
bei diesem schönsten Abschnitt der Vergänglichkeit verweilen zu lassen.

Es kann hier nur von der Stimmung des Ganzen die Rede sein; sie aus¬
zudrücken, selbst mit Umgehung der figürlichen Wiedergabe deS Todten, ist die
Aufgabe des Künstlers und hierin wird sich sein feines Gefühl am schönsten
bethätigen. Wo er aber das Bild des Verewigten selbst bringt, wird er es in
einer Weise zu verklären wissen, daß jene Stimmung nicht durch das zu reale
Leben verdrängt wird. Thorwaldsens Plus löst diese Aufgabe.

Leichter und naiver ist sie gelöst in jenen Denkmalen, wo der Todte auf
seinem Steingrabe ausgestreckt liegt, wie wir sie in Deutschlands, Frankreichs
und Englands, weniger in Italiens Kirchen, so vielfach finden. Es liegt ein
Zauber von Ruhe und Frieden über diesen alten Steinbildern, der mit größe¬
rem Aufwand« schwer verträglich ist und verloren geht, sobald allegorische Ge¬
stalten, die Wirkung zu steigern, hinzugethan sind. Die unscheinbaren thierischen
Symbole — der Hund zu Füßen z. B. als Zeichen der Treue und des ehr¬
lichen Standes — ersetzen in weit rührenderer Einfalt jene allegorischen Bei-
. gaben, und die weitere Ausbildung symbolischer Attribute wurde überhaupt
hier mehr als irgendwo sonst am Platze sein.

Wo sichs übrigens um Prachtmonumente handelt, bei denen die Rücksicht,
sie auch in Größe und Reichthum vor anderen auszuzeichnen, in Betracht
kommt, da wird man früher oder später immer zur Ueberschwenglichkeit zurück¬
kehren müssen; aus einer Gefühlsverwirrung entwickelt sich nicht leicht die
Blüte des guten Geschmacks.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/113>, abgerufen am 03.07.2024.