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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Züge auf Tod, Unsterblichkeit, Ruhm, Trauer und was sonst noch in Betracht
kommen mochte, versinnlichen und ähnlich wie in der Malerei jener Geschmacks-
epvche wurde der begrenzende Nahmen allenthalben dem Figurengewühle
zu eng.

Italien ist voll von diesen bombastischer Auswüchsen; bald zu Pferde, bald
zu Fuß, mit Degen und Perücke in möglichst bewegter Geberde, füllen die
Steinbilder Verstorbener die Kapellen der Kreuzgänge an; der Tod schreibt
(wie bei Urban VIII.) den Namen aus die Gedenktafel des ewigen Ruhms;
prächtige Decken von farbigem Marmor oder Banner mit Wappen verhüllen
zum Theil die Sarkophage und beingen^weit über die Grenzen des Denkmals
selbst hinab; affectirte Kinder oder Engel sind wie Schwalbennester in jedem
freigebliebenen Winkel deS bunten Memento mori angeklebt.

Eines der absonderlichsten Denkmäler in diesem Geschmack weist die Kirche
Se. Agostino in Rom auf; es gilt dem Cardinal Laurentio Jmperiali. Er
selbst hoch oben in kniender Stellung; weiter unten sein Sarkophag, an wel¬
chen eine allegorische Figur -- der Ruhm? -- gekettet ist; eine andere Figur
mit Schlangen in den Haaren, einem Leuchter in der Hand, hebt den Sarg¬
deckel auf und ein Phönix steigt alsbald erlöst aus der Asche empor, zum
großen Befremden des danebenstehenden Gerippes.

Aus dieser Zeit, wo man alles dem Stein zumuthete, stammt auch der
Einfall, auf einer wirklichen Galerie marmorne Zuhörer für die Messe unter¬
zubringen. In der wenig bekannten Kirche Sta. Maria della Viktoria sind
zu beiden Seiten des Thercsienaltars Balcons angebracht: auf einem derselben
steht man vier Zuhörer, auf dem andern drei, sie sind nicht sehr andächtig,
sondern in lebhafter Haltung; der eine scheint ohne gehörige Rücksicht auf die
Localität entworfen und stößt mit der Nase gegen die Wand.

Die Sackschläger und Buckligen im Garten Boboli zu Florenz sind Ver¬
wandte dieser Richtung; sicher Verirrungen haben wir übrigens in unsern
deutschen Soliluden und Eremitagen genug gehabt, und brauchen deshalb nicht
über die Alpen zu gehen. Die Versuche, Ovids Metamorphosen in Marmor
zu übertragen, die dann- und schilfwerdenden Jungfrauen, der hirschwerdende
Acteon, sind aber auch nicht viel Andres. Die Sculptur sollte die Rolle der
Malerei übernehmen und was ward erreicht? -- mau brachte es bis zu mar¬
mornen Wachsfiguren.

Die Arbeiten Camillo Ruscouiö stehen unter diesen Erzeugnissen seiner
und der ihm vorausgegangenen Zeit bereits wieder edler da. Sein Grabmal
Gregor Xlil. in Se. Peter ist noch bei weitem nicht einfach, doch bezeugt es,
daß sich der Künstler größerer Mäßigung befleißigte, als man damals gewohnt
war. Es stammt von 17S3. Obenan wiederum die päpstliche Hauptfigur
sitzend, mit erhobener Rechten; unten links, zu ihm aufblickend, eine Sybille;


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Züge auf Tod, Unsterblichkeit, Ruhm, Trauer und was sonst noch in Betracht
kommen mochte, versinnlichen und ähnlich wie in der Malerei jener Geschmacks-
epvche wurde der begrenzende Nahmen allenthalben dem Figurengewühle
zu eng.

Italien ist voll von diesen bombastischer Auswüchsen; bald zu Pferde, bald
zu Fuß, mit Degen und Perücke in möglichst bewegter Geberde, füllen die
Steinbilder Verstorbener die Kapellen der Kreuzgänge an; der Tod schreibt
(wie bei Urban VIII.) den Namen aus die Gedenktafel des ewigen Ruhms;
prächtige Decken von farbigem Marmor oder Banner mit Wappen verhüllen
zum Theil die Sarkophage und beingen^weit über die Grenzen des Denkmals
selbst hinab; affectirte Kinder oder Engel sind wie Schwalbennester in jedem
freigebliebenen Winkel deS bunten Memento mori angeklebt.

Eines der absonderlichsten Denkmäler in diesem Geschmack weist die Kirche
Se. Agostino in Rom auf; es gilt dem Cardinal Laurentio Jmperiali. Er
selbst hoch oben in kniender Stellung; weiter unten sein Sarkophag, an wel¬
chen eine allegorische Figur — der Ruhm? — gekettet ist; eine andere Figur
mit Schlangen in den Haaren, einem Leuchter in der Hand, hebt den Sarg¬
deckel auf und ein Phönix steigt alsbald erlöst aus der Asche empor, zum
großen Befremden des danebenstehenden Gerippes.

Aus dieser Zeit, wo man alles dem Stein zumuthete, stammt auch der
Einfall, auf einer wirklichen Galerie marmorne Zuhörer für die Messe unter¬
zubringen. In der wenig bekannten Kirche Sta. Maria della Viktoria sind
zu beiden Seiten des Thercsienaltars Balcons angebracht: auf einem derselben
steht man vier Zuhörer, auf dem andern drei, sie sind nicht sehr andächtig,
sondern in lebhafter Haltung; der eine scheint ohne gehörige Rücksicht auf die
Localität entworfen und stößt mit der Nase gegen die Wand.

Die Sackschläger und Buckligen im Garten Boboli zu Florenz sind Ver¬
wandte dieser Richtung; sicher Verirrungen haben wir übrigens in unsern
deutschen Soliluden und Eremitagen genug gehabt, und brauchen deshalb nicht
über die Alpen zu gehen. Die Versuche, Ovids Metamorphosen in Marmor
zu übertragen, die dann- und schilfwerdenden Jungfrauen, der hirschwerdende
Acteon, sind aber auch nicht viel Andres. Die Sculptur sollte die Rolle der
Malerei übernehmen und was ward erreicht? — mau brachte es bis zu mar¬
mornen Wachsfiguren.

Die Arbeiten Camillo Ruscouiö stehen unter diesen Erzeugnissen seiner
und der ihm vorausgegangenen Zeit bereits wieder edler da. Sein Grabmal
Gregor Xlil. in Se. Peter ist noch bei weitem nicht einfach, doch bezeugt es,
daß sich der Künstler größerer Mäßigung befleißigte, als man damals gewohnt
war. Es stammt von 17S3. Obenan wiederum die päpstliche Hauptfigur
sitzend, mit erhobener Rechten; unten links, zu ihm aufblickend, eine Sybille;


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[0107] Züge auf Tod, Unsterblichkeit, Ruhm, Trauer und was sonst noch in Betracht kommen mochte, versinnlichen und ähnlich wie in der Malerei jener Geschmacks- epvche wurde der begrenzende Nahmen allenthalben dem Figurengewühle zu eng. Italien ist voll von diesen bombastischer Auswüchsen; bald zu Pferde, bald zu Fuß, mit Degen und Perücke in möglichst bewegter Geberde, füllen die Steinbilder Verstorbener die Kapellen der Kreuzgänge an; der Tod schreibt (wie bei Urban VIII.) den Namen aus die Gedenktafel des ewigen Ruhms; prächtige Decken von farbigem Marmor oder Banner mit Wappen verhüllen zum Theil die Sarkophage und beingen^weit über die Grenzen des Denkmals selbst hinab; affectirte Kinder oder Engel sind wie Schwalbennester in jedem freigebliebenen Winkel deS bunten Memento mori angeklebt. Eines der absonderlichsten Denkmäler in diesem Geschmack weist die Kirche Se. Agostino in Rom auf; es gilt dem Cardinal Laurentio Jmperiali. Er selbst hoch oben in kniender Stellung; weiter unten sein Sarkophag, an wel¬ chen eine allegorische Figur — der Ruhm? — gekettet ist; eine andere Figur mit Schlangen in den Haaren, einem Leuchter in der Hand, hebt den Sarg¬ deckel auf und ein Phönix steigt alsbald erlöst aus der Asche empor, zum großen Befremden des danebenstehenden Gerippes. Aus dieser Zeit, wo man alles dem Stein zumuthete, stammt auch der Einfall, auf einer wirklichen Galerie marmorne Zuhörer für die Messe unter¬ zubringen. In der wenig bekannten Kirche Sta. Maria della Viktoria sind zu beiden Seiten des Thercsienaltars Balcons angebracht: auf einem derselben steht man vier Zuhörer, auf dem andern drei, sie sind nicht sehr andächtig, sondern in lebhafter Haltung; der eine scheint ohne gehörige Rücksicht auf die Localität entworfen und stößt mit der Nase gegen die Wand. Die Sackschläger und Buckligen im Garten Boboli zu Florenz sind Ver¬ wandte dieser Richtung; sicher Verirrungen haben wir übrigens in unsern deutschen Soliluden und Eremitagen genug gehabt, und brauchen deshalb nicht über die Alpen zu gehen. Die Versuche, Ovids Metamorphosen in Marmor zu übertragen, die dann- und schilfwerdenden Jungfrauen, der hirschwerdende Acteon, sind aber auch nicht viel Andres. Die Sculptur sollte die Rolle der Malerei übernehmen und was ward erreicht? — mau brachte es bis zu mar¬ mornen Wachsfiguren. Die Arbeiten Camillo Ruscouiö stehen unter diesen Erzeugnissen seiner und der ihm vorausgegangenen Zeit bereits wieder edler da. Sein Grabmal Gregor Xlil. in Se. Peter ist noch bei weitem nicht einfach, doch bezeugt es, daß sich der Künstler größerer Mäßigung befleißigte, als man damals gewohnt war. Es stammt von 17S3. Obenan wiederum die päpstliche Hauptfigur sitzend, mit erhobener Rechten; unten links, zu ihm aufblickend, eine Sybille; 43"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/107>, abgerufen am 23.07.2024.