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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Wir erinnern uns eines hübschen Bildes von Professor Nerly in Venedig,
das einen solchen Transport zum- Vorwurf hat. Eine Menge Büffel sind
beschäftigt, einen Block von der Stelle zu schaffen, der sich durch seine Größe
auszeichnet. Der Maler hatte den guten Einfall, den Namen Thorwaldsen
auf diesen Block zu setzen, und erklärte dem für eine lustige Idee leicht zu¬
gänglichen Meister, es sei der nämliche Block, aus welchem Thorwaldsen später
das päpstliche Monument in der Peterskirche gefertigt habe. Um dieses Sig-
nums willen sind von dem Bilde viele Copien bestellt worden.

Wenn wir nun die Musterung der römischen Ateliers nochmals in? Geiste
durchmachen, so kommen wir zu dem Schlüsse, daß die Profangeschichte, das
Porträt, die Poesie und das sogenannte Genrchafte, heilige Darstellungen
sehr in den Hintergrund drängen. Die eigentlich monumentale Sculptur, in
so weit sie der Kirchhof in Anspruch nimmt, gehört ebenfalls zu den ver¬
nachlässigten oder doch mehr den untergeordneten Kräften verfallenen Richtungen.
Für diese letztere Erscheinung liegt der Grund theils darin, daß Roms Campo
Santo wenig besucht ist, und die Mode sich bisher diesem Gebiete nicht wie
in Neapel oder in Paris zugewandt hat; zum größten Theile aber erklärt die
Entfremdung der bessern Künstler von diesen Arbeiten sich durch die große
Menge der für solche Zwecke schon vorhandenen Musterarbeiten, mit deren
Nachbildung und Variirung genug schwächere Bildhauer beschäftigt sind. Da
aber die reichern Adelsfamilien ihre Familiengrüfte in den Kirchen haben, so
nehmen hier die marmornen Verherrlichungen der Verstorbenen mit mehr oder
minderem Geschmack ihren ununterbrochenen Fortgang. In ganz Italien findet
man die Kirchen mit solchen Denkmalen gefüllt; Venedig, Florenz und Rom
wetteisern darin. Neapel steht in dieser Beziehung zurück. Sein Campo Santo
ist dagegen eine kleine Marmorstadt.

In Deutschland kennen wir dergleichen nicht; der Protestantismus hält
die Kirchen, im Interesse ihres eigentlichen Zwecks, von Privatovationen frei
und verweist die Todten nach dem Friedhofe. Dadurch wird bei uns der
Drang gefördert, großen Todten Standbilder auf öffentlichen Plätzen und
Anlagen zu errichten. Weil unsere Mittel nicht groß sind und unser Kunstsinn
erst in der Entwicklung, geht es damit zwar langsam, aber die ausgesprochene
Richtung ist doch nicht wegzuleugnen.

Die römischen Monumente solcher kirchlichen Bestimmungen gehören nun
gewöhnlich der gemischten Gattung der Porträts und der Allegorie an. Die über¬
schwengliche Zeit der Alongenperücken, der fliegenden Posaunenengel und der
Prachtdecken aus farbigem Marmor ist längst überwunden; der Tod auch er¬
scheint nicht mehr mit Hippe und Stundenglas, guckt nicht mehr hinter einem
steinernen Niese "Vorhang hervor. Die mildere Darstellungsweise Canovas hat
ebenfalls mit ihren nachgeahmten Grabeingängen, ihren langen Reihen von


Grenzboten. IV. -I8S6. 13

Wir erinnern uns eines hübschen Bildes von Professor Nerly in Venedig,
das einen solchen Transport zum- Vorwurf hat. Eine Menge Büffel sind
beschäftigt, einen Block von der Stelle zu schaffen, der sich durch seine Größe
auszeichnet. Der Maler hatte den guten Einfall, den Namen Thorwaldsen
auf diesen Block zu setzen, und erklärte dem für eine lustige Idee leicht zu¬
gänglichen Meister, es sei der nämliche Block, aus welchem Thorwaldsen später
das päpstliche Monument in der Peterskirche gefertigt habe. Um dieses Sig-
nums willen sind von dem Bilde viele Copien bestellt worden.

Wenn wir nun die Musterung der römischen Ateliers nochmals in? Geiste
durchmachen, so kommen wir zu dem Schlüsse, daß die Profangeschichte, das
Porträt, die Poesie und das sogenannte Genrchafte, heilige Darstellungen
sehr in den Hintergrund drängen. Die eigentlich monumentale Sculptur, in
so weit sie der Kirchhof in Anspruch nimmt, gehört ebenfalls zu den ver¬
nachlässigten oder doch mehr den untergeordneten Kräften verfallenen Richtungen.
Für diese letztere Erscheinung liegt der Grund theils darin, daß Roms Campo
Santo wenig besucht ist, und die Mode sich bisher diesem Gebiete nicht wie
in Neapel oder in Paris zugewandt hat; zum größten Theile aber erklärt die
Entfremdung der bessern Künstler von diesen Arbeiten sich durch die große
Menge der für solche Zwecke schon vorhandenen Musterarbeiten, mit deren
Nachbildung und Variirung genug schwächere Bildhauer beschäftigt sind. Da
aber die reichern Adelsfamilien ihre Familiengrüfte in den Kirchen haben, so
nehmen hier die marmornen Verherrlichungen der Verstorbenen mit mehr oder
minderem Geschmack ihren ununterbrochenen Fortgang. In ganz Italien findet
man die Kirchen mit solchen Denkmalen gefüllt; Venedig, Florenz und Rom
wetteisern darin. Neapel steht in dieser Beziehung zurück. Sein Campo Santo
ist dagegen eine kleine Marmorstadt.

In Deutschland kennen wir dergleichen nicht; der Protestantismus hält
die Kirchen, im Interesse ihres eigentlichen Zwecks, von Privatovationen frei
und verweist die Todten nach dem Friedhofe. Dadurch wird bei uns der
Drang gefördert, großen Todten Standbilder auf öffentlichen Plätzen und
Anlagen zu errichten. Weil unsere Mittel nicht groß sind und unser Kunstsinn
erst in der Entwicklung, geht es damit zwar langsam, aber die ausgesprochene
Richtung ist doch nicht wegzuleugnen.

Die römischen Monumente solcher kirchlichen Bestimmungen gehören nun
gewöhnlich der gemischten Gattung der Porträts und der Allegorie an. Die über¬
schwengliche Zeit der Alongenperücken, der fliegenden Posaunenengel und der
Prachtdecken aus farbigem Marmor ist längst überwunden; der Tod auch er¬
scheint nicht mehr mit Hippe und Stundenglas, guckt nicht mehr hinter einem
steinernen Niese »Vorhang hervor. Die mildere Darstellungsweise Canovas hat
ebenfalls mit ihren nachgeahmten Grabeingängen, ihren langen Reihen von


Grenzboten. IV. -I8S6. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/105>, abgerufen am 23.07.2024.